Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

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Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon Sternenkind » So 7. Jan 2018, 22:38

Guten Abend,

Bei Vergil heißt es:

Facilis est descensus Averno (Buch VI, vers 126 - 127), übersetzt bei Achendorff: Es steigt sich leicht zum Avernus:

Ich hätte übersetzt mit "vom Avernus" (Ablativ) kann man leicht herabsteigen.

Wie lässt sich die Uebersetzung oben erklären? Ist Averno ein Dativ? Der Abstieg für den Avernus ist leicht?
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon ille ego qui » So 7. Jan 2018, 22:45

Salve, Sternenkind!

Gerade in der Poesie findet sich auch der Dativ der Richtung (wohin?). Eine Entscheidung lässt sich jeweils nur mit Blick auf den Kontext treffen.

Vale :-)
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon Sternenkind » Mo 8. Jan 2018, 00:17

Hmmm, aber ist Aeneas nicht am Avernersee und will von dort in die Unterwelt hinabsteigen? Der Eingang soll doch mitten im See sein.
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon medicus » Mo 8. Jan 2018, 00:46

Ich hab mal gegoogelt:
https://books.google.de/books?redir_esc ... e&q=Averno

Man muss wohl über Felsen zum See hinabsteigen:
http://www.vollmer-mythologie.de/avernus/
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon Prudentius » Mo 8. Jan 2018, 09:30

"Finaler Dativ", Zielangabe, wie bei "auxilio venire" zu Hilfe kommen.
Avernus, metonymisch für "Unterwelt".
"Leicht ist der Abstieg in die Unterwelt", es hat ihn ja noch nie einer verfehlt :-D .

Zum 6. Buch der Äneis ist unbedingt der Kommentar von Eduard Norden zu empfehlen, ein Glanzstück der Berliner "religiionsgeschichtlichen Schule", aus der Blütezeit der Berliner Uni; daraus kann man sehr viel lernen.
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon Tiberis » Mo 8. Jan 2018, 14:26

aus dem Kontext geht einwandfrei hervor, dass Avernus metonymisch für "Unterwelt" steht (und somit ein Richtungsdativ ist).
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon Zythophilus » Mo 8. Jan 2018, 17:53

Man braucht hier keinen so großen Kontext: Wie sinnvoll wäre den ein "Abstieg aus der Unterwelt"?
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon marcus03 » Mo 8. Jan 2018, 19:22

Zythophilus hat geschrieben:Wie sinnvoll wäre den ein "Abstieg aus der Unterwelt"?


Na ja, der Weg zum Erdkern ist weit und führt über etliche Unterwelten, Unterunterwelten usw. bis man endlich im glühenden Eisen schwimmen kann - ad animam purgandam. Ob dort auch ein Charon rumschippert? ;-)
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon ille ego qui » Mo 8. Jan 2018, 20:04

Zythophilus hat geschrieben:Man braucht hier keinen so großen Kontext: Wie sinnvoll wäre den ein "Abstieg aus der Unterwelt"?

Wie Tiberis schon sagte, klärt der (erst) Kontext, dass mit Avernus hier die ganze Unterwelt gemeint sein muss. :)
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon Sternenkind » Mi 17. Jan 2018, 19:36

Vielen Dank, ich habe mir den Kommentar inzwischen besorgt und bin sehr zufrieden :klatsch:

Man findet dort viel Brauchbares zur Stilistik und Interpretation, weniger leider zur Grammatik, daher eine neue Frage meinerseits :D

Ibant obscuri sola sub nocte per umbram
perque domos Ditis vacuas et inania regna:
quale oer incertam lunam sub luce maligna
est iter in silvis ...

Quale leitet hier einen Vergleich ein. Ergänzt werden könnte tale. Kann man bei quale von einem relativen Satzanschluss sprechen? Oder geht das zu weit?

Gruß
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon marcus03 » Mi 17. Jan 2018, 21:32

Man könnte von einem "inhaltlichen Satzanschluss" sprechen. Ein rel. SA ist es nicht, da QUALE kein Relativpronomen ist.
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon Sternenkind » Mi 17. Jan 2018, 23:38

Laut Georges handelt es sich anscheinend um ein Relativpronomen:

http://www.zeno.org/Georges-1913/A/qualis?hl=qualis

Oder liege ich falsch?
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon marcus03 » Do 18. Jan 2018, 08:45

Es ist kein Rel.pronomen im klassischen Sinn.
Quale greift den Inhalt des vorherigen Satzes zuammenfassend auf und steht somit in direkter Beziehung/Relation zu diesem. (vgl: Quod erat demonstrandum)
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon Prudentius » Do 18. Jan 2018, 11:01

Sternenkind hat geschrieben: Ergänzt werden könnte tale.


Ergänze auch noch iter: "... ein solcher Weg, wie ...".

Was "quale" ist? Denkt mal an dieses exquisite Eckchen in der Formenlehre, "Korrelativa", talis-qualis, tantus-quantus, ..., ita-ut, das ist eine Paarung eines Relativums mit einem Demonstrativum. Also quale ist der Formenlehre nach ein Relativum, und der Satzlehre nach fungiert es als Einleitung eines Vergleichssatzes, würde ich sagen.

Wenn du unbedingt einen relativen Satzanschluss sehen willst: man kann dich nicht zurückhalten, man muss es aber nicht: "So war der Weg ..."

Ibant obscuri sola sub nocte


Schaut euch mal diese kunstvolle Verschränkung an: sola gehört zu nocte und obscuri zum Subjekt; aber in Wirklichkeit ist die Nacht dunkel und die Leute sind einsam!

LG :) .
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Re: Frage zu adverbialer Bestimmung des Ortes bei Vergil

Beitragvon Sternenkind » Mi 24. Jan 2018, 18:58

Danke euch :) Bin immer dankbar, mich mit euch austauschen zu können.

Mich beschäftigt auch ein weiterer Vers, allerdings, was den Inhalt anbelangt. In meinem neuen Kommentar dazu steht leider auch nichts Genaueres.
Aeneas sieht in der Unterwelt viele grauenhafte Monster. Die Sibylle hält ihn allerdings davon ab, auf sie loszugehen, denn es seien "tenues sine corpore vitas" .... "cava sub imagine". Diese Wesen suchen ja der Legende nach auch die Oberwelt heim. Stellen sie dann in der Unterwelt bloß eine Illusion dar und können Aeneas also nichts anhaben?

Wenn jemand noch einen guten Kommentar dazu hat, nur her damit :D
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