Frage zu einer Tacitusstelle

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Frage zu einer Tacitusstelle

Beitragvon marcus03 » Do 6. Okt 2016, 08:57

Mos habebatur principum liberos cum ceteris idem aetatis nobilibus sedentis vesci in aspectu propinquorum propria et parciore mensa. illic epulante Britannico.

Müsste es nicht eiusdem lauten? :?
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Re: Frage zu einer Tacitusstelle

Beitragvon Medicus domesticus » Do 6. Okt 2016, 09:41

Salve,
Denk an solche Verbindungen wie id aetatis mit dem partitiven Genetiv ... ;-)
Z.B. homo id aetatis, statt eius aetatis
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Re: Frage zu einer Tacitusstelle

Beitragvon Willimox » Do 6. Okt 2016, 09:48

Das niedrigfrequente Phänomen ist als accusativus graecus in einschlägigen grammatischen Untersuchungen erfasst. Selbst hier bei einer eher attributiven Wendung spricht man von einem solchen Akkusativ.....
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Re: Frage zu einer Tacitusstelle

Beitragvon marcus03 » Do 6. Okt 2016, 09:57

Besten Dank. :D Dass es das auch als Genitivattribut gibt wusste ich nicht und begegnet mir zum ersten Mal. :-o
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Re: Frage zu einer Tacitusstelle

Beitragvon Willimox » Do 6. Okt 2016, 10:04

Bei LHS etwa findet sich der Hinweis auf solche hapaxnahen :wink: Phänomene.
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Re: Frage zu einer Tacitusstelle

Beitragvon Medicus domesticus » Do 6. Okt 2016, 10:14

So selten ist das Phänomen id aetatis u.a. gar nicht. Kommt bei Cicero, Seneca, Tacitus und auch im Altlatein bei Plautus usw. vor ...
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Re: Frage zu einer Tacitusstelle

Beitragvon Willimox » Do 6. Okt 2016, 10:20

Als adverbialer Akkusativ mit dem Stellenwert eines Ablativs selten, aber eben durchaus. Als attributive Konstruktion "habaxnah" :wink:
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Re: Frage zu einer Tacitusstelle

Beitragvon Medicus domesticus » Do 6. Okt 2016, 10:35

Achso, du meinst diese spezielle Verbindung. Im Netz kann man die Infos darüber im LHS nachlesen.
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Re: Frage zu einer Tacitusstelle

Beitragvon Willimox » Do 6. Okt 2016, 10:46

LHS oben erwähnt :)
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Re: Frage zu einer Tacitusstelle

Beitragvon Prudentius » Do 6. Okt 2016, 10:49

ceteris idem aetatis nobilibus


In meiner grammatischen Eigenwilligkeit möchte ich ja nicht nur einzelne Kasus sehen, sondern die Kraftlinien, die den Satzorganismus beleben. Also Marce, hier nicht Kongruenzrelation von aetatis zu idem, wie du es erwartet hast, sondern umgekehrt, das idem ist das regierende Element, das eine Kasusrektion (partitiver Gen.) auf aetatis ausübt.
Dass ein solcher Akk. der Beziehung (id) als Attribut zu nobilibus auftritt, ist kühn, aber es ist gemildert durch die Klammerstellung von ceteris nobilibus, so dass ein kompakter Wortblock entsteht.
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Ein Befund von Pseudoprudentius

Beitragvon Willimox » Do 6. Okt 2016, 12:35

Oh, um mich ein bisschen zu parodieren und euch mit meinen grammatischen Eigenwilligkeiten zu amüsieren und hoffentlich für sprachliche Analysen zu enthusiasmieren, müsst ihr euch die Akkusativ-Phrase "idem aetatis" (s.u., blau, eingerückt) vom Verb losgelöst vorstellen. Also kein enger Bezug zu "habebatur", "sedentis" oder "vesci".

Aber nicht ganz so absolut wie der Ablabs. Der erinnert ja an einen absolutistischen Herrscher, so frei und fast völlig losgelöst, wie er über dem Restsatz schwebt und interagiert mit all diesen funkelnden Kraftlinien der Noosphäre und speziell der Sprache.

Mos habebatur principum liberos cum ceteris idem aetatis nobilibus sedentis vesci in aspectu propinquorum propria et parciore mensa. illic epulante Britannico......

