Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken (?)

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Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken (?)

Beitragvon Bussinatrix » So 3. Dez 2017, 23:22

Hallo Leute!

Ich poste mal hier in der lateinischen Sektion, obwohl meine Frage übergreifend lateinisch/griechisch ist.

Auf http://biblehub.com/text/matthew/3-4.htm liest man folgenden Satz:
Αὐτὸς δὲ ὁ Ἰωάνης εἶχεν τὸ ἔνδυμα αὐτοῦ ἀπὸ τριχῶν καμήλου καὶ ζώνην δερματίνην περὶ τὴν ὀσφὺν αὐτοῦ· ἡ δὲ τροφὴ ἦν αὐτοῦ ἀκρίδες καὶ μέλι ἄγριον.

Es geht mir hier um ἀκρίδες und μέλι ἄγριον.

In der lateinischen Vulgata http://biblehub.com/vul/matthew/3.htm steht es folgendermaßen:
ipse autem Iohannes habebat vestimentum de pilis camelorum et zonam pelliciam circa lumbos suos esca autem eius erat lucustae et mel silvestre.

Im Georges finde ich für locusta bzw. lucusta nur die Bedeutung Heuschrecke, und im Pape für ἀκρίς ebenfalls nur Heuschrecke.

Doch wie kommt es zur englischen Homonymie
"locust" 1. Heuschrecke, Grashüpfer, 2. Johannisbrotbaum ?
(siehe Leo https://dict.leo.org/englisch-deutsch/locust )

Gab es diese Homonymie vielleicht schon im Lateinischen?

Hat vielleicht jemand von euch Zugang zum Thesaurus und könnte mal nachschlagen, was dort unter dem Stichwort "locusta" steht und das gegebenenfalls einscannen oder mit dem Handy abfotografieren und hier als Dateianhang hochladen?

Und was findet ihr noch an weiteren Bedeutungen für griechisch ἀκρίς ?

Was heißt Johannisbrotbaum auf altgriechisch? Gibt es vielleicht ein Wort, das dem Wort ἀκρίς sehr ähnelt? Ich frage nur, weil es ja sein könnte, dass diese Textstelle in den Handschriften verderbt ist.
Das neugriechische Wort für Johannisbrotbaum / Karobbaum lautet laut Wikipedia jedenfalls ganz anders: Χαρουπιά, was offensichtlich dem Wort Karob entspricht.

Nun zum Wildhonig oder Waldhonig: μέλι ἄγριον bzw. mel silvestre.
Was genau ist damit gemeint? Gibt es in der Wüste, wo sich Johannes der Täufer aufhielt, überhaupt genug blühende Pflanzen und Bienen und somit Honig?

Anlass meiner Frage ist das YT-Video https://youtu.be/8yH75uuwl4s von Marlon bzw. Raw Future ab Stelle 16:39.

Da sich dieser Marlon ausschließlich rohvegan ernährt und das Rezept seines rohveganen Essener Brotes an die Ausführungen im Essener Evangelium anlehnt, geht er davon aus, dass es sich an dieser Bibelstelle Matthäus 3:4 nicht um Heuschrecken handelt, sondern um Johannisbrot, und dass sich wegen Johannes dem Täufer und dieser Bibelstelle eben auch der deutsche Name Johannisbrot für Karob eingebürgert hat. Er glaubt, dass es sich hier also um eine falsche Übersetzung des entsprechenden hebräischen Wortes handelt, was ich meinerseits aber nicht so stehenlassen kann, da die Schriften des Neuen Testaments ja gar nicht auf Hebräisch, sondern auf Griechisch verfasst sind. Grundsätzlich halte ich das kritische Hinterfragen der Übersetzung dieser Bibelstelle aber für lobenswert. Welche Recherchen er seinerseits betrieben hat, geht aus seinem Video allerdings nicht hervor, und ich glaube auch nicht, dass er - ohne ihm zu nahe treten zu wollen - genügend philologisches Rüstzeug dazu hat.

:book: Wer hätte denn mal Lust, hier ein bisschen weiterzuforschen, um der Sache auf den Grund zu gehen?

