Quantitäten von Udine

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Quantitäten von Udine

Beitragvon Zythophilus » So 5. Jun 2016, 16:29

Der lat. Name der friulanischen Stadt ist Vtinum oder Vtina, aber ob die erste Silbe lang oder kurz ist, habe ich nicht herausgefunden. Die zweite scheint jedenfalls kurz zu sein. Wer weiß mehr?
Gratias!
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon Medicus domesticus » So 5. Jun 2016, 18:05

Ūtinum...die erste Silbe ist anscheinend lang.
Ich habe es in einer Abhandlung (http://tinyurl.com/znfewxt) gefunden, in der der slowenische Name Videm erklärt wird:
Lat. (ca. 1000) Ūtinum > III *Ūtinu > (mit westromanischer Sonorisierung) *Ūdinu >
VI *Udẹnu > IX rom. *Ūdẹnu (friaul. Udin, vgl. ital. Udine) > ...
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon marcus03 » So 5. Jun 2016, 18:21

Utinam nunc omne dubium sit sublatum!

Illa urbs mihi carmine digna videtur syllabae longitudine explicata. ;-)
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon consus » So 5. Jun 2016, 19:38

Sunt Italici quoque poetae, Zythophile, qui Latine scribentes nomen urbis Utini in versus inserunt. Ecce hexametri* exemplum:
Gaudeat hinc Ŭtĭnum, laetetur Iulia tellus

________________________________
* Luisini, Riccardo, carm. 213, 9.
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon Zythophilus » So 5. Jun 2016, 21:42

Tale mihi carmen quaesitum denique profers.
En, agimus grates, optime Conse, tibi.
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon Medicus domesticus » Mo 6. Jun 2016, 18:36

Doch also kurz. Obwohl ich da insgesamt skeptisch bin, wenn man den anderen Artikel liest. Der Stadtname Utinum ist auch nicht antik, sondern erst um 1000 belegt. Bei Dichtern nach dieser Zeit sehen wir ja oft, dass Quantitäten nach ihrem eigenen Gusto gewählt wurden... ;-)
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon Zythophilus » Mo 6. Jun 2016, 21:27

Ich vermute einmal, dass der Name nicht nur in der Antike nicht belegt, sondern erst nachantik ist, wie es die Geschichte von Udine nahe legt, und auch auf keinen lateinischen Begriff direkt zurückgeht. Einen lateinischen Namen brauchte man, aber das Latein dieser Zeit unterschied nicht mehr nach Quantitäten, sondern lediglich nach betonten und unbetonten Silben. Wer dennoch Verse nach klassischem Muster schrieb, verwendete ein System, das in der gesprochenen Sprache seiner Zeit nicht mehr vorhanden war. Neue Wörter mussten da nach Quantitäten, die sie so eigentlich nicht hatten, eingeordnet werden, und hier war eine gewisse Willkür, wenn keine antiken Vorlagen o.ä. zur Verfügung standen, unvermeidbar.
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon Zythophilus » Mo 6. Jun 2016, 22:31

Die Willkür, die dem Wunsch entspringt, die Wörter möglichst dem daktylischen Metrum anzupassen, zeigt sich schön, wenn man das Adjektiv Vtineus heranzieht. Da misst der oben erwähnte Autor die erste Silbe nämlich lang. Cf. Luisinii c. L 9 et al. http://www.perseus.tufts.edu/hopper/tex ... 11.01.1055
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon Zythophilus » Mo 6. Jun 2016, 22:52

PS: Voll Freude sah ich zunächst nur Consus' Antwort, die mir gut passte, während mir die weiter oben stehende entging. Auch dir danke, medice.
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon consus » Di 7. Jun 2016, 14:03

Nisi gravi ego ducor errore, doctissime Zythophile, Luisinius duobus illius urbis nominibus utitur Latinis, quorum syllaba antepaenultima sine ulla exceptione correpta videtur esse:
(1) Passim scriptum videmus Ŭtĭnum (syllaba paenultima correpta);
(2) sed alterum nomen est Ŭtīna (syllaba paenultima producta!), cf. Ricardi Luisinii carmen CIII.
Primam autem adiectivi syllabam productam esse apparet, ut ipse investigasti: Ūtĭnĕus.
Ŭtĭnum, sed Ūtĭnĕus: Ū syllaba longa forsitan per productionem metricam, cf. Crusius-Rubenbauer § 31 (Verg. Aen. 1, 2: Ītălĭa, sed Ĭtălus).
Sequitur ut eligendi optio poetae tibi detur.
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon iurisconsultus » Di 7. Jun 2016, 16:04

