Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

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Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon Sternenkind » Sa 5. Nov 2016, 23:17

Guten Abend,

kann mir jemand weiterhelfen. Ich suche etwas zur Grammatik im 18. Jahrhundert :-/ ich denke, da haben sich einige Regeln gelockert. Kann mir jemand dazu bitte einen Link empfehlen oder mir weiterhelfen? :-) Meine Suche blieb bislang erfolglos. Ich möchte insbesondere wissen, ob der Konjunktiv in den indirekten Fragesätzen durch den Indikativ ersetzt wurde.

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Re: Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon Zythophilus » Sa 5. Nov 2016, 23:31

Im 18. Jh. war Latein schon lange nicht mehr Muttersprache. Wer ein lateinischen Text publizierte, achtete i.d.R. auf die antiken Grammatikregeln, mögen auch Fehler passiert sein. Neue Regeln wurden in der Neuzeit nicht eingeführt.
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Re: Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon ille ego qui » Sa 5. Nov 2016, 23:32

Die Regeln haben sich nie gelockert; wann immer wirklich gebildete Menschen Latein schrieben, taten sie das korrekt und mit Konjunktiv in der indirekten Rede (nebenbei: es gibt bei Cicero Ausnahmen von dieser Regel).

;-)
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Re: Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon Prudentius » So 6. Nov 2016, 11:02

Der Konjunktiv in diesen Sätzen hat einen guten Grund, denn bei "Stimmt das?" bist du direkt gefragt und musst ja oder nein antworten, dagegen bei "Ich weiß nicht, ob das stimmt" brauchst du nicht zu antworten.

Wenn bei Cicero der Ind. in solchen Fragen steht, dann ist es eben kein Teil des Fragesatzes; wahrscheinlich geht es um Relativsätze in indir. Fragen.
Kann sein, dass im älteren L. diese Konjuktivregelung noch nicht gilt.
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Re: Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon Sokrates » So 6. Nov 2016, 12:57

Salvete,

dass in der Nachzeit der Klassik (bis ins Neulateinische) die Sprachstufe eingefroren wurde (und "neue Regeln" eher als eigene Fehler zu deuten sein dürften), um von jeder Generation aufs neue zum Leben erweckt zu werden, freilich ohne dass dabei die Vollendung des Idiolekts Cicero erreicht worden wäre, ist offensichtlich.
Was den Konjunktiv im indirekten Fragesatz betrifft, ist er zu Ciceros Zeiten voll ausgebildet und grammatikalisiert, ganz im Sinne der Meinungswiedergabe Dritter, was sich in der Verwendung als Coni. obl. mit bzw. innerlicher Abhängigkeit äußert. Nur ist diese Semantik des Konjunktivs eine auf Nebensätze beschränkte, die sich in der Entwicklung der Unterordnung der Frage und überhaupt aller Sätze erst ausbilden musste.
Ihren Ausgangspunkt hat diese Art des Konj. in dessen ursprünglichen semantischen Funktionen, wie sie im Hauptsatz (der Aussage und Frage) vorkommen, also etwa Potentialis, Dubitativ, Jussiv, Coni. indignationis.
Diese wurden in o.g. neue Bedeutung eines "prototypischen" indirekten Fragesatzes umgedeutet und generalisiert.
Im Altlatein (und wieder im Spätlatein) ist der Indikativ noch ganz lebendig, wenn auch nie vorherrschend (soweit uns durch Inschriften und die Szenikerüberliefert).

Cf. LHS, § 294, a, α- δ; b
4 Fälle des Indikativ werden unterschieden, u.a. der nach "vifen" etc., die als halbinterjektionale Hinweise auf den folgenden Fragesatz gedeutet werden, als affektiver Ausruf vor einer indikativischen Frage, ein Gebrauch, der auch bei Cicero zu finden sei, Cic. Att. 1, 1, 4: viden... in quo curse sumus?. Der Konjunktiv wurde natürlich regelmäßig, aber auch in der Klassik finden sich sonderbare Indikative, die sich nicht leicht in die 4 Fälle einordnen lassen.