Ich könnte mir vorstellen, dass man bei Plinius vielleicht etwas Näheres zu dem lateinischen Wort "locusta" finden könnte.
Zuletzt geändert von Bussinatrix am Mo 4. Dez 2017, 03:38, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon Tiberis » So 3. Dez 2017, 23:50

Bussinatrix hat geschrieben:Ich könnte mir vorstellen, dass man bei Plinius vielleicht etwas Näheres zu dem lateinischen Wort "locusta" finden könnte.

locusta kommt bei Plinius mehrfach vor (6,30; 7,2; 8,29 ; 11, 29), aber stets in der Bedeutung "Heuschrecke".
auch für ακρις findet sich in meinem Griechisch-WB (Gemoll) nur diese Bedeutung, ausdrücklich mit Verweis auf das NT.
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon Bussinatrix » Mo 4. Dez 2017, 04:57

Vielen Dank schon mal, Tiberis! Nett von dir, dass du mal im Gemoll nachgeschaut hast!


Gerade sticht mir die Stelle Matthäus 3:2 ins Auge, die im griechischen Text folgendermaßen lautet
(http://biblehub.com/text/matthew/3-3.htm) :
οὗτος γάρ ἐστιν ὁ ῥηθεὶς διὰ Ἠσαΐου τοῦ προφήτου λέγοντος Φωνὴ βοῶντος ἐν τῇ
ἐρήμῳ
Ἑτοιμάσατε τὴν ὁδὸν Κυρίου, εὐθείας ποιεῖτε τὰς τρίβους αὐτοῦ.

- und auf Latein in der Vulgata (http://biblehub.com/vul/matthew/3.htm):
hic est enim qui dictus est per Esaiam prophetam dicentem vox clamantis in deserto parate viam Domini rectas facite semitas eius

In verschiedenen englischen Übersetzungen wurde so übersetzt:
ἐν τῇ ἐρήμῳ - in the wilderness
- in der deutschen Lutherübersetzung dagegen:
in der Wüste
- ebenso im Französischen:
dans le désert

Nun verstehe ich auch, warum dieser Marlon vom Youtube-Kanal Raw Future in seinem Video so argumentiert, dass es in der Wüste doch gar keinen Honig geben könne (weil in einer Wüste wohl kaum Bienen leben).

Ich habe nun die Bedeutungen von ἐρῆμος und desertus im Georges und im Pape nachgeschlagen:
http://www.zeno.org/Georges-1913/A/desertus
http://www.zeno.org/Pape-1880/A/%E1%BC% ... E%BF%CF%82
und komme zu dem Schluss, dass die Übersetzung "Wüste" wahrscheinlich zu speziell ist - wobei ich zugeben muss, dass ich (noch?) nicht recherchiert habe, wie sich die Landschaft in Judäa gestaltet.

Ich halte daher die allgemeinere Übersetzung "Einöde, Wildnis" für viel besser und korrekter als den eher irreführenden Ausdruck "Wüste", den man spontan mit Landschaften wie etwa der Wüste Sahara oder den Wüsten Dasht-e Kavir und Dasht-e Lut im Iran assoziiert.

Übersetzt man dagegen mit Einöde oder Wildnis, dann sagt das nichts darüber aus, wie trocken das Gebiet ist, in dem sich Johannes der Täufer aufhielt, und es schließt auch nicht von vornherein aus, dass es dort allerlei blühende Kräuter, Sträucher, Gestrüpp und Bäume und somit eben auch Bienen und wilden Honig gab.

So viel also schon mal zum fraglichen Punkt μέλι ἄγριον bzw. mel silvestre, wobei mir das lateinische Adjektiv silvester auch wieder nicht so gut gefällt, weil ich das mit Wald, also mit relativ dichtem Baumbestand assoziiere, was hier wohl nicht gemeint ist.

ἄγριος deckt sich meiner Meinung nach nur bedingt mit silvester
http://www.zeno.org/Pape-1880/A/%E1%BC% ... E%BF%CF%82
http://www.zeno.org/Georges-1913/A/silvester
auch wenn im Georges bei silvester als 2. Bedeutung II) übtr.: A) wild wachsend, wild
angegeben ist.
Es müsste im Lateinischen doch ein treffenderes Wort für "wild wachsend, wild" geben, das sich nicht vom Substantiv Wald ableitet.

