Zu manchen falsch gebildeten Komposita

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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon ille ego qui » Fr 23. Mär 2018, 01:11

sit venia garrulitati meae!
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon cometes » Fr 23. Mär 2018, 01:54

Mag sein, aber der vir vere Romanus ist auch nicht Adressat neulateinischer Kommunikation ...


Natürlich ist er nicht der Adressat, aber sozusagen der Wortbildungsqualitätschefcontroller für künftige Adressaten, läuft es nach der geschilderten Theorie. Es ging mir in der pointierten Nachbemerkung vorwiegend darum, dass, wer in der Manier des Admirals argumentiert, sich besser rete als Ziel gesucht hätte. Die Schwächen der Sache liegen ja offen zutage. Auch ich halte die Vorstellung, so ein fiktionaler redivivus könne quasi in einem Halbblindtest entscheiden, ob das Ei faul ist, das man ihm vorlegt, für abwegig, weil der Prozess des Verstehens von Bedeutungen im Verhältnis zur Wortbildung nur vage begriffen, außerdem mit diversen Vorurteilen (im Sinne der Hermeneutik) angereichert ist, die mitwirken, ohne dass so klar wird, wie sie das tun.


Weiters erscheint mir die ursprüngliche Bedeutung des englischen Begriffs ...


Zu deinen Einwänden, was das Verständnis der Wortbildung inter-net anlangt, zunächst ein paar Fragen:

Akzeptierst du, dass wir uns in der Klärung der Frage an der englischen Wortbildung orientieren müssen bzw., falls von der natürlichen Wortbildung abgewichen werden sollte, an eben Kunstworte hervorbringenden Strategien im englischen Sprachraum?

Kannst du zeigen, dass im Englischen Bildungen vom Typ Inter-spar außerhalb von Produkt-, Marken- und sonstigen Eigennamen existieren oder existierten? Falls ja, sind Neubildungen zulässig und akzeptabel? Was bedeuet z.B. interlaw für einen native speaker, was für dich, sofern du keiner bist?

Muss dein Erklärungsmodell zeigen können, dass zur Entstehungszeit das Wort nach dem von dir vermuteten Wortbildungsmuster gebildet wurde, was impliziert, dass dieses Muster damals schon existierte? Falls ja, wie sehen diese Belege aus? Wenn nicht, wie begründest du, dass wir zur Analyse, was uns eine Wortbildung in ihren Elementen und der Beziehung untereinander an Bedeutung mitteilt, spätere Entwicklungen heranziehen dürfen, frühere aber nicht? Was reguliert dann den Übergang von einer Wortbildungsdeutung zu einer anderen? Dass dir eine besser zum von dir angesetzten lexikalischen Sinn zu passen scheint als eine andere? Nach welchen Kriterien? Woher nimmst du diesen Sinn?

Spielt es für dich eine Rolle, welche Erklärungen sonst im Lauf der Geschichte wie in der Gegenwart gegeben wurden und werden? Was tust mit der Information, dass sehr viele Belege dafür existieren, dass auch gegenwärtig die in der Wortbildung vermutete Bedeutungsfunktion der Elemente im Rückgriff auf die Geschichte in der von mir dargelegten Weise erklärt wird, um sie einem gegenwärtigen Sprachnutzer zu erläutern? Dass es sich dabei also um ein befriedigendes Erklärungsmodell zu handeln scheint?


Kannst du außerhalb des diskutierten Bildungstyps Beispiele für so einen Wandel bringen, also, dass wiewohl ursprünglich nach Muster A gebildet, irgendwann ein Wort nach dem Muster B verstanden wurde und darüber einigermaßen Konsens herrschte?




Übrigens: Wörter wie "intercessor" , die sich aus Verben herleiten (intercedere) ,hier zum Vergleich heranzuziehen, halte ich nicht für zulässig.


