Hexamter Aeneis 5, 239

Das Forum für professionelle Latinisten und Studenten der Lateinischen Philologie

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon Zythophilus » Di 16. Aug 2016, 22:28

Ich vermute einmal, dass keine Form Phēgēŭs (ohne i) vorkommt, weil es eben ein seltenes Adjektiv ist. Im Hexameter und Pentameter lassen sich keineswegs alle Formen von Phēgēǐŭs (wie auch Thēsēǐŭs) verwenden: Konkret sind es nur -ĭă (mit folgendem Konsonanten) und -ĭŭs (mit folgendem Vokal), wenn wir einmal von der Elision absehen, die man doch eher meidet, wenn es geht. Andere Fälle würden eben ein Phēgēŭs (analog zu Thēsēŭs) erfordern, das zumindest lt. Georges nicht belegt ist.
Der Vorteil der Formen auf -ĭŭs ist m.E. der daktylische Rhythmus, da das Lateinische nicht so reich an kurzen Silben ist.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 16945
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon Sokrates » Di 16. Aug 2016, 22:51

Ja, deine Argumentation ist sehr überzeugend, vor allem "Verwendbarkeit" und Handhabbarkeit der Form wird durch den Vokalschwund also erhöht. Für einen Dichter müssen die wenigen zulässigen Varianten bei -ius dann wohl zu sperrig gewesen sein, wenn man denn die Emission zu meiden sucht.
Sokrates
Proconsul
 
Beiträge: 421
Registriert: Do 15. Jul 2010, 07:40

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Mi 17. Aug 2016, 09:01

Danke auch euch Zythophilus und Sokrates für die ausführlichen Stellungnahmen. Eines ist mir aber noch nicht ganz klar. Wird "Phēgēǐŭs" nun wegen des vokalischen "i" Phege-i-us gesprochen, wie ich vermute, oder doch - nach der "Schulaussprache" - Phegejus?

Gratias maximas!
Qui statuit aliquid parte inaudita altera,
aequum licet statuerit, haud aequus fuit.
(Sen. Med. 199-200)
Benutzeravatar
iurisconsultus
Dictator
 
Beiträge: 1238
Registriert: Di 31. Dez 2013, 15:37
Wohnort: Lentiae, in capite provinciae Austriae Superioris

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon Zythophilus » Mi 17. Aug 2016, 09:19

Im Vers funktioniert nur die viersilbige Aussprache mit einem vokalischen i; davon darf auch eine Schulaussprache nicht abweichen. In der Alltagsaussprache mag es eine gewisse Verschleifung gegeben haben, aber eigentlich entzieht sich ein Adjektiv wie Phēgēǐŭs der Alltagssprache.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 16945
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Mi 17. Aug 2016, 09:49

Danke optime Zythophile!

Nachtrag: Welches (Online-)Wörterbuch ist hinsichtlich der Angabe der Naturlängen am verlässlichsten? Zum Teil unterscheiden sich die Angaben nämlich, was beim Skandieren einigermaßen nervig ist; bspw "ignosco":

Lewis&Short: "ignosco"
Pons/Navigium: "īgnōscō"

:?
Qui statuit aliquid parte inaudita altera,
aequum licet statuerit, haud aequus fuit.
(Sen. Med. 199-200)
Benutzeravatar
iurisconsultus
Dictator
 
Beiträge: 1238
Registriert: Di 31. Dez 2013, 15:37
Wohnort: Lentiae, in capite provinciae Austriae Superioris

Re: Hexameter Aeneis 5, 239

Beitragvon Willimox » Mi 17. Aug 2016, 10:43

Aside, Aparte, N.B.
vielleicht ganz interessant: pedecerto

cṓgnātū́mquĕ lătū́s Phēgḗĭŭs hā́usĕrĭt ḗnsis.

http://www.pedecerto.eu/scansioni/query
http://www.pedecerto.eu/ricerca/avanzata

:book:
Benutzeravatar
Willimox
Senator
 
Beiträge: 2725
Registriert: Sa 5. Nov 2005, 21:56
Wohnort: Miltenberg & München & Augsburg

