heu me Linguam Latinam

Das Forum für professionelle Latinisten und Studenten der Lateinischen Philologie

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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon Medicus domesticus » Mo 3. Jul 2017, 18:29

Ein Grund, Tiberis, sind leider die "verstaubten" Fakultäten der Latinistik. Habe es ja selbst erlebt. Modernisierung ist schwer durchzusetzen, man glaubt ja, alles ist o.k. Ein Problem war der Lehrermangel in diesem Fach mit vielen unqualifizierten Lehrern. Man lebte und ernährte sich aus den fetten Jahren. Schüler der heutigen Generation (einschließlich meiner Kinder, die zwischen 13 und 18 Jahren sind) wollen etwas anderes, in gewisser Weise eine Moderne, die nicht geboten wird und führt dadurch zu einer Enttäuschung. Die alten Methoden deiner und meiner Generation greifen da nicht mehr. Die Medienstruktur und Globalisierung heute (Internet u.a.) ist so verschieden gegenüber unserer Zeit, dass eine "Modernisierung" des Lateinischen dringend notwendig ist, um zu bestehen. Wir haben das ja schon vor Jahren angemahnt, ich auch und andere, ...und jetzt kommt die Realität :roll:
Die Latinistik besteht hauptsächlich (zu über 90%) durch die Lehrerausbildung. Im Griechischen ist sowieso schon vieles verloren. Wenn Latein im Gymnasium wegbricht, ist das Fach verloren...und auch das Studienfach, da es keine Alternativen im Beruf mehr offeriert. Das sollte man bedenken...
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Mo 3. Jul 2017, 22:15

Medicus domesticus hat geschrieben:Sogar die "Lateinfreaks" in der Abschlußklasse, die ich kenne und mit denen ich gesprochen habe, sahen Latein eher als Mittel zum Zweck für eine gute Note.. ;-) Keiner aus der Klasse (über 60 Schüler) möchte Latein studieren.


»Meine« Oberstufenlateinklasse (tolles Wort...) ist da auch ganz nett. Unter den zwanzig Schülern ist es vielleicht ein Viertel, das wirklich Ahnung hat (und halbwegs übersetzen kann). Der Rest möchte sich seine Abiturpunkte wohl, wenn überhaupt, durch Interpretationen (eher am übersetzten Text) holen.

Ergo: Von geschätzt der Hälfte der Schüler, die in der Mittelstufe Latein besucht haben, bleibt kaum ein Drittel bei Latein, und von diesem haben viele (ist leider so) nicht viel Ahnung. Vielleicht hat man mehr Hoffnung auf eine gute Note als in den »Konkurrenzangeboten« Englisch, Physik, Biologie, Chemie. Die »Lateinfreaks« sind aber so spärlich gesät, dass man die mit wenig Ahnung braucht, um überhaupt einen Kurs zustandezubringen. Dass man da nicht unbedingt einen für ein Lateinstudium findet, ist klar, nur wenige können es wirklich, aber dadurch sind sie ja noch nicht gleich als Lehrer geeignet (ähm...), und andere Stellen sind rar gesät. Aber wenn selbst von sechzig Schülern an einem humanistischen Gymnasium (ist doch eines?) keiner interessiert ist. Puh.
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon Tiberis » Mo 3. Jul 2017, 23:28

Medicus domesticus hat geschrieben:Schüler der heutigen Generation (einschließlich meiner Kinder, die zwischen 13 und 18 Jahren sind) wollen etwas anderes, in gewisser Weise eine Moderne, die nicht geboten wird

Das ist selbstverständlich ein legitimer Anspruch, der eigentlich außer Streit stehen sollte. Leider hat Latein, wohl mehr als jedes andere Fach, ein verstaubtes und altmodisches Image. Nicht zuletzt aufgrund der Persönlichkeitsstruktur und des äußeren Erscheinungsbildes unzähliger Lateinlehrer, für deren Schrulligkeit und Pedanterie der Gymnasialunterricht gleichsam als geschütztes Biotop fungierte. Mag man auch heute diesen Typus eines Altphilologen deutlich seltener antreffen, leidet doch das Prestige des Faches Latein unter der kontinuierlich geringer werdenden fachlichen Qualifikation der Lehrenden. Fachlich und allgemein umfassend gebildete Lateiner - mir fällt gerade die Romanfigur des Raimund Gregorius im "Nachtzug nach Lissabon" ein - sind heute wohl schwerer zu finden als die berühmte Nadel im Heuhaufen. Gerade sie aber wären geeignet, das Ruder des sinkenden Schiffes herumzureißen und die Schüler allein durch ihre Persönlichkeit für das Fach zu begeistern.
Darüber hinaus kann sich ein zeitgemäßer, also "moderner" Lateinunterricht nicht auf die Antike beschränken, sondern wird immer versuchen, durch entsprechende Textauswahl einen Bezug zur Gegenwart herzustellen und also die Schüler unmittelbar anzusprechen. Caesars Bellum Gallicum kann todlangweilig sein, wenn man sich auf stumpfsinniges Übersetzen irgendwelcher Kampfhandlungen beschränkt, aber es ist brandaktuell, wenn man an seinem Beispiel die Schüler , bezugnehmend auf Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit, für allgemeingültige Verhaltensmuster von Menschen und Mächten sensibilisiert.
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon marcus03 » Di 4. Jul 2017, 10:35

