Konjunktive bei Caesar

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Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Sternenkind » Mi 29. Jun 2016, 19:23

Guten Abend,

ich überlege, wie sich folgende Konjunktive erklären lassen:

Liber I, 3
His rebus adducti et auctoritate Orgetorigis permoti constituerunt ea, quae ad proficiscendum pertinerent, comparare, iumentorum et carrorum quam maximum numerum coemere, sementes quam maximas facere, ut in itinere copia frumenti suppeteret, cum proximis civitatibus pacem et amicitiam confirmare.

-> meiner Meinung nach handelt es sich hier um eine indirekte Rede: "die Dinge, die für ihren Aufbruch wichtig waren, wie sie glaubten ...."

(5) In eo itinere persuadet Castico, Catamantaloedis filio, Sequano, cuius pater regnum in Sequanis multos annos obtinuerat et a senatu populi Romani amicus appellatus erat, ut regnum in civitate sua occuparet, quod pater ante habuerit;

-> "die Herrschaft, die zuvor sein Vater innegehabt habe ....
-> auch indirekte Rede?

Wäre euch für eine Antwort sehr dankbar.
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon marcus03 » Mi 29. Jun 2016, 19:40

Sternenkind hat geschrieben: meiner Meinung nach handelt es sich hier um eine indirekte Rede: "die Dinge, die für ihren Aufbruch wichtig waren, wie sie glaubten


Ich kann keine indir. Rede sehen. Ich denke, es liegt innerliche Abhängigkeit vor.
cf:
http://www.latein-imperium.de/include.p ... tentid=211
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Tiberis » Do 30. Jun 2016, 01:28

ergänzend zur antwort von marcus03 :
es handelt sich in beiden fällen um den sog. coniunctivus obliquus. mit diesem konjunktiv werden nicht "objektive" tatsachen, sondern meinungen ausgedrückt:

ea, quae ad proficiscendum pertinerent = das, was (nach meinung der Helvetier) zur abreise/ zum aufbruch gehöre
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Prudentius » Do 30. Jun 2016, 10:00

Sternenkind hat geschrieben:-> meiner Meinung nach handelt es sich hier um eine indirekte Rede: "die Dinge, die für ihren Aufbruch wichtig waren, wie sie glaubten ...."


Ja, das ist richtig, constituerunt ist ein Verbum dicendi, daran hängt eine Infinitvkonstruktion mit konj. NS.; ich würde aber nicht sagen: "wie sie glaubten", es ist ja Teil eines Beschlusses, der Wortlaut eines Protokolls; wenn wir es digital ausdrücken: Cäsar hat hier aus dem Wortlaut des Beschlusses ein Stück markiert, kopiert und in seinen Text eingefügt; und damit es nicht als Plagiat erscheint, hat der den Alternativmodus Konjunktiv gesetzt.
Die indirekte Rede ist die Übernahme eines fremden Wortlauts, sie wird gekennzeichnet durch die Regel: Aussagesätze in den ACI (oder Inf.), alles andere in den Konjunktiv! Im D. haben wir die Möglichkeit, den fremden Wortlaut mit Anführungszeichen zu kennzeichnen, oder den Konj. zu wählen (direkte / indirekte Rede).

quod pater ante habuerit;


Ja, auch indirekte Rede, denn persuadet ist wieder ein Verbum dicendi, der quod-Satz ist Teil des fremden Wortlautes, nämlich von Orgetorix formuliert, nicht von C. Hier kommt allerdings noch hinzu, dass der Relativsatz einen kausalen Nebensinn hat: er begründet einen Herrschaftsanspruch: "weil ja schon der Vater die Herrschaft innehatte".

es handelt sich in beiden fällen um den sog. coniunctivus obliquus. mit diesem konjunktiv werden nicht "objektive" tatsachen, sondern meinungen ausgedrückt


Lieber Tiberis, wenn ich an frühere Diskussionen anknüpfen darf, ich hatte gemeint, Begriffe wie "objektiv", "Meinungen", "Tatsachen" gehörten nicht in die grammatische Analyse; deshalb habe ich hier diesen Begriff des "fremden Wortlauts" hereinbringen wollen. Das ist aber alles nicht meine Erfindung, sondern etwas, was mir bei einem Blick über unseren Zaun aufgegangen ist, :)

lgr. P.
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Tiberis » Do 30. Jun 2016, 15:01

