Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

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Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon Sternenkind » Mi 14. Sep 2016, 18:25

Guten Abend,

kann mir jemand eine Seite/ ein Nachschlagewerk empfehlen, wo ich Informationen zum resultativem Aspekt des Passivs finden kann? Z.B. bei Cäsar: Gallia est omnis divisa ...


Danke
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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon Prudentius » Do 15. Sep 2016, 10:07

Du kannst ja diese Informationen auch direkt aus den Texten entnehmen, und es ist keine Besonderheit der L-Grammatik. Das Resultative hängt wohl an der Adjektivform, "divisa", "geteilt", die etwas zeitloses bezeichnet. Das Resultative ist auch keine Besonderheit des Passivs, denn es lässt sich auch aktivisch umschreiben: "Gallien zerfällt..." oder "besteht aus drei Teilen". Meist sieht man ja das Resultative am Perfekt, "Helvetii a Caesare victi sunt", ein Zustand als Folge einer Handlung. Das Resultative hängt weder am Passiv noch am Perfekt, es ist eine Spielart der durativen Verbform; "Die Sonne geht im Osten auf", durativ (Geographie), aber auch punktuell und aktuell möglich.
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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon ille ego qui » Do 15. Sep 2016, 22:16

Resultativität, wie sie die Linguistik versteht, hängt durchaus - soweit ich sehe - sehr stark mit dem "Perfekt" zusammen. Denn gemeint ist der Gebrauch eines Verbs in einem Vergangenheitstempus, um jenen Zustand zu beschreiben, der durch die in der Vergangenheit liegende Verbhandlung für die Gegenwart erreicht wurde.

valete :)
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
arma virumque cano ...
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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon publiovidius » Sa 1. Okt 2016, 02:34

Meiner Meinung nach ist ja nicht so sehr in diesem Zusammenhang der resultative Aspekt des Passivs, als vielmehr des Perfekts auffälig, der aber genauso auch für das Aktiv gilt.

Vielleicht meint Sternenkind aber den Zustandscharakter des Passivs, der dem resultative Aspekt des Pefekts durchaus ähnlich ist, aber hier in anderen Tempora vorkommt (Präsens und Imperfekt).

Ich zitiere einmal aus Bornemanns (nicht kurzgefasster!) Sprachlehre, die ich - nach einem Hinweis eines mir persönlich bekannten Professors für Latinistik - wohl für die beste lateinische Sprachlehre in deutscher Sprache halten darf:

(Der Fettdruck stammt von mir, im Original ist dort gesperrt)
"§222
Anm. 2.
Bei manchen Verben steht im Lateinischen das Präsens des Passivs, um einen dauernden Zustand (meist als Ergebnis eines vorangegangen Vorgangs, also "resultativ") zu bezeichnen, während der Deutsche die Umschreibung mit 'sein' verwendet:
Mons nive tegitur ("Ist bedeckt worden und wird nun bedeckt gehalten" = ist bedeckt) - Hic Ciceronis liber inscribitur (ist betitelt) de amicitia. Helvetii undique loci natura continentur (sind eingeengt - Non portu illud oppidum clauditur (ist eingeschlossen), sed oppido portus ipse cingitur (ist umgeben) - Cogor (ich bin gezwungen; vgl auch § 220) te punire.
Entsprechend steht für die Vergangenheit das Passiv des Imperfekts:
Tempi parietes tabulis vastiebantur (waren bedeckt)"
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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon Zythophilus » Sa 1. Okt 2016, 07:54

Gerade das deutsche Verb "bedecken" entspricht dem lat. tegere sehr gut, nicht nur im Passiv. Es ist gleichwertig, zu sagen "71 % der Erdoberfläche sind von Meeren bedeckt." oder "71 % der Erdoberfläche werden von Meeren bedeckt." Im Aktiv ist die Formulierung "71 % der Erdoberfläche haben Meere bedeckt.", wenn es um den aktuellen Zustand geht, gar nicht möglich.
Hat das deutsche Verb zuerst den Aspekt einer Handlung oder den eines Zustandes?
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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon marcus03 » Sa 1. Okt 2016, 09:01

Zythophilus hat geschrieben:Hat das deutsche Verb zuerst den Aspekt einer Handlung oder den eines Zustandes?


Ist das nicht schlichtweg ein Kontextfrage? :?
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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon Prudentius » Sa 1. Okt 2016, 15:42

D.h. also: ist es Geographie oder ist es Bericht?
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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon Zythophilus » Sa 1. Okt 2016, 16:24

Kontextfrage?