Blöde Frage:

Wie verträgt sich Ŭtĭnum mit den vielen Ortsnamen auf -um mit naturlangem "i" wie in Altīnum, Urbīnum, Lārīnum, Casīnum, Arpīnum, Aquīnum, Tīcīnum usw.?

Ich kenne mich allerdings mit den lat. Quantitäten nicht recht aus. Also verzeiht bitte, wenn der Einwand völliger Stuss ist. :lol:
Qui statuit aliquid parte inaudita altera,
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(Sen. Med. 199-200)
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon consus » Di 7. Jun 2016, 16:32

Das ist wahrlich eine berechtigte Frage, Iurisconsulte. Die lange Paenultima von Aquínum usw. ist im Italienischen beibehalten worden: Aquíno, Ticíno usw. Vielleicht hat der latinisierende Dichter die kurze Paenultima in Ùtinum gewählt, weil er sich von der italienischen Aussprache Ùdine leiten ließ. Andererseits stellen wir fest, dass er in Utìna die Paenultima als lange Silbe auffasst. Bei aller Zurückhaltung im Argumentieren sollte man den Begriff Versnot (cf. Crusius-Rubenbauer a.a.O.) nicht völlig als Erklärungsgrund ausschließen.
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon Tiberis » Di 7. Jun 2016, 17:48

iurisconsultus hat geschrieben:Wie verträgt sich Ŭtĭnum mit den vielen Ortsnamen auf -um mit naturlangem "i" wie in Altīnum, Urbīnum, Lārīnum, Casīnum, Arpīnum, Aquīnum, Tīcīnum usw.?

es gibt da einen entscheidenden unterschied: bei den genannten römischen (!) ortsnamen ist -inum ein typisches ortssuffix, als solches vergleichbar etwa mit -ing in den bajuwarischen ortsnamen. Udine hingegen leitet sich, soweit mir bekannt,nicht von einem römischen namen ab, wie überhaupt die herkunft und bedeutung des namens strittig ist, vgl. https://it.wikipedia.org/wiki/Udine.
somit finde ich es auch müßig, sich über die quantitäten den kopf zu zerbrechen. der früheste beleg des ortsnamens stammt aus Ottonischer zeit (9.jh.), in der bekanntlich quantitäten keine rolle mehr spielten (darauf wurde ja schon hingewiesen).
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon consus » Di 7. Jun 2016, 18:47

Tiberis hat geschrieben:...somit finde ich es auch müßig, sich über die quantitäten den kopf zu zerbrechen...
Zweifellos! Doch ging es hier in erster Linie darum, auf Zythophilens Anliegen einzugehen und ihm dabei behilflich zu sein, eine hexameterkompatible lateinische Form für Udine zu finden. Ich denke, dass er mit der Wahl von Utinum in seinem heute präsentierten Distichon zurecht dem Vorbild Riccardo Luisinis folgt.
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Re: Quantitäten von Udine

Beitragvon Zythophilus » Di 7. Jun 2016, 22:30

Luisini wollte den Ortsnamen "Udine" in lateinischer Form - mag die auch latinisiert sein - haben, und zwar in einer Form, die in das von ihm verwendete daktylische Versmaß passte. Eine Version Vtinum mit langer erster und kurzer zweiter Silbe hätte er nicht einsetzen können. Analogien zu bestehenden lat. Ortsnamen dürften da keine große Rolle gespielt haben: Die mit dem Suffix -inum gebildeten haben anders als das von ihm verwendete Vtinum ein langes i, Mutina passt mit seinem kurzen i nicht zu dem ebenfalls von Luisini verwendten Vtina. Ob der Dichter die Wörter selber nach den ihm genehmen Quantitäten gestaltete oder ob die beiden Namensvarianten schon vorfand, wissen wir noch nicht.
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