Deponentien im Gerundium und Gerundivum

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Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Sternenkind » Mi 14. Sep 2016, 15:22

Guten Tag,

Im Rubenbauer steht:

Die den Ablativ regierenden Depontentien werden in der Gerundivkonstruktion außer im Nom als Transitiva behandelt:

Bsp:

spes potiundorum castrorum (warum eigentlich nicht potiendorum? :? ) (Gerundiv)


Analag dazu müsste man sagen können:

spes potiendi castris (Gerundium)


Castris potiendum est (Gerundiv)
oder Castra potiennda sunt ?

Bin grad durcheinander :-o :-o :-o

Danke für eure Hilfe :help:
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon marcus03 » Mi 14. Sep 2016, 15:44

Sternenkind hat geschrieben:Castris potiendum est (Gerundiv)
oder Castra potiennda sunt ?


Die Antwort steht doch hier:

Sternenkind hat geschrieben:Die den Ablativ regierenden Depontentien werden in der Gerundivkonstruktion außer im Nom als Transitiva behandelt:


Der Nominativ kommt nur beim prädikativen Gebrauch vor.

cf:
http://latin.packhum.org/concordance?q=potiund
http://latin.packhum.org/concordance?q=potiend

potiund...: Archaismus (denke ich)

Bei prädikativem Gebrauch ist nur potiund... belegt.
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Prudentius » Sa 17. Sep 2016, 15:38

Erkennt ihr den Widerspruch? Die Regel lautet: "Das Deponens hat passive Form und aktive Bedeutung", der Kehrsatz dazu: "Das Deponens bildet kein Passiv", utitur er gebraucht, aber nicht es wird gebraucht; das Passiv kann man höchstens umschreiben, z.B. mit "usui esse".
Bei "spes potiendae victoriae" liegt ein Regelverstoß vor, indem ein Deponens in passiver Bedeutung gebildet wurde.
Was tun? Bei potiri können wir uns aus der Affäre ziehen, indem wir sagen, das ist gar kein Deponens, denn es gibt auch das normale aktive Verb potire.
Bei Deponentien wird anscheinend das Gerundiv gar nicht gebraucht, "utendus est er muss gebrauchen", "proficiscendus sum ich muss aufbrechen" ist kein L., möchte ich sagen.
Bei der Gerundivkonstruktion von Deponentien kann man auch sagen, es liege eine Analogie zu den Normalverben vor, also so ungefähr wie "5 gerade sein lassen", gut, Grammatik ist nicht Logik. :-D
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Tiberis » Sa 17. Sep 2016, 22:38

Prudentius hat geschrieben: Die Regel lautet: "Das Deponens hat passive Form und aktive Bedeutung", der Kehrsatz dazu: "Das Deponens bildet kein Passiv"

:?
diese "regel" bezieht sich aber, wie du wohl weißt, weder auf die partizipia ( ausgen. perf.) noch auf das gerundiv.
letzteres hat, wie bei allen anderen verben auch, stets passivischen charakter. daher ist es auch, mit verlaub, unsinnig, in bezug auf das gerundiv von einem regelverstoß (!) zu sprechen. und satzgebilde wie "proficiscendus sum" sind doppelt unsinnig, da proficisci ein verb der bewegung und somit intransitiv ist. ich kann ja auch nicht sagen: veniendus sum u.dgl. :hairy:
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Willimox » So 18. Sep 2016, 20:45

Zur These, dass Gerund und Gerundiv mit einiger Plausibilität als diathese-neutral verstanden werden können, vgl. vor allem:

Heinrich Hettrich:
Nochmals zu Gerundium und Gerundivum. In: Meiser, G., Hg. Indogermanica et Italica.
Festschrift für H. Rix. Innsbruck 1993, S. 190-208.