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Mi 17. Aug 2016, 11:04

Danke Willimox, sehr hilfreich zur Kontrolle.
Es scheint bei dem Programm aber Vorsicht geboten; s. Vergil, Aen 10, 156:
externo commissa duci. Aeneia puppis

Falsches Ergebnis: ḗxtērnṓ cōmmī́ssā dū́ci.‿Ǣnḗĭă pū́ppis (SSSS); richtiges Ergebnis: SSDS. Oder liege doch ich falsch?! :D
Qui statuit aliquid parte inaudita altera,
aequum licet statuerit, haud aequus fuit.
(Sen. Med. 199-200)
Benutzeravatar
iurisconsultus
Dictator
 
Beiträge: 1238
Registriert: Di 31. Dez 2013, 15:37
Wohnort: Lentiae, in capite provinciae Austriae Superioris

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon marcus03 » Mi 17. Aug 2016, 12:03

externo commissa duci. Ae-ne-i-a puppis
_ _/_ _/_vv/_ _/_vv/_x

Keine Verschleifung!
Zuletzt geändert von marcus03 am Mi 17. Aug 2016, 12:07, insgesamt 1-mal geändert.
marcus03
Pater patriae
 
Beiträge: 11514
Registriert: Mi 30. Mai 2012, 06:57

Verg. Aen. 10, 156

Beitragvon consus » Mi 17. Aug 2016, 12:20

ēxtērnō cōmmīssă dǔcī (HIAT) Aēnēĭă pūppĭs

Servus, Iurisconsultus!

Vielleicht gibt es bei Metrikprogrammen Probleme, wenn ein Hiat auftaucht.

Addendum.
Zur Endsilbe von ignosco: mögliche Endsilbenkürzung, vgl. Crusius-Rubenbauer § 29.
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Mi 17. Aug 2016, 13:29

Herzlichen Dank marcus und consus!

Ich vermute auch, dass im Computerprogramm der Hiat nicht berücksichtigt wird, der ja auch sehr selten vorkommt. Der wertvolle Hinweis zur Endsilbenkürzung bei "ignosco" bietet aber leider keine Erklärung dafür, warum in den genannten Wörterbüchern auch die Anfangs- und Mittelsilbe unterschiedlich gemessen wird.

LG aus Linz
Qui statuit aliquid parte inaudita altera,
aequum licet statuerit, haud aequus fuit.
(Sen. Med. 199-200)
Benutzeravatar
iurisconsultus
Dictator
 
Beiträge: 1238
Registriert: Di 31. Dez 2013, 15:37
Wohnort: Lentiae, in capite provinciae Austriae Superioris

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon Zythophilus » Mi 17. Aug 2016, 14:07

Welches (Online-)Wörterbuch ist hinsichtlich der Angabe der Naturlängen am verlässlichsten?

Ich verwende, wenn ich nicht gerade die gedruckte Stowasser-Version vor mir habe, die auch kaum Fehler hinsichtlich der Naturlängen aufweist, den Online-Georges. In sehr wenigen Einzelfällen findet sich in der transkribierten Version ein Lapsus, der aber in der digitalisierten Originalseite normalerweise nicht drinnen ist.
Für das Skandieren - wie auch für das Verfassen von Versen - reicht es, dass Naturlängen, die nicht auch positione lang sein müssen, eigens gekennzeichnet sind, im konkreten Fall ist m.E. "ignoscō" als Eintrag genug, wobei Consus schon auf die Möglichkeit der Kürzung dieses o in der 1.P.Sg. (beim Nom.Sg. der kons. Dekl. auf -o gibt's das auch) hingewiesen hat. Bei Vergil kommt das m.E. nur bei nescio vor, bei Ovid schon öfter und ziemlich häufig bei Martial.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 16945
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Mi 17. Aug 2016, 14:22

Zythophilus hat geschrieben:... Für das Skandieren - wie auch für das Verfassen von Versen - reicht es, dass Naturlängen, die nicht auch positione lang sein müssen, eigens gekennzeichnet sind, ...