Warum? Widerspricht das der gegebenen Erläuterung der lateinsichen Präfixbedeutung? Weshalb sollte sich im Übergang des mit inter- gebildeten Verbs zum Substantiv etwas an ebendieser Präfixbedeutung ändern? Sowohl in inter-ced-ere/dazwischen-tret-en als auch bei inter-cess-or/Dazwischen-tret-er gibt das Präfix in beschriebener Weise das Zielgebiet der Handlung an.
Zuletzt geändert von cometes am Fr 23. Mär 2018, 13:21, insgesamt 12-mal geändert.
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon ille ego qui » Fr 23. Mär 2018, 01:55

Addendum, das letzte für heute:

Sowieso müsste wohl ein gewissenhafter, sprachbewusster Lateinsprecher seinem lateinischen Internet (sive "interrete" sive "rete" sive "rete omnium gentium") noch ein "quod dicitur" nachschalten. Denn er ist sich bewusst, dass er nur so tun kann, als hätte er es mit einem echten Idiomatismus sein. Wie nämlich angedeutet: Das Internet schreit nach einem Idiomatismus (i.w.S.). Auch das "rete omnium gentium" darf ja dann nicht mehr jede Art von Netz bezeichnen, das allen Völkern gehört, sondern einzig und allein das INTERNET.

valete :-)
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon cometes » Fr 23. Mär 2018, 02:34

ille ego qui hat geschrieben: Gäbe es die Römer heute noch, parallel zu "uns", würde es wohl sehr vom Zufall abhängen, wie das "Internet" benannt würde. Irgendeiner, dem ein Wort einfällt, hätte wohl das Glück, das sich dieses durchsetzt (hinterfragt allenfalls von ein paar tendenziell wohl eher machtlosen Philologen, Puristen oder Sprachkritikern) - ob er er nun einfach das englische Wort mit einer lateinischen Endung versehen, eine eigene Metapher kreiert, das Wort "Internet" einfach in welcher Weise auch immer imitiert hat ....


Mancher logodaedalus sieht viele seine Erfindungen abstürzen.

Es ist richtig, dass, ob sich eine Wortbildung durchsetzt, die ein Individuum hervorbringt, nicht als Spontanbildung den Weg aller Ephemeriden geht, sondern Teil des lexikalischen Grundbestandes wird, von vielen - oft auch zufälligen - Faktoren abhängt.

Nicht aber die Wortbildung an sich ist Glücksspiel, niemand bildet neue Wörter, die in der Kommunikation verstanden werden und anschlussfähig, nicht einfach dadaistische Spielereien (für die ich einiges übrig habe) sein sollen, willkürlich, sonst funktionierte Sprache nicht, Verständlichkeit wäre im Nu erodiert. Man folgt etablierten Mustern und berücksichtigt, dass es Restriktionen gibt, die formal Regelkonformes noch einmal einer Selektion unterziehen, unterwirft sich ihnen oder verstößt absichtsvoll dagegen, um zu provozieren, komisch zu sein oder ein ästhetisches Spiel zu treiben.

Der natürliche Bestand an Wortbildungsformen ist daher sehr robust (nicht völlig unveränderlich), ihn zentral regulieren zu wollen, erschiene bei lebenden Sprachen (im Unterschied zur Regulierungswut in puncto Orthographie) grotesk oder als sprachpolizeiliche Anmaßung schlechthin.

In einer parallelgeschichtlichen Spekulation würde ich darauf setzen, dass sie ein Modell entwickelten, welches ihnen erlaubte, Englisches wie einst Griechisches oder Etruskisches als Lehnwörter in ihren lexikalischen Bestand zu integrieren.
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon Tiberis » Fr 23. Mär 2018, 15:24