Prudentius hat geschrieben:Ja, das ist richtig, constituerunt ist ein Verbum dicendi

verbum dicendi ist constituere nur dann, wenn es die bedeutung "behaupten" u.dgl. hat. dann steht die jeweilige behauptung auch folgerichtig im aci.
in der angeführten Caesarstelle bedeutet constituere jedoch "beschließen, verfügen", und das, was beschlossen wird, steht auch nicht im aci, sondern in einem schlichten objektsakkusativ. wo also wäre hier die von einem verbum dicendi abhängige aussage, die gemäß den grundregeln (!) der oratio obliqua im aci stehen muss?
im übrigen widersprichst du dir selbst. ich zitiere:
Prudentius hat geschrieben:Die indirekte Rede ist die Übernahme eines fremden Wortlauts, sie wird gekennzeichnet durch die Regel: Aussagesätze in den ACI (oder Inf.)

wo bitte wäre im objektsinfinitiv ea comparare die "übernahme eines fremden wortlauts" ??
nebenbei: im inf. stehen aussagesätze in der oratio obliqua m.w. nur dann, wenn es sich um unpersönliche ausdrücke handelt.
Prudentius hat geschrieben:persuadet ist wieder ein Verbum dicendi

so? ich dachte immer, mit "ut" würde ein wunschsatz eingeleitet. :D
also bitte! hier ist von indirekter rede weit und breit nichts zu sehen. abgesehen davon ist habuerit lediglich eine konjektur, in den handschriften steht habuerat, so auch in der teubnerausgabe (O.Seel 1968).
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Medicus domesticus » Do 30. Jun 2016, 15:36

Tiberis hat geschrieben:ergänzend zur antwort von marcus03 :
es handelt sich in beiden fällen um den sog. coniunctivus obliquus. mit diesem konjunktiv werden nicht "objektive" tatsachen, sondern meinungen ausgedrückt...

Ja so ist es. Ich denke, dass man das nicht mehr "durchkauen" muß. Es gibt so viele Kommentare über Caesars Werk. Ich denke immer noch mit zwiespältigen Gefühlen zurück an die Zeit als wir im Gymnasium ein ganzes Jahr Caesar im Gesamtoriginal (Schöningh) mit den jeweiligen Erläuterungen hatten. Er wuchs uns langsam aus den Ohren raus... :wink:
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Prudentius » Do 30. Jun 2016, 18:48

Solchen Cäsar-Überdruss habe ich nicht kennengelernt, ich hatte gar nicht das Glück, eine solche Schule besuchen zu können, ich war nach einem handwerklichen Arbeitstag beim Abendgymnasium, es musste alles schnell gehen, wir waren bald mit Cäsar fertig.

Zur Bewertung der Cäsarlektüre: Ich erinnere mich noch an unvordenklich lange zurückliegende Jahre, als ich Referendar war, da war das Schlagwort "Reformpädagogik" und Arbeitsunterricht (Georg Kerschensteiner); er führte sein Programm an zwei Beispielen vor: einem Caesarsatz, "Periode", deren Aufbau und Übersetzung zu erarbeiten waren, und der Auflösung einer mathematischen Gleichung.

Lieber Tiberis, du machst mir Komplimente, wenn du sagst, dass ich mir selber widerspreche, du stellst mich also als einen hin, der noch ganz unfertige Ansichten hat, der noch auf der Suche ist, der ständig offen für neue, umwerfende Einsichten ist; ich habe eine labyrinthartige Baustelle in meinem Kopf, wirklich.

Auf die interessanten angeschnittenen Detailfragen komme ich vllt. auch noch,

bis dann P. :)
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Tiberis » Do 30. Jun 2016, 22:10

Medicus domesticus hat geschrieben:Er wuchs uns langsam aus den Ohren raus.

kann ich verstehen. man kann alles übertreiben. außerdem ist man als schüler i.d.r. mit der übersetzungsarbeit voll ausgelastet und daher von der stilistischen eleganz Caesars eher unbeeindruckt .
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Prudentius » Fr 1. Jul 2016, 10:09

Tiberis hat geschrieben: ... so? ich dachte immer, mit "ut" würde ein wunschsatz eingeleitet. :D
also bitte! hier ist von indirekter rede weit und breit nichts zu sehen.


Recht hast du, aber eine indirekte Rede kann auch aus einem Wunschsatz bestehen; "Aussagen im ACI, alles andere (u.a. Wunschsätze) im Kj."

Unter "indir. Rede", oratio obliqua, OO. verstehe ich eine Übernahme einer Fremdformulierung, wie gesagt; "Fremd-" ist vllt. nicht optimal ausgedrückt; es ist in dem Fall eine Formulierung des Orgetorix, aber nicht des Autors Caesar. Ich nehme mal dieses Beispiel; ein Historiker schreibt: "Hitler befahl, das Gesindel zu liquidieren"; hier ist die Infinitivkonstruktion eine OO., denn der Wortlaut ist der des Subjekts, nicht des Historikers; dagegen bei "Hitler befahl, seine politischen Gegner umzubringen": das ist keine OO., sondern eine Formulierung des Historikers.