Allerdings ist der Akkusativ "idem aetatis" nicht nur absolut und absolutistisch anmutend, wenn auch in geringerem Maße als der absolute Ablativ,
sondern er ist auch syntaktisch gezähmt und gleichsam syntaktisch- ästhetisch eingesäumt und eingefriedet:

Man kann nämlich - erster Punkt - bei "idem aetatis" eine Form von "natus" ergänzen , also wird "natis" daraus. Und so wirkt dann "idem aetatis (natis) " auch ein wenig adverbial in seiner Beziehung zu "natis" und nicht nur kühn attributiv zu dem Ablativ "nobilibus".

Nun ist ja zweitens "idem aetatis" auch kombiniert mit "cum ceteris .... nobilibus", mittig gesetzt, und erscheint dadurch gerahmt . Es verliert so seine dominierende Sonderstellung und schmiegt sich in die Präpositionalphrase und mittels dieser in den umfangenden Satzorganismus ein. Das steile Verhältnis wird flacher, ohne an Tiefe und Ausdruckskraft zu verlieren. Es wird facettenreich und komplex.

Inwiefern? Ihr müsst das modellierte Bild beachten, das der Text von der Jungengruppe entwirft. Da werden die adligen gleichaltrigen (!) Sprösslinge luxusfern und ohne Hierarchie , sozusagen "demokratisch" platziert. Sie nehmen eine Position ein, die sie als einander gleichwertige Jugendliche von gewöhnlichen Vertretern der menschlichen Spezies und ihrer Altersgruppe kaum abhebt. Adelige Herausgehobenheit und humanoide Angleichung. Eine Konkordanz zwischen Inhalt und Ausdruck, zwischen Wie und Was. Nein? Richtig: zwischen Was und Wie.

Also sind hier in der Syntax und in der Semantik und in der Pragmatik der Weltschau diejenigen Kraftlinien von Sprache und wirklicher Welt am Werk, welche auch zunächst unerkannt ihren "Meister loben" (Schiller) . Und die es vermögen, unverborgen/in der Wahrheit (Heidegger) Bewunderung zu erregen. Bewunderung und Staunen für die Welt und ihre soziokulturelle Ausstattung. Und für ihren indirekt fassbaren Macher, sei er theistisch oder deistisch oder pantheistisch zu denken. Das ist der Anfang jeglicher Philosophie und ihr Urgrund zugleich.

:klatsch:

P. S.

Und was bliebe da noch alles zu sagen, wenn man das Partizipium coniunctum betrachtet, das mit "liberos" und "sedentis/sedentes" einen weiteren Rahmen aufmacht?

liberos cum ceteris idem aetatis (natis) nobilibus sedentis

At iam multum est.

P.P.S.

Übrigens gibt es diesen "absolutistischen" Akkusativ auch im Deutschen. Als ich bei eher kursorischer Lektüre von Schlagzeilen in Zeitungen und Buchtiteln auf Werken moderner Autoren vor kurzem einen Blick warf in (!) den Grass-Roman "Die Blechtrommel" (Grass, Grasser, Günter Grass, es lässt sich doch ein Nomen steigern), stieß ich per Zufall auf den weiter unten folgenden Satz und blieb daran hängen. Als ich das Buch schloss, dachte ich. Nun, Dante schreibt anders und besser, auch wo er Niederungen und Gewöhnlichkeiten präsentiert. So schien mir denn auch vor allem Grammatisches bei Grass von Interesse im nun zitierten Satz:

"Die Greffsche im Nachthemd, den Kopf voller Lockenwickler, ein Kopfkissen vor der Brust haltend, zeigte sich im Kasten über den Eisblumen."

Da ist er drin, der absolute Akkusativ, und ein zweiter, nicht absoluter. Du solltest erkennen, welches der absolute Akkusativ ist. Ja richtig, dein Blick schweift ab auf den Autor und seinen Schnauzbart samt Pfeife. Der Autor wirkt grämlich. Seine katholische Kindheit war ihm keine lebensfreundliche Stütze. Aber ich schweife ab. Wie also lautet der "absolutistische" Akkusativ?

P.P.P.S.

Andererseits, wenn ich es recht bedenke, ist vielleicht so zu interpolieren: (... sie hatte ) den Kopf voller Lockenwickler .... Dann ist das vielleicht doch nicht ....

Nun, da müsst jetzt ihr - den Kopf voller Lockenwickler im übertragenen Sinn - das reflektieren, was sich an Logik im Lockenwickler- Logos fruchtbar verbirgt. Hebammenkunst ist angesagt. Man darf gespannt sein, was Brakbekl unter Hebammenkunst versteht, was er nachfragt und sine metu gemäss dem Gesetz, nach dem er angetreten (Goethe), beizutragen weiß.

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