Harm Pinkster:
The Oxford Latin Syntax. The Simple Clause.
Oxford 2015, S. 285ff

Für einen von aufbrandendem Unwillen und freundlich-sachlich-passablen Passagen
durchwachsenen Diskurs zum Gerundalienproblem vgl.

http://www.latein.at/phpBB/viewtopic.php?f=24&t=19674&hilit=Gerundiv&start=15

und die folgenden Seiten.
(Manch Leser damals und heute dürfte mehrfach drei Kreuze schlagen. :wink:)
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Zythophilus » So 18. Sep 2016, 21:48

Die Regel, dass ein Deponens nur passive Formen hat, verkürzt den Sachverhalt etwas. Die konjugierten Formen und die Infinitive haben nur passive Formen. Deponentien kommen in den Elementarlehrbüchern vermutlich immer vor den Gerundiven dran. Da würde die Erwähnung des Gerundivs eher verwirren. Wenn dann einige Kapitel später das Gerundiv behandelt wird, kann man auch abklären, wie es sich beim Deponens verhält.
Neben den formulierten Regeln ist auch der Sprachgebrauch zu berücksichtigen, und der scheint eben ein transitives potior in manchen Wendungen auch noch in klassischer Zeit zuzulassen. Speziell mit der Form potiundus mag das etwas altertümlich geklungen haben, war aber nicht falsch.
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon marcus03 » Mo 19. Sep 2016, 06:29

Tiberis hat geschrieben:ich kann ja auch nicht sagen: veniendus sum


Why not?
= ich muss gekommen werden= man muss mich herbringen :lol:

vgl: er wurde gegangen (=gefeuert)
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Zythophilus » Mo 19. Sep 2016, 12:24

"Er wurde gegangen." ist eine scherzhafte, wohl etwas euphemistische Bildung, die die Grammatik ignoriert. Vielleicht gibt es ähnliche Bildungen tatsächlich auch bei lateinischen Gerundiven, aber bekannt ist mir nichts davon. Da wäre es außerdem ebenso eine bewusst falsch gebildete Form.
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Tiberis » Mo 19. Sep 2016, 12:36

Willimox hat geschrieben:Für einen von aufbrandendem Unwillen und freundlich-sachlich-passablen Passagen
durchwachsenen Diskurs zum Gerundalienproblem vgl.

viewtopic.php?f=24&t=19674&hilit=Gerundiv&start=15

und die folgenden Seiten.
(Manch Leser damals und heute dürfte mehrfach drei Kreuze schlagen. :wink:)


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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Prudentius » Mo 19. Sep 2016, 20:23

Das Beispiel "veniendus sum" ist nicht vergleichbar, wenn ich frage, warum "proficiscendus sum" nicht geht; denn intransitive Verben wie venire bilden kein persönliches Passiv; aber intr. Deponentien haben die ganze Reihe des passiven Formenbestands: proficiscor, ..., utor, ..., bei diesen Verben wird also gar kein Unterschied transitiv/intransitiv gemacht; da liegt dann schon so eine Erklärung nahe wie dass das Gerundiv keine eindeutige Diathese hat.

Willimox hat geschrieben:
"Vor allem bei diesem Typ hier
libros legendo discimus
libris legendis discimus
liegen sehr wohl unterschiedliche nd-Formen vor.
Wir sind im Deutschen gezwungen, sie gleich zu übersetzen.
Daraus ist aber - man sieht es - nicht zu schließen, dass
Gerund und Gerundiv "gleich" sind".

"libros legendo discimus":
Dieser Dreierblock hat etzwas Holpriges: alles verschiedene Wortarten, Endungen, keine besonderen Beziehungen; die drei Wörter sind in Kasus, Numerus, Genus (KNG) verschieden; der Block zerfällt in drei Stücke, zusammengehalten durch zwei Rektionspfeile, von discimus zu legendo, Adverbiale im Abl. angebunden, und von legendo zu libros, Objektspfeil. Also das 3. regiert das 2. und das zweite regiert das 1. Das Aufbauschema ist also "3 - 2 - 1", einfache Anreihung.