Da sieht man mal:
Einerseits geht Johannes also in die Wüste, andererseits isst er dort Waldhonig. :-o <hahaha>

Ja, was soll der Leser von so einem Satz halten...
Feine Übersetzung, sag ich bloß! <ironisch>
Klar, dass die Leute dann die Aussagen der Bibel in Frage stellen, wenn sie so was lesen.

Meine Wenigkeit würde diese Bibelstelle daher so übersetzen bzw. interpretieren:
Johannes geht in die Wildnis/Einöde und ernährt sich dort von Heuschrecken und Honig von wilden Bienen.
Arme Viecher! Also wahrscheinlich doch nix mit vegan... ;-)

(A propos: In der deutschen Bibelübersetzung der Jehovas Zeugen
- siehe https://www.jw.org/de/publikationen/bib ... C3%A4us/3/ -
steht tatsächlich das Wort "Wildnis":
3:1 In jenen Tagen trat Johạnnes* der Täufer*+ auf und predigte* in der Wildnis+ von Judạ̈a, ...
siehe https://www.jw.org/de/publikationen/bib ... C3%A4us/3/
Mein philologischer Kommentar hierzu: Ich habe schon einmal in einem völlig anderen Zusammenhang festgestellt, dass die Bibelübersetzung der Jehovas Zeugen tatsächlich die schönste, weil am genauesten durchdachte Übersetzung war. Ich glaube, die JZ arbeiten hier sehr genau. Das muss man den JZ zugute halten.
Weiter heißt es bei den JZ dann:
3:4 Ebendieser Johạnnes aber trug eine Kleidung aus Kamelhaar+ und einen ledernen Gürtel*+ um seine Lenden; auch bestand seine Nahrung aus Heuschrecken+ und wildem Honig+.)


Doch weiterhin stellt sich die Frage, wie es im Englischen zu der merkwürdigen Homonymie
locust = 1. Heuschrecke, 2. Johannisbrotbaum
kommt; siehe Leo https://dict.leo.org/englisch-deutsch/locust.

Hat jemand von euch vielleicht ein englisches etymologisches Wörterbuch zur Hand und könnte da mal nachschauen, was im Artikel zum Stichwort "locust" steht?

Kann es sein, dass Johannes der Täufer in der Wildnis vielleicht doch Johannisbrot bzw. Karobschoten gefunden und gegessen hat?

Und warum heißt Johannisbrot Johannisbrot? Was hat Johannes der Täufer denn nun wirklich gegessen, falls er nicht komplett gefastet hat?!

Es wäre ja witzig, wenn dieser Marlon von Raw Future mit seiner gewagten, in die vegane Richtung zielenden Vermutung/Behauptung letztlich doch Recht hätte... :o

Doch ich finde, man müsste wirklich zuerst mal im Thesaurus nachschauen, was da alles unter "locusta" steht - wobei der Originaltext ja griechisch war und man herausfinden müsste, ob ἀκρίς (Heuschrecke) nicht vielleicht doch noch eine weitere Bedeutung hat.

Mal schauen, was ihr so alles herausfindet, sodales!
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon Bussinatrix » Mo 4. Dez 2017, 05:25

In der Wikipedia auf https://de.wikipedia.org/wiki/Johannisbrotbaum lese ich zum Thema Johannisbrot:

Name
Um die Entstehung des deutschen Namens Johannisbrot ranken sich zwei Legenden: zum einen soll der Johanniterorden an der Verbreitung des Johannisbrotbaumes beteiligt gewesen sein, zum anderen soll Johannes der Täufer sich von den Früchten und Samen während seines Aufenthaltes in der Wüste ernährt haben. Bezug genommen wird auf Matthäus 3, 4: „Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften; Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung.“ (Mt 3,4 EU), wobei angenommen wird, dass unter wildem Honig ein Produkt aus den Früchten des Johannisbrotbaums zu verstehen ist. Eine andere Deutung ist, dass ein Schreibfehler zu dem Begriff Heuschrecken geführt habe. Dafür spricht, dass die hebräischen Begriffe für Heuschrecken (חגבים=hagavim) und Johannisbrotbäume (חרובים=haruvim) sehr ähnlich sind.