Aja, das macht Sinn. :D Danke Zythophilus, damit sind alle meine Fragen beantwortet.
Qui statuit aliquid parte inaudita altera,
aequum licet statuerit, haud aequus fuit.
(Sen. Med. 199-200)
Benutzeravatar
iurisconsultus
Dictator
 
Beiträge: 1238
Registriert: Di 31. Dez 2013, 15:37
Wohnort: Lentiae, in capite provinciae Austriae Superioris

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 17. Aug 2016, 14:35

Wenn du dich eingehender mit Dichtung beschäftigen willst, kannst du dir den Crusius/Rubenbauer (siehe consus) zulegen. Ein guter Begleiter. Ich habe auch noch den Zgoll/Römische Prosodie und Metrik, moderner aufgemacht mit vielen Beispielen, jedoch nicht ganz fehlerfrei in der 1. Auflage. Der Quicherat (Thesaurus poeticus Linguae Latinae) ist online verfügbar und ist immer wieder eine gute Hilfe mit Versbeispielen.
:book:
Medicus domesticus
Dominus
 
Beiträge: 7285
Registriert: Di 9. Dez 2008, 11:07

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Mi 17. Aug 2016, 15:28

Danke MD für den Tipp. Ich werde mir das ernsthaft überlegen. Das Skandieren hat fast schon was Meditatives. :P

Jetzt hat sich bei mir bei Verg, Ge 4, 463 aber leider noch eine Frage zu Wörterbucheinträgen aufgetan. Ich weiß, ich bin heute recht lästig, verspreche aber, euch sodann in Ruhe zu lassen :D:
atque Getae atque Hebrus et Actias Orithyia

Ich habe wie folgt skandiert (pedecerto.eu hat aufgegeben ;)):

/ _ V V / _ _ / _ V V / _ V V / _ _ / _ V /

Meine Frage bezieht sich aber vor allem auf "Orithyia":
Lewis & Short: "Ōrīthȳīa"
PONS: "Ōrīthy͡ia"
Georges: "Ōrīthyia (mit durchgehendem Strich unter "y" und "i", der hier offenbar nicht darstellbar ist)

Nach Lewis & Short sieht es für mich nun so aus, als wären "y" und "i" zwei Vokale, während nach PONS und Georges beide Phoneme einen gemeinsamem Vokal zu bilden scheinen. Letzterer Lesart bin ich dann auch gefolgt. Wie muss man die Einträge aber nun tatsächlich verstehen und wie würde man "Orithyia" aussprechen? "Y" kann ja sowohl ein Vokal als auch ein Konsonant sein, soweit ich weiß.

Überlegung: Vielleicht sollte man dem Thread einen allgemeineren Namen geben, um ihn fortan für metrische Fragen zu gebrauchen?!

maximas gratias.
Qui statuit aliquid parte inaudita altera,
aequum licet statuerit, haud aequus fuit.
(Sen. Med. 199-200)
Benutzeravatar
iurisconsultus
Dictator
 
Beiträge: 1238
Registriert: Di 31. Dez 2013, 15:37
Wohnort: Lentiae, in capite provinciae Austriae Superioris

Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon romane » Mi 17. Aug 2016, 15:50

Die EDV bietet an:

átquegétatquébrusetáctiasórithyía
- - | - - | -uu | -uu | -uu | -u/- |

zweite Möglichkeit:
átquegetátquebrúsetáctiasórithyía
-uu | - - | - - | -uu | -uu | -u/- |

dritte Möglichkeit:
átquegetátquebrusétactíasórithyía
-uu | -uu | - - | - - | -uu | -u/- |
Die Freiheit ist ein seltsames Wesen - wenn man es gefangen hat, ist es verschwunden

www.mbradtke.de
Benutzeravatar
romane
Pater patriae
 
Beiträge: 11669
Registriert: Fr 31. Mai 2002, 10:33
Wohnort: Niedersachsen

VorherigeNächste

Zurück zu Lateinische Philologie



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 65 Gäste