Irrealis der Vergangenheit oder Gegenwart?

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Re: Irrealis der Vergangenheit oder Gegenwart?

Beitragvon ille ego qui » Mi 25. Okt 2017, 14:10

Eben, vom Onkel wäre da sprachlich für einen Moment abgesehen, was ich aber für möglich halte. Ansonsten danke für die Aufschlüsselung! :)
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
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Re: Irrealis der Vergangenheit oder Gegenwart?

Beitragvon ille ego qui » Mi 25. Okt 2017, 14:27

... wenn ich auch nicht behaupte, dass es unbedingt die plausibelste Variante ist ;)
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
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Re: Irrealis der Vergangenheit oder Gegenwart?

Beitragvon Sokrates » Sa 4. Nov 2017, 14:18

Salvete,

kurz zur Plinius-Stelle:
Ein Irrealis der Vergangenheit liegt hier nicht vor, ein deutscher Versuch " wenn der Aufenthalt länger gewesen wäre, wäre ein Austreten verhindert worden" u.a sind falsch, da sie einseitig vom deutschen Sprachgefühl ausgehen, das einem mit Kenntnis der Situation dazu verleitet, eine Gefüge unerfüllter Bedingung der Vergangenheit zu sehen.
Trotz der Ellipse kann man die möglichen unabhängigen Sätze rekonstruieren oder besser fingieren:

Es liegt ein Konsekutivsatz als Apodosis zu einem kond. Nebensatz vor. Jede andere Funktion des Konjunktion scheidet aus, es kann kein Wunsch im Nebensatz sein, ebenso fällt aufgrund der Natur des ut consec. (und sekundär aufgrund fehlender Gedankenwiedergabe) ein Coni. obl. aus. Demnach möglich wären:

a) Indefinitus der Vergangenheit
Si ... erat /fuit (Impf. der Dauer, narr. Perf (unwahrscheinlich) + negabatur/negatus est (NB: ein negatus est dürfte erneut nicht resultativ gesetzt sein, da es sich sonst als Konj. Perf. gegen die CT erhalten würde)
Bei Abhängigkeit entstünde gerade ein si esset, negaretur. Hier ist aber entscheidend, und das wird Prudentius freuen, dass es Plinius nicht auf die reale Situation ankommt, nach welcher der Oheim natürlich in Sicherheit gebracht wurde und deren Kenntnis uns ja zum Irr. der Vergangenheit. im D verleitet hat, sondern auf die neutrale, unbestimmte Schilderung einer Zustandsänderung mit Darstellung der entsprechenden sachlich-logischen Folge unter gewissen Voraussetzungen.
" lag so voller Asche gefüllt, dass man bei längerem Aufenthalt nicht mehr hinauskam.", die wahrscheinlichste Lösung.

Ein Pot der Geg würde die gleiche abh. Struktur ergeben, aber ist ein solcher in Abh. einfach deshalb anzuzweifeln, weil man ohne klare Signale keine echte Möglichkeit (nicht bloß gemilderte Behauptung!) annehmen kann.

b) Irrealis der Gegenwart
Si esset, negaretur auch unabhängig!
Zwar wird geschildert, wie es zu der gefährlichen Lage kam, doch die Folge wird als in der Erzählung gegenwärtig, und zwar kontrafaktisch gegenwärtig, dargestellt, ebenso die Bedingung:
"war so hoch mit Asche bedeckt, dass ein Ausgang nicht mehr möglich wäre, wenn man länger blieb. Das irreale Gefüge wird nicht aus der Sicht ex post als vergangen irreal, sondern in der Schilderung als gegenwärtig irreal beschrieben. Man beachte die folgenden Verben im hist. Präsens, während die Verben zuvor im Perf. / Impf. standen. Ein "dramatischer" Wechsel mag sich bereits in der Hypoth. Periode vollzogen haben.

c) Irrealis der Vergangenheit scheidet aus formalen Gründen aus!
Ein irr. Konditionalgefüge bleibt in Abh. von einem konj. Nebensatz unverändert, sofern nicht der bekannte Ersatz Konj. Plq. Aktiv -> urus fuerim (bei Ind. Fragesatz auch nach CT fuissem) stattfindet.
ein " si fuisset, negatus esset" wäre möglich gewesen, da eine Folge natürlich nur gleichzeitg/nachzeitig sein kann, aber ein Zustand der Vorvergangenheit gut mit einer unwirklichen Folge der Vergangenheit kombiniert werden kann, bloß dass sich dies im L formal beides im Tempus Plq. trifft. Es gibt auch Stellen mit Plq. in der Apodosis, und zwar abh. von einem Präsens.

Ein Irr der Vergangenheit im Imperf ist selten und hier auszuschließen.

d) Pot. der Verg. scheidet ebenso aus, da er klassisch oder nachklassisch kaum existent ist und die Verben keine Möglichkeit implizieren. Ein " nicht hinaus gehen konnten" hat im D ein phraseologisch Modalverb.

e) Ein Indikativ Imperf./ (Perf.)/Plusquamperfekt in irrealer Bedeutung (!) gäbe natürlich auch ein negaretur, aber dieses Phänomen ist meist nur in Fällen zu finden, wo ein oportuit, potuit, eine Coniugation Periphrastica Activa oder ein nur im D irrealer Fall wie paene ... vorliegt.


LG,
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