Natürlich kommt es auf den Kontext an, aber das ändert nichts daran, dass tegere wie "bedecken" eben eine Tätigkeit oder einen Zustand beschreiben kann. Der resultative Aspekt ist keineswegs allein dem Passiv eigen, wie der sicher ziemlich bekannte Vers
Met. I 5 hat geschrieben:ante mare et terras et quod tegit omnia caelum
zeigt.
Für geographische Beschreibungen bietet sich tegere an, aber Thisbe, die den Maulbeerbaum anspricht, hat eher nicht Geographie im Sinn, wenn sie sagt
Met. IV 158/8 hat geschrieben:corpus/ nunc tegis unius, mox es tectura duorum
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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon publiovidius » Sa 1. Okt 2016, 23:47

Ich werde mal bei Gelegenheit noch in weiterer Literatur nachschauen, aber ist im ersten Ovid-Vers tegere nicht einfach nur - dem Präsensstamm entsprechend - durativ? Also: Bedeckt (dauernd) vs (hat bedeckt und) bedeckt (immer noch).
Lg, publiovidius

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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon Zythophilus » So 2. Okt 2016, 09:54

Ob man das jetzt "durativ" oder "resultativ" nennt, ist m.E. zweitrangig. Das Verb tegere bedeutet sehr häufig "sich über etwas befinden". Das kann das Resultat davon sein, dass eines über das andere gelegt wurde, aber auch umgekehrt. Wenn der Baum Pyramus' Körper bedeckt (wie in Met. IV 159), dann ist der Körper eindeutig unter den Baum gekommen, wobei dieser sich nicht bewegt hat.
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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon Sokrates » So 2. Okt 2016, 11:09

Salvete,

das Verb bedecken entspricht in der Tat dem lat. tegere. Wichtig ist zum einen die Unterscheidung der Diathese, zum anderen die nach Aktionssart/Aspekt.
Nach meinem Dafürhalten ist bedecken prinzipiell ein transitives Vollverb mit perfektiver Aktionsart, also ein abgeschlossener Vorgang, den ein Subjekt an einem Objekt vornimmt, und eben kein Zustand. (Dass ein Autor dieses von der Aktionsart her perfektive Verb in einem Tempusstamm mit durativem Aspekt verwenden kann, ist ein sekundär.).
Insofern unterscheidet es sich von "paarweise auftretenden" Verben, die lexikalisch (legen transitiv, perfektiv liegen intransitiv, imperfektiv) oder morphematisch-paradigmatisch (wie im Griechischen zu πείθω πέποιθα (älter, starkes Perfekt, intrans. πέπεικα schwache Neubildung, transitiv) alternieren.
Trotzdem ist Verben wie bedecken, umgeben, einschließen.. eine gewisse Ambivalenz in Aktionsart nicht abzusprechen, weil sie eben auch (zumindest in entsprechendem Kontext und mit entsprechender Satzsyntax) einen Zustand ausdrücken können. Man vergleiche das Aktiv mit dem Zustandspassiv, in dem der Muttersprachler den Vergangenheitsaspekt (Aspekt hier im weiteren Sinne!) ausblendet und das Partizip eher zu einem Partizipialadjektiv, also zu einen "Charakteristikum" mit einem Präsens-Verb, wird.
Ich sehe das etwas anders als in dem Paragraphen der "lateinischen Sprachlehre". Sicher, das Zustandspassiv ist geläufiger, aber tegit kann man normalsprachlich durchaus analog mit bedeckt wiedergeben.

Schnee bedeckt die Erde -> Die Erde ist schneebedeckt.

Achtung: Obwohl Schnee Subjekt ist, wird es im Passiv nicht zum Urheber, sondern eher zum Mittel, was man daran erkennt, dass sich das Verbalkompositum weniger mit "von Schnee" als Urheber, sondern "mit Schnee" als Mittel auflösen lässt.

Dies "deckt" sich mit der scharfen Beobachtung Welkes, dass im Aktiv eine Metapher vorliegt, die ein "Vehikel" sei, um aus einem originären Vorgangsverb ein Zustandsverb zu machen, cf. KLAUS WELKE, Tempus im Deutschen: Die Rekonstruktion eines semantischen Systems, S.144 und S. 145 oben, abrufbar über Google Books.
https://books.google.de/books?id=QP2SmnvmBmcC&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false

LG, Sokrates
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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon publiovidius » Do 13. Okt 2016, 23:14

Hallo,

habe aus Zeitgründen erst jetzt wieder hier richtig reingeschaut. Danke, lieber Sokrates, für deine Ausführungen!
Lg, publiovidius

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Re: Informationen zu resultativem Aspekt des Passivs

Beitragvon Prudentius » So 16. Okt 2016, 17:31

Zythophilus hat geschrieben:Hat das deutsche Verb zuerst den Aspekt einer Handlung oder den eines Zustandes?


Die Frage kann man nicht beantworten; wenn es in einem Bericht steht, hat es den einen Aspekt, und wenn in einer Beschreibung, den anderen.

Nicht alle Verbformen enthalten einen Zeit-Parameter, bei "1 + 1 ist 2" ist es sinnlos, von Gegenwart oder durativ/resultativ zu sprechen. Bei den Partizipien geht das Verbum in ein Nomen über, es verliert also das Temporale; "imperator laudatus" ist ungefähr wie "imperator clarus", es gibt eine Eigenschaft wieder.
Ich würde also manchmal lieber statt "resultativ" und "durativ" "zeitlos" sagen.
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