Akkusativ beim Subjektsinfinitiv

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Re: Akkusativ beim Subjektsinfinitiv

Beitragvon Medicus domesticus » Di 1. Mär 2016, 21:15

Ich kann mich erinnern, dass dies hier schon desöfteren diskutiert wurde:
viewtopic.php?f=24&t=28395&start=15
Laodamas nennt ganz unten die Quellen.
BS übrigens § 475...
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Re: Akkusativ beim Subjektsinfinitiv

Beitragvon Prudentius » Mi 2. Mär 2016, 09:43

Ailourophilos hat geschrieben:ich möchte fragen, ob es eine (logische) Erklärung dafür gibt, wieso beim Subjektsinfinitiv (z. B.facile est bonum esse, bonum est consulem fieri) der Akkusativ steht.


Stöbert doch nicht nur in den Altgrammatiken, sondern versucht selber eine Antwort zu entwickeln!

Wenn eine logische Erklärung gefragt ist, versuche ich es einmal so:

Uns fehlt ein Gegenbegriff zu ACI, vllt. "Normalsatz", "S - P", "Puellae cantant", die beiden Satzteile sind zweiseitig gebunden: S bestimmt P durch Numeruskongruenz, d.h. der Plural "puellae" bewirkt den Plural der Verbform "cantant", P bestimmt S durch Kasusrektion, mit dem Nominativ verweist P die Mädchen in die Subjektsposition.
(Nur diese beiden Satzteile sind durch eine solche Doppelbindung verbunden, das Objekt ist nur einseitig gebunden, durch den Akk., aber es ist nicht bezeichnet, wovon der Akk. regiert wird; daher kann man "S-P" als eigentlichen Satzkern bezeichnen).
Mit dem Normalsatz ist eine Behauptung verbunden, man will etwas Wahres sagen; dieser Behauptungscharakter kann aufgehoben sein, etwa bei "Ich vermute, dass die Mädchen singen"; um diese Aufhebung zu kennzeichnen, dazu dient eben der "ACI", dann müssen die beiden Bindungen deutlich aufgehoben sein; d.h. das Verbum darf keinen Numerus haben: das ist eben der Infinitiv, das ist die Verbform ohne Numerus; und der Akkusativ; der Akkusativ ist kein Nominativ, er spielt nicht die Rolle des Subjekts im Normalsatz. Also der Akk. ist zu verstehen als "Nicht-Nominativ"!
Warum ist es gerade der Akkusativ, der diese Role spielen muss? Es gibt ja diese Beispiele: "Audio puellas cantare", da wechselt der Akk. vom Objekts- zum Subjektskasus.

Ich stelle nochmal die bedenkenswerten Unterscheidungen zusammen:
ACI - Normalsatz,
Doppelbindung S - P,
Kasusrektion und Numeruskongruenz,
Doppelrolle des Akkusativs,
Behauptung und ihre Suspendierung, direkte und indirekte Rede.
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Re: Akkusativ beim Subjektsinfinitiv

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 2. Mär 2016, 17:56

Ich denke, dass man Sachverhalte auch nicht überkomplizieren muß. Das kann man zwar immer, aber bringt zum Verständnis nicht weiter. Oft ist die einfachere Darstellung sinnvoller und prägt sich viel besser ein.
Altgrammatiken: BS ist schon ein Werk der neueren Art. Ältere Grammatiken sind auch nicht von vornherein schlecht. Dass die Mühlen in der Latinistik, was Wörterbücher oder auch Standardgrammatiken betrifft u.a., etwas langsamer mahlen, wissen wir ja. ;-)
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Re: Akkusativ beim Subjektsinfinitiv

Beitragvon marcus03 » Mi 2. Mär 2016, 18:38

Medicus domesticus hat geschrieben:Dass die Mühlen in der Latinistik, was Wörterbücher oder auch Standardgrammatiken betrifft u.a., etwas langsamer mahlen,


Daran erkennt man die Göttlichkeit dieser Disziplin. Auch des Herrn Mühlen mahlen bekanntlich langsam, aber wohl noch etwas langsamer. Hauptsache: sie mahlen. ;-)
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Re: Akkusativ beim Subjektsinfinitiv

Beitragvon Prudentius » Do 3. Mär 2016, 18:44

Medicus domesticus hat geschrieben:Ich denke, dass man Sachverhalte auch nicht überkomplizieren muß.


Also "überkomplizieren" war eigentlich nicht meine Absicht :-D , im Gegenteil, ich wollte eine durchgehende Gedankenlinie aufweisen, die diesen eigenartigen Akkusativgebrauch aus dem Grammatiksystem selbst heraus einsichtig und nachvollziehbar machen sollte; man sieht, Grammatikerklärungen können in ihrer Zielsetzung ganz verschieden sein, logische Durchsichtigkeit oder einfache Einprägsamkeit. Auf jeden Fall, die Göttlichkeit der Grammatik steht fest, und wie es eben ist, die einen lassen es auf sich beruhen, und andere wollen Gott etwas näher kommen :-D .

Ich möchte aber auch zeigen, dass ich zu einer einfachen Erklärung fähig bin: Ihr kennt doch den "Phantomschmerz", ein Invalide empfindet Schmerz in einem Glied, das er gar nicht mehr hat. So ist das hier bei diesem Akkusativ; das Prädikatsnomen gleicht sich an einen Subjektsakkusativ an, der gar nicht da ist; es ist also eine Art "Phantomakkusativ".

Ich habe dazu im Kopf ein Beispiel: "Militis est fortem esse", der Soldat muss tapfer sein.
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