Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon ille ego qui » Mi 14. Okt 2015, 16:52

ich vermute kaum, dass longipes das meinte. aber er sagte, dass er überall nur auf k-Aussprache stoße, es aber eine große differenz zwischen ä und ai gebe ;-)
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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon Prudentius » Mi 14. Okt 2015, 16:58

Nicht nur, auch Luther schlug seine 95 Thesen in l. Sprache an.

Wir sollten unsere jahrhundertealte d. L.-Tradition nicht verleugnen, wir brauchen uns ihrer nicht zu schämen.

Was sollen wir den Bach-Sängern empfehlen, wenn sie uns nach der richtigen L.-Aussprache fragen?

Die historisierende L-Aussprache ist eine sehr moderne Erscheinung, örtlich und zeitlich begrenzt, eine wissenschaftliche Mode, kann man sagen, also vergänglich; sie gehört in den größeren Zusammenhang der typisch d. Richtung des Historismus, "ad fontes" war das alte Schlagwort, Renaissance, Reformation, Romantik bilden das Umfeld.

Wir stehen wie bei allen Erscheinungen der Vergangenheit vor der Frage: innen oder außen? Wo wollen wir uns positionieren? Innen stehen wir, wenn wir mit der gewachsenen Tradition schwimmen ("Zäsar"), außen stehen wir, wenn wir das L. nach phonetischem Regulativ wie Chinesisch oder Arabisch aussprechen ("Kaisar").

:) .
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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon Zythophilus » Mi 14. Okt 2015, 17:16

@ Longipes: Meine Aussagen bzgl. der Verteilung von k- und c-Aussprache sind nur Vermutungen, weil ich keine Untersuchungen dazu kenne, und beziehen sich auf Österreich. Auch da mag es regionale Unterschiede zw. Feldkirch und Güssing geben. Ein "Ave, Zesar!" wird man jedenfalls sehr oft hören; so viel kann ich sagen.
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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Mi 14. Okt 2015, 17:30

Longipes hat geschrieben:
cultor linguarum antiquarum hat geschrieben:Ich glaube, Longpipes (was soll das eigentlich bedeuten, Langpfeifen?) meinte, dass er „Käsar“ und „Kaisar“ kenne. (Oder etwas Ähnliches)

longipes, pedis (longus u. pes), langfüßig, scarabaeus, Plin. 30, 29: aves, Plin. 11, 257.
[Lateinisch-deutsches Handwörterbuch: longipes. Georges: Lateinisch-Deutsch / Deutsch-Lateinisch, S. 33217 (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, S. 699)]


Ich habe immer „Longpipes“ gelesen. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich das p offensichtlich immer hineininterpretiert habe. Ich bitte um Entschuldigung.
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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 14. Okt 2015, 17:44

Ich denke, man sollte sich bei dieser Fragestellung auch nicht "aufhängen". Mir ist viel lieber ein vernünftiger Lateinunterricht für unsere Kinder. Prudentius kann ich in dem Sinne rechtgeben, dass auch in meiner Schulzeit die Aussprache so war und über lange Zeit eben "Ave Zäsar!". Den kirchlichen Institutionen und Klöstern haben wir eigentlich den Erhalt des Lateinischen zu verdanken.
illeegoqui hat geschrieben:bayern ist eine hochburg der "deutschen" aussprache, was mein ehemaliger professor severin koster mit der starken katholischen tradition in verbindung brachte.

Heutzutage ist das sicher regional sehr unterschiedlich, das kann man generell nicht mehr so sagen. Bei uns im Südosten Bayerns herrscht seit Jahren die Restituta vor. ;-)
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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon ille ego qui » Mi 14. Okt 2015, 20:13

im Vergleich ist bayern durchaus noch eine Hochburg der "traditionellen" aussprache. nirgends hält sie sich so hartnäckig - wenn auch (man mag sagen: glücklicherweise) nicht überall ;-)
gut, dass ich dich offenbar missverstanden habe, longipes ;-) gleichzeitig nur "k" und aber eine schere zwischen "ä" und "ai" - wie deine formulierung es nahelegte - ist natürlich kaum vorstellbar :D
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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon Prudentius » Do 15. Okt 2015, 11:04

wenn auch (man mag sagen: glücklicherweise) nicht überall


Ich kapiere nicht, ob du das "glücklicherweise" auf "überall" oder "nicht überall" beziehst :) .

Was sich da gerade hält oder nicht, ist nicht so wichtig, es ist eben der Zwiespalt, wie wir uns der Vergangenheit gegenüber verhalten sollen: soll man die barocken Verschandelungen der romanischen Dome abräumen, um sie in ursprünglicher Reinheit bewundern zu können, oder soll man das geschichtlich Gewachsene als ein Ganzes ansehen, von dem das Ursprüngliche nur eine Komponente ist?