Auf die Caesarstelle angewandt: der Infiniv kann entweder dem Orgetorix in den Mund gelegt werden, dann ist es OO., dh. Wiedergabe eines Auszugs des Beschlussprotokolls, oder dem Caesar, dann ist es keine OO.

Bei der Lesart haben wir kein Problem: bei habuerit ist es OO., bei habuerat nicht.

Entsprechend ist es auch mit dem Begriff der "innerlichen Abhängigkeit": wenn ein Kausalsatz aus dem Munde des Autors stammt, ist es keine i.A., wenn er aber Bestandteil eines zitierten Ftremdtextes ist, wohl.

Ich sehe diese Begriffe pragmatisch, als Werkzeuge; wir haben einen Spielraum bei ihrem Gebrauch; es kann sein, dass sich manchmal Überschneidungen ergeben; die Formulierungen der Standardgrammatiken sind meist brauchbar, aber sie stellen nicht die letzte Wahrheit dar; der theoretische Hintergrund der Grammatik hat sich ja enorm verändert, viel ist ins Schwimmen geraten ...

:)
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Tiberis » Fr 1. Jul 2016, 14:55

Prudentius hat geschrieben:Unter "indir. Rede", oratio obliqua, OO. verstehe ich eine Übernahme einer Fremdformulierung


gegen diese definition ist im prinzip nichts einzuwenden, wenngleich ich eher sagen würde: "wiedergabe einer fremdformulierung". wesentlich ist jedenfalls der begriff "formulierung", d.h., ohne dass jemand zuvor etwas "formuliert", also ausgedrückt hätte, was dann als dessen worte, meinung usw. wiedergegeben wird, gibt es auch keine oratio (!) obliqua.
kehren wir also zum konkreten beispiel zurück: (BG,1,3,4)
(Orgetorix)persuadet Castico, cuius pater regnum..obtinuerat et amicus...appellatus erat, ut regnum..occuparet, quod pater ante habuerat /habuerit.
selbst wenn wir von der strittigen lesart habuerit ausgehen: wo wäre hier eigentlich die "formulierung" (des Orgetorix), die Caesar indirekt wiedergegeben hätte?
nein, dieser konjunktiv habuerit wäre nichts anderes als ein coni. obliquus, dem keine explizite formulierung zugrunde liegt, und der die weiter oben ausgedrückte feststellung, dass der vater des Casticus bei den Sequanern die königswürde innehatte, nur nocheinmal aufgreift, diesmal jedoch als meinung des Orgetorix und gleichzeitig als begründung für den anspruch des Casticus auf ebendiese königsherrschaft ("..die ja zuvor sein vater innegehabt habe").
um es also auf den punkt zu bringen:
in der oratio obliqua stehen zwar alle nebensätze im coni. obliquus, aber nicht jeder nebensatz, der im coni. obl. steht, ist deshalb teil einer oratio obliqua. ;-)

vale. :)
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Zythophilus » Fr 1. Jul 2016, 22:00

Ein coni.obl. kann in jedem von einer Inf.-Konstruktion wie einem AcI und einem konjunktivischen Gliedsatz abhängigen Gliedsatz stehen.
Im konkreten Fall scheint mir eher ein konsekutiver Konjunktiv vorzuliegen: Würde man nicht auch in direkter Rede ea, quae ad proficiscendum pertinerent, comparaverunt sagen?
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon marcus03 » Sa 2. Jul 2016, 10:48

Zythophilus hat geschrieben:Würde man nicht auch in direkter Rede ea, quae ad proficiscendum pertinerent, comparaverunt sagen?


Hier verwendet Cäsar den Indikativ:

minimeque ad eos mercatores saepe commeant atque ea, quae ad effeminandos animos pertinent, important proximique sunt Germanis,

Ist Cäsar inkonsequent? :?
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 2. Jul 2016, 11:21

Das kann man meiner Meinung nach nicht direkt vergleichen. Caesar geht es in der Einleitung um eine Tatsachenbeschreibung. Im Prinzip geht es in diesem Abschnitt bis auf praeterea quod zurück. Deswegen kann man den Indikativ damit begründen.
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon marcus03 » Sa 2. Jul 2016, 11:26

Medicus domesticus hat geschrieben:Caesar geht es in der Einleitung um eine Tatsachenbeschreibung.


Um die geht es doch im anderen Fall auch, oder? :?
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Re: Konjunktive bei Caesar

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 2. Jul 2016, 11:28

Ja und nein. Oben wird eine Meinung jemands anderen ausgedrückt, im Prinzip eine Fremdformulierung. Caesar setzt Tatsachen.. ;-) Seine Meinung ist unumstößlich. Du siehst es auch im Verlauf: Er bleibt im Indikativ.
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