cultor linguarum antiquarum hat geschrieben: aber dadurch sind sie ja noch nicht gleich als Lehrer geeignet

Wenige sind (wirklich) berufen, noch weniger sind auserwählt. (vgl. Mt. 22,14) Und es werden noch weniger trotz oder wegen der Auswahlverfahren, die mancherorts dem Lehramtsstudium mittlerweile vorgeschaltet werden, um das Schlimmste/ die Schlimmsten zu verhüten.

Was haben der Beruf des Lehrers und Bankers heutzutage gemein? Fast keiner wills mehr werden. Der eine rennt gegen Widerwillen der Schüler und den ernüchternden Schulbetrieb an, der andere ist zum reinen Verkäufer verkommen.
Beide bieten Produkte an, deren Sinn oft schwer vermittelbar ist. Der eine geht dabei seelisch vor die Hunde,
der andere muss seine Seele verkaufen, um überhaupt etwas loszuwerden.
Dem einem macht Null-Bock das Leben schwer, dem anderen Null-Zins. Dabei ist doch Bildung die beste Investition. Strange, brave new world! :?
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon consus » Di 4. Jul 2017, 11:36

Tiberis scripsit / hat geschrieben:... Mirum quidem non est, quod Latinitas in tanto versatur discrimine, si nos ipsi lingua Latina , cuius cultores custodesque habemur, rarissime tantum utimur. ... Latinitatem colamus ad libertatem nostram servandam!
Addere quid possim verbis sum nescius illis
Iure quibus tractas rem meritoque flagrans.
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon marcus03 » Di 4. Jul 2017, 12:07

consus hat geschrieben:meritoque flagrans.


Tiberim nostrum "in flagranti" deprehendisti videris:

https://www.google.de/search?q=brennend ... 76Ry4CqXuM:

:lol:
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon Prudentius » Di 4. Jul 2017, 15:51

Ein Kritikpunkt ist ja der langweilige Übersetzungsunterricht; da lohnt es sich, einmal nach den Ursachen zu fragen; die liegen in dem Klassizismus der Gründerzeit des hum. Gymnasiums bei den Winckelmann und Humboldt; man sah in den vollendeten Werken der Antike strahlende Meisterwerke, die selbst auf die Schüler wirken sollten; überflüssig, dass der Lehrer dann auch noch etwas erklären sollte; man musste nur die Schüler der Wirkung der Ideale aussetzen, das vollendete Menschentum in ihnen sollte von selbst verwandelnd auf sie einwirken. So kam es, dass in diesem Unterricht nie der Schüler selbst mit seinen Fragen hervortrat; man war gar nicht darin geübt, über das Gelesene inhaltlich zu sprechen, es auf den eigenen Nenner zu bringen, in den eigenen Code zu transkribieren, gar zu kritisieren.

Das wurde mir in den 1970er Jahren bewusst, als der Unterricht in Bayern auf die Kollegstufe umgestellt wurde. Auf einmal wurden ganz neuartige Fragestellungen eingeübt: Nehmen Sie Stellung, bewerten Sie, vergleichen Sie; stellen Sie in einen Zusammenhang, erläutern Sie! Es war alles sehr ungewohnt, aber es war sehr fruchtbar.
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon LaniusCollurio » Fr 7. Jul 2017, 13:46

Tiberis hat geschrieben:
LaniusCollurio hat geschrieben:Si sententiam "Er verbindet sich aber auch gerne mit seiner Geliebten" in Linguam Latinam convertam, sententiam debeam convertere ita; Autem amicae/cum amica libenter coniugitur.....ergo Translatio medii/passiviian etiam sententiam possum converter cum verbo coniugit......Translatio sine sententia medii/passivii?


o statum huius fori* miserrimum, in quo de talibus agatur ineptiis! :(

* scil. philologiae Latinae


Was sollen solche Bemerkungen bewirken? Ist das der vielbeschworene Humanismus?
Spott über den Unwissenden.
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon Medicus domesticus » Fr 7. Jul 2017, 14:06

Diese elendige Besserwisserei, ist ein Markenzeichen der "alten Latinistik". Auch heute noch manchmal üblich. Nur bricht ihnen langsam die "Gefolgschaft" weg: Ich bin gespannt, wieviele noch Latein wählen werden in unserem Gymnasium: Es könnte auch langsam gegen null gehen, wenn es so weitergeht...
Prudentius hat geschrieben:Das wurde mir in den 1970er Jahren bewusst, als der Unterricht in Bayern auf die Kollegstufe umgestellt wurde. Auf einmal wurden ganz neuartige Fragestellungen eingeübt: Nehmen Sie Stellung, bewerten Sie, vergleichen Sie; stellen Sie in einen Zusammenhang, erläutern Sie! Es war alles sehr ungewohnt, aber es war sehr fruchtbar.