Nun weiß ich auch, woher Marlon von Raw Future in seinem Video https://youtu.be/8yH75uuwl4s ab der Stelle 16:39 seine Behauptung nimmt, dass Johannes wahrscheinlich Karobschoten gegessen hat. In seinem Video weist er auch auf die angebliche Verwechslung der beiden hebräischen Wörter hin. Das hat er also aus dem Wikipedia-Artikel. Naja, nett wär's schon, wenn Johannes der Täufer schon vor 2000 Jahren genau wie heute viele Rohveganer Karob in seine Ernährung integriert hätte! :-D

Doch mir ist schleierhaft, was diese hebräischen Wörter damit zu tun haben sollen, da die Originalschriften des Neuen Testaments doch auf Griechisch verfasst sind und eben nicht auf Hebräisch!
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon Zythophilus » Mo 4. Dez 2017, 07:43

Bussinatrix hat geschrieben:da die Originalschriften des Neuen Testaments doch auf Griechisch verfasst sind und eben nicht auf Hebräisch!
Vor der Verschriftlichung des NT muss es schon Erzählungen, zumindest mündlich tradiert, gegeben haben. Diese waren in aramäischer Sprache. Ob darin auch eine solche Verwechslung möglich ist, kann ich nicht sagen, möglicherweise gibt es auch direkte Rückgriffe auf das AT und damit auf hebräische Begriffe. Sehr wahrscheinlich kommt es mir allerdings nicht vor.
Wenn "wilder Honig" tatsächlich kein richtiger Honig ist, sondern ein Produkt aus Früchten des Johannisbrotbaumes, dann stehen wir vor demselben Problem mit den fehlenden Bienen bzw. Insekten, denn auch der Baum wird durch Insekten bestäubt.
Wenn es Legenden gibt, die Johannes dem Täufer den Verzehr der Schoten dieses Baumes zuschreiben, dann wäre es wichtig, die Stellen zu kennen; sonst bleibt es Spekulation. Aus dem "wilden Honig", den kein Leser des NT nicht für echten Honig hielt, und den Heuschrecken kann sich das nicht entwickelt haben. Die Ebene, in der solche Verwechslungen passiert sein konnten, war mit der Verbreitung der Erzählung durch das NT über die engere Heimat Jesu nicht mehr zugänglich.
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon Prudentius » Mo 4. Dez 2017, 10:32

Hallo Bussinatrix,

du bist mit deinem Forschungseifer auf das falsche Gleis geraten, wenn du in Biologie und historia naturalis stöberst, um die Stelle zu verstehen. Du musst Theologie des AT wälzen, des NT, des hellenistischen Judentums, Einflüsse des Gnostizismus und aus dem Iran. An den Heuschrecken o. dgl. sind die Autoren überhaupt nicht interessiert (und sicherlich nicht informiert), was wichtig war: Ablehnung von Zivilisation und Kultur, Rückkehr zum gottgewollten Urzustand; es ist ein fundamentalistisches Programm, Anknüpfung an die Propheten. Wahrscheinlich haben die Autoren über diese Heuschrecken/Johannisbeerbaum auch nicht mehr gewusst als wir; das ist doch alles Kulissenmalerei.
Übrigens, die Wüste ist da unten gleich um die Ecke. :)
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon Bussinatrix » Mo 4. Dez 2017, 19:52


Das klingt mir alles plausibel, was ihr da schreibt, Zythophile und Prudentie!
Vielen Dank für eure qualifizierten Kommentare!