Harm Pinkster, Oxoford Latin Syntax I,
7.133 "In indirect questions, the subjunctive is the statistically dominant mood in all periods of Latin"
Der Konsekutiv wird aus den Hauptsatzsemantiken hergeleitet (s.o.)
7.134 auch hier wie er Indikativ festgestellt, und zwar in 3 Fällen,
i) 1. Person von bestimmten Verben wie quaero, rogo, volo scire
ii) 2. Person in Sätzen mit "illocutionary force"
iii) nach Imperativen wie dic mini
dagegen stehe nach o.g. durchaus auch der Konjunktiv, sofern es sich beim Prädikat des Hauptsatzes um eines handelt, das eine echte Frage, also den Wunsch nach Information, impliziert.
7.137 Hier wird festgestellt, dass es bemerkenswert ist, dass eine recht kleine Gruppe mit "gerechtfertigten" Konjunktiven die größere Gruppe der Indikative im ind. Fragesatz hat verdrängen können. Auch hier wird darauf verwiesen, dass sich die Verhältnisse nachantik umkehren.

ähnlich KSt § 227, bes. 3 a und b, 4 a und b!

mehr synchron sind Christian Tournier, Lateinische Grammatik, § 548, in dem der Konjunktiv im ind. Fragesatz als Signifikant des Subordinationsmorphems bezeichnet wird, der zum einen spätlateinisch schwinde, zum anderen mit dem Möglichkeitsmorphem (als Potentialis, Dubitativ) zusammenfallen könne.

Friedrich Heberten, Lateinische Syntax 2, (Skript) äußer sich an verschiednen Stellen ähnlich,
Calboli (Die Modi des lateinischen und griechischen Verbums, Lustrum Band 54, S. 97- 110) führt viele zusammen und referiert auf die Montague-Grammatik, dies sprengt hier den Rahmen und hat keine Berechtigung für unserer Frage hier.


Vielleicht hilft das weiter? :nixweiss:

LG, Sokrates
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Re: Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon Willimox » Mi 9. Nov 2016, 14:13

Sokrates wird sicher nichts dagegen haben :chefren: , wenn hier eine seiner guten Referenzangaben präzisiert wird.

Die linguistisch Interessierten finden eine stupend ausgearbeitete Vorlesungsreihe der Uni Eichstätt (Friedrich Heberlein, nicht Friedrich Heberten) unter

http://www.ku.de/fileadmin/1305/Philologie/Lehre/Syntax/

Bild

http://edoc.ku-eichstaett.de/130/1/Heberlein_time.pdf

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Re: Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon Sokrates » Mi 9. Nov 2016, 14:26

Salve Willimox,
im Gegenteil, dieser Sokrates erfreut sich daran, wenn andere den Blick zu weiten wagen und die Linguistik miteinbeziehen :lol:
Natürlich sind aktive Sprachbeherrschung und souveräner Umgang mit den Texten in den alten Sprachen das oberste Ziel, aber ab und an kann es durchaus nützlich sein, sich der allgemeinen Sprachwissenschaft zuzuwenden, die uns so manches mal eine Hilfe ist.
Im Übrigen meinte ich natürlich Heberlein, hier, wie auch in diversen anderen (lateinischen) Beiträgen von mir, wird meine einigermaßen beherrschte Orthographie und Morphologie vom Programm ernsthaft gefährdet. :pc:
Seine Skripte sind gut, wenn auch manchmal fehlerhaft und etwas zu vereinfachend, soweit ich mir mit meinem begrenzten Horizont diese Einschätzung erlauben kann, jedenfalls aber bieten sie wichtige neue Impulse in Anlehnung an die lateinische Linguistik.

LG,
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Re: Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon ille ego qui » Do 10. Nov 2016, 08:23

Prudentius hat geschrieben:Der Konjunktiv in diesen Sätzen hat einen guten Grund, denn bei "Stimmt das?" bist du direkt gefragt und musst ja oder nein antworten, dagegen bei "Ich weiß nicht, ob das stimmt" brauchst du nicht zu antworten.