Ja, o.k. Mein LK Latein war 1986/88. Der Unterricht war gut, 6 Stunden pro Woche, aber warum? Es war lehrerabhängig. Unser Lateinlehrer im LK war der beste und anerkannteste der Schule. Das war der Unterschied.
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon marcus03 » Fr 7. Jul 2017, 14:15

Medicus domesticus hat geschrieben:Es war lehrerabhängig.

Welches Fach ist das nicht? In Mathe ist es vllt. noch schlimmer, wenn man eine pädagogische Niete vor sich hat.
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon Medicus domesticus » Fr 7. Jul 2017, 14:19

marcus03 hat geschrieben:
Medicus domesticus hat geschrieben:Es war lehrerabhängig.

Welches Fach ist das nicht? In Mathe ist es vllt. noch schlimmer, wenn man eine pädagogische Niete vor sich hat.

Ita est.
Im LK Mathematik hatten wir auch in dem Sinne Glück, weil wir einen sehr jungen Lehrer hatten, der fit in Stochastik/Wahrscheinlichkeitsrechnung war (Infinitesimalrechnung und Analytische Geometrie waren nicht so das Problem). Im LK darüber war das Ganze ein Chaos, da der Lehrer nicht mehr dazulernen wollte..
Aufgrund von einigen Mathefreaks wurden aber Lehrer regelrecht verbessert und zurechtgerückt. Ein gewisser "Korrekturfaktor"... ;-)
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon LaniusCollurio » Fr 7. Jul 2017, 14:31

Nur woher kommt eine solche Aroganz und Überheblichkeit? Ist es wirklich eine so große Leistung, das Glück gehabt zu haben, einem wohlgeordneten, bildungsliebenden Haushalt zu entstammen, ein humanistisches Gym. besucht zu haben, um dann mit dem Finger auf das dumme Fußvolk zu zeigen.

Wenn derartige Personen zum Kreis der Altphilologen zu zählen sind, dann dürfen sie gerne aussterben.
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon marcus03 » Fr 7. Jul 2017, 14:39

Medicus domesticus hat geschrieben:weil wir einen sehr jungen Lehrer hatten, der fit in Stochastik/Wahrscheinlichkeitsrechnung war (Infinitesimalrechnung und Analytische Geometrie waren nicht so das Problem).

Dann müsste doch das In Klammern Stehende eigentlich das Problem gewesen sein,oder?
Oder willst du etwas anderes damit sagen (dass diese Bereiche ohnehin kein Problem waren)? :?
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon Medicus domesticus » Fr 7. Jul 2017, 14:42

Ja, Infintesimalrechnung und Analytische Geometrie waren ja altes Geschäft der Mathelehrer. Stochastik war neu für viele Mathelehrer, da sie es im Studium kaum hatten damals, Es gab Fortbildungen für die älteren Lehrer...
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Re: heu me Linguam Latinam

Beitragvon marcus03 » Fr 7. Jul 2017, 14:59

Medicus domesticus hat geschrieben:Ja, Infintesimalrechnung und Analytische Geometrie waren ja altes Geschäft der Mathelehrer.

Da läuft ja alles mehr oder weniger nach Schema F. In Stochastik muss man schon etwas mehr Vorstellungsvermögen und Kreativität mitbringen bei den Aufgaben als etwa bei einer stupiden Kurvendiskussion, die noch dazu meist ohne jeden praktischen Bezug abzuspulen ist.
Wie sagte mir einmal ein Mathelehrer: Der Sinn der Mathematik besteht nicht darin,praktische Aufgaben zu lösen, sondern logisch denken zu lernen.
Da mag er auch Recht haben. Nur motivierend ist das für die meisten Schüler nicht, ganz im Gegenteil.
Da liegt wohl noch mehr im Argen als in Latein, auch wenn immer mehr Aufgaben mit Alltagsbezug zu beobachten sind. Hat verdammt lange gedauert, bis die Herrn im KuMi das auch mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten begonnen haben, nämlich der der betroffenden Otto-Normal-Schüler. Dabei ist doch diese die naheliegende, wenn man den gesunden Menschenverstand einschaltet.
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