Nun, die Theologie des AT wälzen, des NT, des hellenistischen Judentums, Einflüsse des Gnostizismus und aus dem Iran suchen - das werde ich gewiss nicht tun. Abgesehen davon fehlen mir dazu die Hilfsmittel - ich habe hier an meinem Wohnort keine Unibibliothek in der Nähe, wo ich überhaupt entsprechende Literatur finden könnte, und nur deswegen nach Stockholm fahren und mir dort für mehrere Wochen ein Zimmer mieten werde ich gewiss nicht. :D

Wie Prudentius schon schrieb, geht es wahrscheinlich gar nicht darum, was Johannes nun wirklich gegessen hat, sondern vielmehr um die "Ablehnung von Zivilisation und Kultur, Rückkehr zum gottgewollten Urzustand; es ist ein fundamentalistisches Programm, Anknüpfung an die Propheten". Das leuchtet mir ein. Und dann könnte man die "Heuschrecken und den wilden Honig" tatsächlich als Metapher deuten, wie so Manches in der Bibel.

Unter "wildem Honig" hatte ich ursprünglich verstanden, dass es sich um in der Einöde wild lebende Bienen handelt, die ihre Waben vielleicht in hohlen Baumstämmen u.dgl. bauen und ihren Honig dort lagern - im Gegensatz zu "zahmen Bienenvölkern", die in von Imkern bereitgestellten Bienenstöcken leben, die dann ihrerseits den Honig ernten.

Übrigens habe ich auf https://www.bibelwissenschaft.de/wibile ... 13e2e68a9/ einen netten Artikel zu den Heuschrecken gefunden. Unter Punkt 3 steht dort Folgendes:
Heuschrecken sind die einzigen reinen und daher auch essbaren Insekten (Lev 11,21f). Sie können gedörrt, auf Kohlen geröstet, in Salzwasser gekocht oder in Butter gebacken gegessen werden (vgl. das assyrische Flachrelief Abb. 2 aus dem 7.Jh. v. Chr., das zeigt, wie Diener Sanheribs neben Granatäpfeln auch gedörrte Heuschrecken bringen, die als Delikatesse galten). Mt 3,4; Mk 1,6 erinnern an die asketische Lebensweise Johannes des Täufers, der sich von Heuschrecken ernährte (vgl. Kelhofer 2005).


So abwegig ist das mit dem Verzehr von Heuschrecken also nicht.

Wenn ihr noch weitere Ideen habt, dann nur zu!
Schreibt mir bitte alles, was euch zu dieser honigsüßen, heuschrecklichen Bibelstelle einfällt! :D

Ich selbst hatte gestern Nacht noch den Wiktionary-Artikel "locust"
https://en.wiktionary.org/wiki/locust_tree gefunden.
Dort steht:
Named after the "locusts" said to have been eaten by John the Baptist, based on the theory that they were really carob pods.

Das ist anscheinend die Erklärung dafür, wie es zu der englischen Homonymie von "locust" kam, das eben sowohl Heuschrecke als auch Johannisbrotbaum bedeutet.
Witzig, dass sich diese Theorie oder Verwechslung bis ins heutige Englisch fortpflanzt.
Aus reiner Neugier würde ich an sich schon gern die Hintergründe wissen, wie es zu dieser Theorie bzw. Verwechslung kam, auch wenn sich das heute, wie Prudentius schrieb, kaum noch (ohne den obengeannten, erheblichen Forschungsaufwand) eruieren lässt. Sind es vielleicht doch diese beiden hebräischen Wörter חגבים=hagavim und חרובים=haruvim, die verwechselt wurden?
Ich gehe allerdings konform mit Zythophilus, der schrieb, dass ihm das nicht so wahrscheinlich vorkommt.


============================================================================================


Und nun zur Belustigung aller etwas ganz Unphilologisches, Modernes:

Per Zufall habe ich gerade erst gestern in den Salzburger Nachrichten einen Artikel gelesen, der in diesem Zusammenhang ganz gut passt: 8)
https://www.sn.at/panorama/kinder/und-d ... n-21025048
Guten Appetit! Johannes der Täufer lässt grüßen! :D


Ich selbst bin allerdings so konditioniert, dass es mich wahrscheinlich vor Ekel schütteln würde, wenn ich solche Insekten verspeisen müsste - auch dann, wenn die angeblich wie ein nussig-knuspriger Snack schmecken... Mit Karobpulver habe ich dagegen keinerlei Probleme - das schmeckt fast wie Kakao.

