Ovidstelle

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Ovidstelle

Beitragvon marcus03 » Di 5. Sep 2017, 09:56

Illa dies fatum miserae mihi dixit, ab illa
pessima mutati coepit amoris hiemps,
qua Venus et Iuno sumptisque decentior armis
venit in arbitrium nuda Minerua tuum.

Für die markierte Stelle gibt es sehr unterschiedliche ÜSen/Interpretationen.
Wie sumptis decentior armis genau zu verstehen? Ich gehe von einem abl, causae aus. Korrekt?
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Re: Ovidstelle

Beitragvon Tiberis » Di 5. Sep 2017, 11:51

ich sehe sumptis armis eher als abl. comparativus: nuda decentior sumptis armis > nackt anmutiger als mit angelegter Rüstung
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Re: Ovidstelle, her. 5, 33-36

Beitragvon consus » Di 5. Sep 2017, 13:24

:hmmm: Im Unterschied zu Tiberis (ignosce quaeso, amice) tendiere ich zu Marcus' Deutung. Mein vielleicht etwas weit hergeholter Grund: Wenn man sich einige Darstellungen des Iudicium Paridis in der bildenden Kunst ansieht, kann man m. E. gut nachvollziehen, weshalb Ovid die Minerva nuda, also depositis vestibus und zugleich sumptis …. armis auftreten lässt: Der tenerorum lusor amorum fühlt dank seines sicheren Gespürs für erotische Wirkungen, dass die hüllenlose Minerva ihre Reize mit dem Helm auf dem Kopf und der Lanze in der Hand dank dieses wirkungsvollen Kontrastes noch intensiver zur Geltung bringt.
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Re: Ovidstelle

Beitragvon marcus03 » Di 5. Sep 2017, 13:55

Tiberis hat geschrieben: nuda decentior sumptis armis > nackt anmutiger als mit angelegter Rüstung

Kann ein abl. abs. als abl. comparat. fungieren? :-o
"decentior armis sumptis" hieße doch "anmutiger als die angelegten Waffen", oder? :?
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Re: Ovidstelle

Beitragvon Tiberis » Di 5. Sep 2017, 17:23

consus hat geschrieben:tendiere ich zu Marcus' Deutung


Conso Marcoque amicis suis sal.

re iterum perpensa fateor me erravisse. :oops: nescioqua de causa putavi fieri non posse, ut sumptis armis quaelibet mulier venusta esset :D . nescio an errori cuidam succubuerim Freudiano ... :lol:
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Re: Ovidstelle

Beitragvon consus » Di 5. Sep 2017, 20:14

Tiberis scripsit / hat geschrieben:... nescioqua de causa putavi fieri non posse, ut sumptis armis quaelibet mulier venusta esset ...
Nonne notae tibi sunt Amazones?
:lol:
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Re: Ovidstelle

Beitragvon Zythophilus » Di 5. Sep 2017, 21:01

Normalerweise möchte man meinen, dass der Durchschnittstrojaner nicht so auf Damen in Waffen stand, aber zu Minerva gehören die nun einmal dazu. Meint es Ovid in den Worten der Nymphe vielleicht insgeheim ironisch oder meint er das decentior doch ernst, weil die Waffen zumindest ein bisschen ihrer Nackheit verdecken? Die anderen beteiligten Göttinnen werden nur mit ihren Namen genannt, es kommt nicht auf die Versprechungen der drei an, die Oenone nicht erwähnt. Minerva ist nackt, aber zumindest decentior, und Iuno müssen wir uns bekleidet vorstellen – wie steht dann die Siegerin der Wahl zur Miss Olymp vor dem Juror? Oenone äußert dezent Kritik daran, worauf Paris bei seiner Entscheidung geachtet hätte.
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Re: Ovidstelle

Beitragvon Zythophilus » Di 5. Sep 2017, 21:31

Tiberis hat nicht unrecht. Zumindest bei Paris kommt die Nackheit mit Waffen nicht an. Der will es noch direkter; das unterstellt ihm immerhin die Exgeliebte. Auch in der Ars sucht man ein Distichon wie
Vt puero placeas, tunicam depone, puella,
sumeque depositis uestibus arma tuis!
vergeblich.
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Re: Ovidstelle

Beitragvon Prudentius » Mi 6. Sep 2017, 07:50

Abl.abs. würde ich sagen: "Minerva, die besser aussieht, wenn sie ihre Rüstung angelegt hat".
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Re: Ovidstelle, her. 5, 33-36

Beitragvon consus » Mi 6. Sep 2017, 18:57

Vielleicht noch eine nützliche Notiz:
Nikolaus Heinsius* schreibt zur Stelle sumptisque decentior armis:
35. Decentior armis sumptis.] Id est, honestior armis sumptis, quam depositis vestibus.
___________________________________________________________________
* P. Ovidii nasonis opera omnia... cum integris notis Nicolai Heinsii, D. F. Lectissimisque Variorum Notis..., Lugduni Batavorum 1670, Band 1, S. 61.
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Re: Ovidstelle

Beitragvon Zythophilus » Mi 6. Sep 2017, 19:56

Das ist ja das, was ich auch etwa meine. Mit decens ist nicht nur "schön", sondern auch "geziemend" gemeint. Bloße Nackheit ist eben auch nicht decens. Allerdings wäre es etwas seltsam, wenn Ovid Nymphe ohne weiteren Grund gerade Minerva genauer beschreiben lässt, und der Vergleich, den der Komparativ bringt, zielt nicht auf nur Minerva als nackte, sondern auf die Göttin, die tatsächlich nackt da steht ab, auch wenn Oenone sie nicht direkt erwähnt. Paris ist also so oberflächlich darauf reinzufallen. Die Hinterwaldnymphe ist zu Recht sauer, denn Paris, den sie durch seine Entscheidung verliert, wäre durch eine Entscheidung für Minervas oder gar Iunos Angebot für sie noch eine bessere Partie geworden.
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Re: Ovidstelle

Beitragvon Bussinatrix » Mo 23. Okt 2017, 22:48

nuda decentior sumptis armis
• nackt anmutiger als mit angelegter Rüstung
• honestior armis sumptis, quam depositis vestibus

Es könnte doch sein, dass Ovid hier sogar ganz bewusst zweideutig geschrieben hat, da eigentlich beides zutrifft:
"nackt zwar auf jeden Fall hübscher anzusehen als mit angelegter Rüstung, aber mit Rüstung zugleich eben auch gebührlicher im Auftreten als splitternackt"

Eine solche, in andere Sprachen gar nicht kurz und bündig übersetzbare Lesung fände ich sogar ausgesprochen genial!
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