Zum L. möchte ich aber auch noch in Erinnerung rufen, dass es zu den sogen. "heiligen Sprachen" gehörte, wie Sanskrit, Hebräisch, Gr., Chinesisch usw., und wie man sieht, werden diese in ihren jeweiligen Bereichen hochgehalten; es war ja die sakrale Sprache der Gottesdienste, und nur dem L. ist es beschieden, dass dieses vergessen wurde. Von daher wird verständlich, dass man beim L. und seiner Aussprache an der überkommenen Form festhalten wolle; diese Tendenz hatten ja schon die alten Römer, man kann es an den Fasti Ovids sehen.
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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon ille ego qui » Sa 31. Okt 2015, 23:49

"glücklicherweise" meinte ich aus der Sicht jener, die die k-Aussprache befürworten. um neutralität bemüht, schrieb ich "man mag sagen" ;-)
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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon Prudentius » So 1. Nov 2015, 20:06

Die Diskussion um die richtige L-Aussprache läuft etwas schief, denn die Frage der Aussprache ist nachgeordnet den tiefer liegenden Fragen: Welche Bedeutung hat das L. in meinem geistigen Kosmos? Wie weit reicht seine Ausstrahlung? Welchen Stellenwert nimmt es in der Werteskala ein? Ist das L. (nur) ein Kulturgut? Stehe ich innerhalb oder außerhalb des römischen "Nachlebens"? Wie ist die jahrhundertealte gewachsene d. Lateinaussprache zu bewerten?

Das sind alles sehr schwer zu beantwortende Fragen, darüber herrscht ein Meinungschaos, das uns Freiheit lässt, uns selbst die Dinge zurechtzulegen; da wird dann jeder für sich seine "richtige" L-Aussprache finden.
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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon RM » So 1. Nov 2015, 21:41

Ich mag diese immer wiederkehrenden und vollkommen fruchtlosen Diskussionen zur Aussprache des Lateinischen, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Wie sollen wir herausfinden, wie Ciceros oder Vergils Latein genau klang? Außerdem könnten wir das ohnehin nicht nachahmen. Die Italiener akzeptieren z. B. die deutsch ausgesprochene Restituta nicht, weil sie deutsch klingt, die italienische selbst stammt aus dem Mittelalter.
Das Alleinstellungsmerkmal des Lateinischen ist ganz einfach, dass die lateinische Schriftsprache in fast unveränderter Form ca. 2000 Jahre lang als Kommunikationsmittel innerhalb Europas diente, seit der Frühen Neuzeit - das ist ganz wichtig - vor allem unter Wissenschaftlern. Lokale Sprachen, also z. B. germanische Dialekte, die zwischen dem 5. und 14. Jhdt. verwendet wurden, verstehen wir heute kaum oder gar nicht. Beim Lateinischen sieht es schon wesentlich besser aus.

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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon ille ego qui » Mo 2. Nov 2015, 01:19

@Prudentius

Ich sehe eigentlich nicht, dass da etwas falsch laufen soll. Warum soll man sich nebenher nicht auch noch linguistisch für die historische Aussprache interessieren - im Bewusstsein, dass es im Zusammenhang mit dem Lateinischen bedeutendere Fragen geben mag? (Gerade für Poesie freilich und rhythmisierte Prosa würde ich die Bedeutung einer möglichst (!) authentischen Rekonstruktion - und die gewonnenen Erkenntnisse auf dem Gebiet sind durchaus beachtlich - sogar für durchaus belangvoll halten!). Dass dabei vollständige Gewissheit nicht zu erreichen sein wird (und es vielleicht selbst in klassischer Zeit gar nicht nur die "eine" Aussprache gegeben haben mag), ändert nichts daran, dass das Interesse an diesem Aspekt durchaus legitim und die Beschäftigung damit gar nicht so aussichtslos ist.
Zum Thema:
http://stroh.userweb.mwn.de/scholae/vl_ ... 10-11.html
(Vorlesungen zum Anhören und Mitlesen)
[Die hier gestellten Fragen waren ja ganz anderer Art. Hier ging es weniger um Rekonstruktion als um - teilweise noch lebendige - Tradition und Konvention.]

valeas :)
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Re: Mal wieder zur deutschen Aussprache des Lateinischen

Beitragvon ille ego qui » Di 3. Nov 2015, 18:18

RM hat geschrieben:Die Italiener akzeptieren z. B. die deutsch ausgesprochene Restituta nicht, weil sie deutsch klingt, die italienische selbst stammt aus dem Mittelalter.


italienisch ausgesprochene restituta ist ja auch viel schöner ;-)
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