Naja, wenn's ums Überleben geht...
Papillon hat im Straflager in Französisch-Guyana nur durch den Verzehr von Kakerlaken überlebt... :cry:
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon Zythophilus » So 17. Dez 2017, 11:21

Kombiniert man die beiden Theorien - die eine besagt, dass der "wilde Honig" aus den Früchten des Johannesbrotbaumes bestünde, die andere, dass die "Heuschrecken" eigentlich Früchte desselben wären -, dann aß der Prophet in der Wüste nur die.
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon Bussinatrix » So 17. Dez 2017, 13:50

Stimmt, Zythophile.

Dann wäre ἀκρίδες + μέλι ἄγριον bzw. lucustae + mel silvestre nichts anderes als eine Art Hendiadyoin, das mir als mögliches Stilmittel an dieser Bibelstelle allerdings recht seltsam anmutet.

Deshalb war eben meine Frage, ob vielleicht im großen Thesaurus für "locusta" noch eine andere Bedeutung steht. Oder ob ἀκρίς nicht vielleicht doch noch eine andere Bedeutung als "Heuschrecke" haben kann, auch wenn dazu nichts im Gemoll und Pape zu finden ist.

Ach wenn man nur wüsste, was Johannisbrotbaum / Karobbaum auf Griechisch und Latein heißt! (und damit meine ich nicht das Biologen-Latein von Linné!)

Oh Plinie, melde dich doch bitte mal und sag uns, was DU zum Karobbaum geschrieben hast! :hammer:

Aber selbst wenn Plinius uns das erzählt, dann wissen wir trotzdem immer noch nicht, wie das auf (Alt-)Griechisch heißt. :sad:
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ceraunia

Beitragvon consus » So 17. Dez 2017, 14:26

Salve, Bussinatrix!
Oro te legas Plin. nat. 13, 59: ceraunia, Graece, nisi fallor: κερατωνία vel κερωνία, cf. LSJ.
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Re: Matth.3:4 κερωνία = ἀκρίς, Johannisbrot = Heuschrecken

Beitragvon Bussinatrix » So 17. Dez 2017, 16:41


Na das ist ja 'n Ding, da hat mich Plinius tatsächlich gehört und sich durch deine Feder (hier natürlich im Sinn von Tastatur) geäußert, oh Conse! Wie toll!

Magnas gratias tibi ago, care Plinie per Consum locute!
:lol:


Plin. nat. 13, 59:
https://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chro ... _hi13.html
oder
http://penelope.uchicago.edu/Thayer/L/R ... r/13*.html
16. [59] Similis et quam Iones cerauniam vocant, trunco et ipsa fertilis – pomum siliqua – ; ob id quidam Aegyptiam ficum dixere, errore manifesto: non enim in Aegypto nascitur, sed in Syria Ioniaque et circa Cnidum atque in Rhodo, semper comantibus foliis, flore candido cum vehementia odoris, plantigera imis partibus et ideo superficie flavescens, sucum auferente subole. pomo antecedentis anni circa canis ortus detracto statim alterum parit, postea floret per arcturum, hieme fetus eius nutriente.


