Bedeutung von "Umbrae"

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Bedeutung von "Umbrae"

Beitragvon Sternenkind » So 28. Jan 2018, 21:57

Guten Abend,

Im 6. Buch der Aeneis (V. 264) nennt Vergil im selben Vers die "Animae" und die "Umbrae". Meine bisherigen Recherchen haben ergeben, dass mit "Animae" die Manen gemeint sind und dass diese wiederum die Seelen der Verstorbenen sind, die zuvor bestattet wurden. "Umbrae" bezeichnet die Geister, Schatten der Toten und kann auch für die Unterwelt stehen.
Wenn ich mir nun die folgenden Verse des 6. Buches anschaue, frage ich mich, ob Vergil mit "Umbrae" nicht diejenigen Schatten bezeichnet, die keine Bestattung erhalten haben.

Was haltet ihr von dieser Interpretation?

Gruß
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Re: Bedeutung von "Umbrae"

Beitragvon medicus » So 28. Jan 2018, 22:27

Indem du zuerst diesen Beitrag geschrieben hast und dich dann in deinem früheren Beitrag bedankt hast, ist dieser nach unten gerutscht. Durch meine Antwort kommt er hervor und wird von den Experten leichter gefunden. Ich habe leider keine Antwort parat. Die Bedeutungsfelder dürften sich überschneiden.
Als Nichtphilologe darf ich hier eh nicht schreiben. :(
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Re: Bedeutung von "Umbrae"

Beitragvon Tiberis » Mo 29. Jan 2018, 01:15

Sternenkind hat geschrieben:Wenn ich mir nun die folgenden Verse des 6. Buches anschaue, frage ich mich, ob Vergil mit "Umbrae" nicht diejenigen Schatten bezeichnet, die keine Bestattung erhalten haben.

Nein, eine solche Unterscheidung ließe sich nicht begründen. Vgl. die folgenden Verse:

319 : quidve petunt animae? (animae sind hier alle Seelen, die ans Ufer der Styx drängen)
400 f : licet ingens ianitor antro aeternum latrans exsanguis terreat umbras (umbrae sind hier natürlich die Seelen der Bestatteten, die bereits am jenseitigen Ufer der Styx angekommen sind !)
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Re: Bedeutung von "Umbrae"

Beitragvon Zythophilus » Mo 29. Jan 2018, 10:09

In Zusammenhang mit der Unterwelt bezeichnet anima und umbra dasselbe. Natürlich haben die Menschen der Oberwelt auch eine anima, jetzt ist es aber nur mehr die. Die Körperlosigkeit drückt die Bezeichnung umbra aus.
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Re: Bedeutung von "Umbrae"

Beitragvon Laptop » Do 14. Jun 2018, 07:46

An andrer Stelle befindet sich sogar ein Hendiatris
nequiquam cineres animaeque umbraeque paternae.

Vergil schmückt mit gleich- oder ähnlich-bedeutenden Wörtern seine Rede aus, und reichert damit kunstvoll die Assoziationen des Lesers an, das ist seine Methode. Schon gleich zu Anfang: ‹arma uirumque ...›
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Re: Bedeutung von "Umbrae"

Beitragvon Prudentius » Sa 16. Jun 2018, 15:43

Vergil macht das Abstrakte anschaulich, bildlich, spricht nicht nur den Verstand, sondern Gefühl und Seele an. Man denkt an Hegel: Kunst ist das Heraustreten der Idee aus sich selbst in ihr Anderes, die Sinnlichkeit, hinein, so ungefähr.
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Re: Bedeutung von "Umbrae"

Beitragvon Laptop » Sa 16. Jun 2018, 20:27

Hat "die Idee" eine Multiple-Persoenlichkeitsstörung wenn sie heraustritt aus sich selbst in ihr anderes Ich?
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Re: Bedeutung von "Umbrae"

Beitragvon Prudentius » Mo 18. Jun 2018, 09:37

Nein, Laptop, denn das Heraustreten der Seele kannst du als Antithese verstehen, aber dabei bleibt es nicht, denn die Idee bildet dann aus beiden die Synthese, eine Integration der beiden Gegensätze auf einer höheren Bewusstseinsebene, das ist ja der berühmte hegelsche "Dreischritt".

Man kann für dieses "Heraustreten" einen anderen Namen wählen, "Entwicklung", dann sieht man eher die Bedeutung dieser Vorstellung, es ist ja ein Schlüsselbegriff für moderne Wissenschaft (z.B. Evolution); Hegel war hierin ein Bahnbrecher.

Das Heraustreten aus sich selbst ist ein ganz fundamentaler und alltäglicher Lebensvorgang, jeder muss einmal die Eierschalen sprengen oder aus dem Schneckenhaus herauskriechen, das Erwachsenwerden ist ein ständiges Aus-sich-Heraustreten, auch jedes Gespräch; es gibt ja die Redewendung "sich äußern" zu einer Frage.

Hegel hat diese Vorstellung eingeführt als Reaktion auf Kant; dieser endete in der Verlegenheit, dass es für ihn zwei getrennte Welthälften gab, die er nicht zusammenbringen konnte: die eine ist die Welt der sinnlichen Gegenstände, in der "Kausalität" herrscht, da geht alles nach den Naturgesetzen; die andere Hälfte ist die des menschlichen Geistes mit freien Entscheidungen, "Spontaneität" genannt.

Hegel stand damit in der Nachfolge der Neuplatoniker, diese standen vor dem gleichen Zwiespalt: die ewigen, unveränderlichen Ideen, und die sinnliche Welt im Fluss; sie hatten die "Emanationslehre", die Idee des Guten blieb nicht starr in ihrem Weltsegment beschränkt, sondern strömte aus in die Sinnenwelt hinein.

Das ist aber jetzt alles etwas plakativ hingeschleudert, vllt. kannst du etwas damit anfangen :) .
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