Wenn bei Cicero der Ind. in solchen Fragen steht, dann ist es eben kein Teil des Fragesatzes; wahrscheinlich geht es um Relativsätze in indir. Fragen.
Kann sein, dass im älteren L. diese Konjuktivregelung noch nicht gilt.



Indirekte Fragen stehen, würde ich sagen, im obliquen Konjunktiv (wie etwa auch Nebensätze innerhalb der indirekten Rede), da sie aus fremdem Munde stammen und sozusagen zitiert werden. Daraus ergibt sich meist, dass man selbst keine Antwort darauf möchte - aber ich weiß nicht, ob man dies zum Wesenskern dieses Konjunktivs erklären sollte. Vgl.:

Dic mihi, quid feceris! ;-)

Also allein schon aus didaktischen Gründen hätte ich da meine Bedenken.
Deine Überlegungen zu den indikativischen Relativsätzen - es wäre hier besser gewesen, zunächst nach Belegen zu sehen, und dann zu spekulieren - werden sich wohl bei der Durchsicht konkreter Stellen nicht bestätigen. Hast du den neuen Menge zur Hand? Ich leider gerade nicht, aber dort finden sich Belegstellen und Erklärungen zum Phänomen.
Ich rechne eher mit einer gewissen "Toleranz", was die Konjunktivpflicht angeht, als gleich die Semantik betroffen zu sehen (aber darüber kann man anhand von Belegen (!) ja disktuieren). Auch im Deutschen ist ja der Konjunktiv in der Indirekten Frage mehr und mehr fakultativ.

Vale(te).
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Re: Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon Prudentius » Do 10. Nov 2016, 10:47

Wir können uns nicht verständigen, weil wir von unterschiedlichen Grammatikvorstellungen ausgehen, du bist ein Belegstellengrammatiker, und ich bin ein Systemgrammatiker. Was man machen könnte: eine komplementäre Denkweise versuchen, sich dem Gedanken öffnen, die Gegenseite könnte auch Argumente haben, die Begrenztheit des eigenen Standpunktes einsehen, zur Revision bisher hochgehaltener Positionen bereit sein. Ich also "schwebe in der Luft", "spekuliere" über Regeln, ehe die Belege erfasst sind. Du gehst von den Belegen aus, bedenke, dass sie vieldeutig und sporadisch sind; Belege sind immer Belege für ..., und um dieses zu bestimmen, muss man ein Systemganzes im Kopf haben, in das man das Einzelne integrieren kann.

"Dic mihi, quid feceris! ;-)",

Das ist ein gutes Beispiel, das kann man der direkten Frage gegenüberstellen: Quid fecisti? Die Aufforderung zu antworten ist hier implizit gegeben, während sie mit dem dic explizit gemacht ist; "quid feceris" enthält keine Aufforderung zu antworten, diese ist ja herausgelöst.

Der Konj. der ind. Frage ist im D. entbehrlich, da wir ja dafür auch noch die Inversion der Wortstellung Haben: "Wer bist du" gegenüber "wer du bist"; obendrein unterscheiden wir auch noch durch Setzen oder Weglassen des Fragezeichens.

Auch im L. ist dieser Konjunktiv fakultativ, wir wissen ja, auch sonst werden nicht alle grammatischen Merkmale sprachlich markiert.
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Re: Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon ille ego qui » Do 10. Nov 2016, 15:29

Ich tendiere dazu, das System aus dem Sprachmaterial/Belegen zu gewinnen und dieses System wieder an Belegen zu überprüfen. Eine gewisse Erdung ist wohl nötig, um tatsächlich nicht in der Luft zu schweben.
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Re: Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon ille ego qui » Fr 11. Nov 2016, 01:39

(korrigiert ^^)
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Re: Latein im 18. Jahrhundert - Grammatik

Beitragvon ille ego qui » Fr 11. Nov 2016, 01:39

(korrigiert ^^)
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