Und dazu im Georges:
http://www.zeno.org/Georges-1913/A/ceraunius
[1085] ceraunius, a, um (κεραύνιος), zum Donner-, Blitz gehörig; dah. I) rötlich, a) ceraunia gemma, ein Edelstein, wahrsch. eine Art Katzenauge, Plin. u.a. – Nbf. ceraunium, ī, n., Claud. u. Mart. Cap., u. ceraunus, ī, m., Prud. u. Mart. Cap. – b) ceraunia vitis, von rötlicher Farbe, Col. 3, 2, 1. – c) ceraunia, ae, f., das Johannisbrot, Plin. 13, 59 (von Plin. mit ceronia, κερωνία, verwechselt). – II) nom. propr., A) Cerauniī od. Ceraunīmontēs, m., u. gew. (bes. b. Dicht.) bl. Ceraunia, ōrum, n., Κεραύνια ορη, die Donnerhöhen, ein hohes, sich längs der epirotischen Küste hinziehendes Gebirge, j. Kimara od. Monti della Chimera, durch häufige Gewitter berüchtigt, u. bes. dessen in das Adriatische Meer ragendes Vorgebirge, Acroceraunium promunturium, Plin. 3, 97, od. bl. Acroceraunia u. Ceraunia (s. unten die Zitate), griech. τὰ ἄκρα Κεραύνια, j. Capo della Linguetta, den Schiffen sehr gefährlich, Ceraunii (Cerauni) montes b. Mela 2, 3, 10 (2. § 39). Suet. Aug. 17, 3. Flor. 2, 9, 4: Ceraunia b. Verg. georg. 1, 332. Prop. 1, 8, 19; 2, 16, 3 u.a. (s. die Dichterstst. bei Drelli zu Hor. carm. 1, 3, 20): montes Acroceraunia u. montes Acroceraunii b. Plin. 3, 145: 4, 1. § 1 u. 2: infames scopuli Acroceraunia, Hor. carm. 1, 3, 20, u. bl. Acroceraunia (appell. = gefährlicher Ort), Ov. rem. 739. – B) der nordöstliche Teil des Kaukasus, der an Albanien grenzt, zuw. = der ganze Kaukasus, Mela 1, 19, 13; 3, 5, 4 (1. § 109 u. 3. § 39): Ceraunius mons, Plin. 5, 99. Mart. Cap. 6. § 683.


und
http://www.zeno.org/Georges-1913/A/ceronia
[1091] cerōnia, ae, f., s. ceraunius no. I, c.


sowie Liddell & Scott:
http://perseus.uchicago.edu/cgi-bin/phi ... :4:152.LSJ
κερατωνία, ἡ,
A = κερωνία, κερατέα, carob-tree, Ceratonia Siliqua, Gal. 12.23, Aët.1.201, Hsch.

und
• Seite 798 (Page 798 of 1777) auf https://archive.org/stream/greekenglish ... E%AF%CE%B1


Bild

https://addpics.com/i/c-7-5978.png bzw. https://addpics.com/i/c-3-7acc.png


Es erstaunt mich sehr, dass sogar im Liddell & Scott auf Seite 798 linke Spalte auf dieses Phänomen mit diesem "heuschrecklichen Johannisbrot" in der Bibel hingewiesen wird! Allein das zu wissen ist mir auch schon was wert!

Doch was soll ich nun daraus schlussfolgern ???

Nun, ich stelle einfach mal fest, dass hier im Griechischen wie auch im Lateinischen eigentlich keine lautliche Ähnlichkeit zwischen κερωνία, κερατέα (Karob/-baum, Johannisbrot/-baum) bzw. ceraunia oder ceronia einerseits und ἀκρίδες + μέλι ἄγριον bzw. lucustae + mel silvestre andererseits besteht...

... es sei denn, man verwechselt diese Wörter im Griechischen lediglich aufgrund der Tatsache dass sowohl κερωνία bzw. insbesondere κερατέα als auch ἀκρίδες die Laute k und r und noch einen dental-alveolar artikulierten Laut, n, t oder d enthalten. Eine Verwechslung auf dieser Basis scheint mir auf den ersten Blick aber doch etwas weit hergeholt. Oder vielleicht doch nicht?! :shock:

Auf den zweiten, etwas genaueren Blick könnte es nämlich so aussehen:

κερατέα = κερατία
und dann eine nette zweifache kleine Metathesis > κερατία > ακερτία > ακρετία
und dann eine nette kleine Akzentverlagerung > ακρέτια
und dann eine nette kleine Plosiv-Erweichung > ακρέτια > ακρέδια
und dann ακρέδια > ακρίδια
und dann eine Verschleifung oder Ungenauigkeit in der Aussprache der Endung bzw. Unsicherheit bei der Deklination (so wie wir es z.B. auch vom Übergang des Vulgärlateinischen ins Romanische kennen)
und dann hat man ja quasi schon ακρίς, Plural ακρίδες


Sind wir nun vielleicht doch einen klitzekleinen Schritt weitergekommen in dieser schwierigen Frage, wie es zu dieser These vom "heuschrecklichen Johannisbrot" kommt, ohne das Aramäische und Hebräische zu bemühen?