"libris legendis discimus":
Ganz anders dieser Block: die zweiseitige Kongruenzmarkierung " -is ... -is" lässt eine Untergruppe entstehen, die durch die dreifache KNG-Harmonie etwas Ausgeglichenes, Harmonisches hat. Im Gesamtsatz ist nur die eine Bindung (Abl.) da, wodurch die Untergruppe am Verb hängt; die Dreiergruppe bekommt dadurch eine kompakte Form, Schema (2 - 3) - 1, eine dynamische, abgerundete Einheit.

Ich will damit sagen, der römische Stilist bevorzugte stark die zweite Form gegenüber der ersten; es kam ihm dabei weniger auf Adjektiv/Substantiv und aktiv/passiv an, und mehr auf Formengleichheit in Kongruenz gegenüber Formenverschiedenheit bei Kasusrektionen. Ich denke also, bei der "Gerundivkonstruktiuon" steht gar nicht dieses Gerundiv selber isoliert vor Augen, sondern es geht um Ausdrucksglättung, es geht um den Wortblock, nicht um die einzelne Wortart, die vage bleibt.
Spekulative Grammatik, zugegeben, aber irgendwie wollen wir uns ja die Sache zurechtlegen.
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Zythophilus » Mo 19. Sep 2016, 21:47

Dass Deponentien den passiven Formenbestand haben, überrascht nicht. Sie sind deswegen meist aber nicht als passiv im Sinn des Passivs eines transitiven Verbs, sondern als medial zu verstehen, und somit gibt es natürlich auch transitive. In vor- und nachklassischer Zeit tauchen viele Verben, die wir als Deponentien kennen, durchaus als aktive Verben auch mit passiven Formen auf. Aktive Formen gibt's manchmal auch von proficiscor, die sich in der Bedeutung nicht von den passiven unterschieden, also intransitiv sind. Nehmen wir hingegen uehor, dann sehen wir deutlich, dass es trotz der ähnlichen Bedeutung wie proficiscor als das Passiv eines transitiven Verbs behandelt wird.
Zuletzt geändert von Zythophilus am Sa 8. Okt 2016, 17:39, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Sternenkind » Sa 8. Okt 2016, 11:50

marcus03 hat geschrieben:
Sternenkind hat geschrieben:Castris potiendum est (Gerundiv)
oder Castra potiennda sunt ?


Die Antwort steht doch hier:

Sternenkind hat geschrieben:Die den Ablativ regierenden Depontentien werden in der Gerundivkonstruktion außer im Nom als Transitiva behandelt:


Der Nominativ kommt nur beim prädikativen Gebrauch vor.

cf:
http://latin.packhum.org/concordance?q=potiund
http://latin.packhum.org/concordance?q=potiend


potiund...: Archaismus (denke ich)

Bei prädikativem Gebrauch ist nur potiund... belegt.


Ja, also ist Castra potienda sunt falsch.

Castris potiendum est aber richtig,oder? Ich hätte einfach nur gerne Bestätigung, da in den Grammatiken zwar die Regeln stehen, aber meist die passenden Beispiele fehlen ;)
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Sternenkind » Sa 8. Okt 2016, 11:53

Sorry, ich will nicht nerven. Verkürzen wir das Ganze :-D

- Castris potiendum est. Richtig oder falsch?
- Castra potienda sunt. Falsch :-D
- Spes Castris potiendi. Richtig oder falsch?
- Spes castrorum potiendorum. Richtig oder falsch.


Meiner Meinung nach sind die drei Beispiele alle richtig.
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon marcus03 » Sa 8. Okt 2016, 12:31

Sternenkind hat geschrieben:Spes Castris potiendi. Richtig oder falsch?


Für diese Konstruktion finde ich keinen Beleg. s.o.
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Re: Deponentien im Gerundium und Gerundivum

Beitragvon Zythophilus » Sa 8. Okt 2016, 17:36

Prinzipiell gibt es ein transitives Gerundiv von potior. Caesar hat wörtlich (BG III 6,2) spem potiundorum castrorum, also kann man darauf vertrauen, dass es nicht nur möglich ist, sondern auch guter Stil ist. Interessanter wären tatsächlich Belege für ein Gerundiv im Neutrum oder Gerundium mit einem Abl.Obj. Gibt es das überhaupt?
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