Oder ist das alles doch etwas arg weit hergeholt ?! :-o

:book: :book: :book: :book: :book: :book: :book: :book: :book: :book: :book: :book: :book: :book:

.
Zuletzt geändert von Bussinatrix am So 17. Dez 2017, 22:08, insgesamt 4-mal geändert.
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon medicus » So 17. Dez 2017, 17:07

Vielleicht hilft Wikipedia:
Eine andere Deutung ist, dass ein Schreibfehler zu dem Begriff Heuschrecken geführt habe. Dafür spricht, dass die hebräischen Begriffe für Heuschrecken (חגבים=hagavim) und Johannisbrotbäume (חרובים=haruvim) sehr ähnlich sind.

https://de.wikipedia.org/wiki/Johannisbrotbaum
:pc:
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon Bussinatrix » So 17. Dez 2017, 17:19

Das hatte ich doch bereits in meinem Beitrag viewtopic.php?f=23&t=44825&p=341019#p340873 geschrieben, lieber Medice, und hatte dort sogar schon den entsprechenden Passus aus der Wikipedia zitiert. Und daraufhin hat sich hier eben die Diskussion entsponnen, wie es wohl dazu kommen könnte, dass ausgerechnet das Hebräische hier eine Rolle gespielt haben sollte, wo das Neue Testament doch auf Griechisch verfasst wurde und eben nicht auf Hebräisch.

Und daraufhin hatte Zythohilus in seinem Beitrag viewtopic.php?f=23&t=44825#p340875 so seine Vermutungen mit dem Aramäischen usw...
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon marcus03 » So 17. Dez 2017, 17:23

medicus hat geschrieben:Dafür spricht, dass die hebräischen Begriffe für Heuschrecken (חגבים=hagavim) und Johannisbrotbäume (חרובים=haruvim) sehr ähnlich sind.


vgl:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mose#Der_ ... 6rnte_Mose

Die hebräische Sprache hat offenbar schon manchen ins (Bocks)Horn gejagt.

PS:
Oder war Moses vllt. auch einer von den Gärtnern, die man zum Bock gemacht hat? Oder gar ein gehörnter Ehemann? Man müsste bei S. Freud nachforschen, der sich bekanntlich intensiv mit dem "Mann Moses" auseinandergesetzt hat.
https://www.google.de/imgres?imgurl=htt ... _B0IoAEwCg

https://www.amazon.de/Moses-Michelangel ... 3596104564
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Re: Bibel: Matthäus 3:4 - ἀκρίδες / lucustae / Heuschrecken

Beitragvon Bussinatrix » So 17. Dez 2017, 17:50

Witziger Beitrag, Marce03 !

Das vom gehörnten Mose hatte ich noch nicht gewusst. Da sieht man mal... :wink:

Allerdings muss ich einräumen - ohne aufs Hebräische einzugehen, von dem ich nicht ein einziges Wort beherrsche - muss ich einräumen, dass die Wörter cornutus und coronatus (vielleicht synkopiert zu cornatus) an einer verderbten Stelle vielleicht sogar schon zu Zeiten des Hieronymus leicht verwechselt werden konnten, falls der im 4. Jh. bei seiner Arbeit an der Vulgata-Übersetzung auch die Schriften der noch älteren Vetus Latina vorliegen hatte (wovon ich ausgehe), sodass mich das weniger wundert.

Außerdem waren die Schriften des Alten Testaments ja, wenn ich mich nicht irre, ursprünglich auf Hebräisch/Aramäisch verfasst. Da leuchtet mir das mit den Verwechslungen im Hebräischen schon eher ein als beim Neuen Testament. Noch dazu bei der Schrift, die keine Vokale darstellt, sodass sich da sowieso viele Verwechslungen einschleichen können, wenn es sich um Homographe handelt, die aber eben nicht homophon sind.
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