Werter Cometes,

auf deine in einem gewissen inquisitorischen Tonfall vorgebrachten Fragen detailliert zu antworten, habe ich weder Zeit noch Lust. Vielmehr denke ich, dass wir das ursprüngliche Ziel, ein angemessenes lateinisches Äquivalent für den Begriff "Internet" zu finden, nicht aus den Augen verlieren sollten. Eine diesbezügliche Antwort haben wir bislang von dir, trotz aller wortreichen Ausführungen, jedenfalls nicht erhalten.
Da ich davon ausgehe, dass der zur Diskussion stehende Begriff, so wie auch andere vergleichbare Neuschöpfungen, nicht von Linguisten nach eingehenden sprachwissenschaftlichen Überlegungen gleichsam erschaffen wurde, erscheint mir auch die Frage müßig, was damit ursprünglich intendiert gewesen sei.
Wesentlich maßgeblicher ist, jedenfalls meiner Ansicht nach, wie jenes Wort heute von der Allgemeinheit verstanden wird. Nur unter dieser Voraussetzung wird sich eine adäquate lateinische Ausdrucksform , die dann auch allgemein verständlich ist, finden lassen.
Wenn wir uns ähnliche , mit demselben Präfix (Inter-) gebildete Kunstwörter (Interrail, Intersport, Interfood und wie sie alle heißen mögen) vergegenwärtigen, wird schnell klar, dass in der überwiegenden Mehrzahl dieser Wörter das Präfix "inter" nichts anderes intendiert als Internationalität und/oder Konnektivität. So bezeichnet Interrail eine bestimmte Möglichkeit internationaler Bahnreisen, während etwa das Wort "Intercity" die (durch bestimmte Züge gewährleistete) Verbindung zwischen zwei oder mehreren Städten ausdrückt.
Im Fall "Internet" kommt nun die Konnektivität bereits durch den begriff "net" zur Geltung, sodass das Präfix wohl nur noch auf die Internationalität oder besser Globalität dieser Einrichtung Bezug nehmen kann.
D.h., mit dem Begriff Internet (> world wide web !) wird nichts anderes ausgedrückt als ein System globaler Vernetzung bzw. globaler Verbindung, und so wird es ja auch verstanden, jedenfalls von der Mehrheit der Menschen.
Daher ist rete universum, wie es auch Miraglia vorschlägt, sicher eine gute Lösung.

p.s.:
was die von Verben abgeleiteten Substantiva mit Präfix "inter" betrifft: diese sind natürlich mit Wörtern wie Interlunium, intervallum usw., wo es sich um originäre Substantiva handelt, nicht vergleichbar.
Während bei diesen das Präfix stets eine Mitte bzw. einen Zwischenraum bezeichnet (intervallum > der Raum zwischen den Schanzpfählen, intertignium > Raum zw. zwei Balken etc), liegt bei jenen die Sache nicht so einfach. Der intercessor ist, wie du ja richtig sagst, der "Dazwischentreter", aber ist deshalb der interfector ein "Dazwischenmacher" ? Bei Wörtern dieser Art bedeutet "inter" schon einmal zweierlei: a) in die Mitte hinein (intercessor) oder b) aus der Mitte heraus (interemptor), manchmal auch bloß dasVerharren in einer mittleren Position (interstitio).
Zuletzt geändert von Tiberis am Fr 23. Mär 2018, 16:31, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon cometes » Fr 23. Mär 2018, 16:23

Da ich davon ausgehe, dass der zur Diskussion stehende Begriff, so wie auch andere vergleichbare Neuschöpfungen, nicht von Linguisten nach eingehenden sprachwissenschaftlichen Überlegungen gleichsam erschaffen wurde, erscheint mir auch die Frage müßig, was damit ursprünglich intendiert gewesen sei.


Man muss natürlich nicht Linguist sein, um Wörter zu bilden. Will man aber verstehen, wie kompetente Sprachteilnehmer Wörter nach bewährten Mustern bilden und wie sich lexikalisierte Bedeutung und Wortbildung zueinander verhalten, um die Qualität einer Bildung zu beurteilen, scheint es mir sinnvoll, sich damit etwas näher zu beschäftigen.

Wesentlich maßgeblicher ist, jedenfalls meiner Ansicht nach, wie jenes Wort heute von der Allgemeinheit verstanden wird. Nur unter dieser Voraussetzung wird sich eine adäquate lateinische Ausdrucksform , die dann auch allgemein verständlich ist, finden lassen.


Diese Voraussetzung ist angesichts des unter dem Begriff Motivierungsgrad erwähnten Problems erst einmal zu prüfen - die Bedeutung eines Wortes zu kennen und diese Bedeutung aus den Wortelementen rekonstruieren zu können, ist, wie mehrfach erwähnt, zweierlei. Man kann sich von der Vorgabe, einen möglichst ähnlichen Wortbildungsprozess im Lateinischen zu wählen, freimachen und einen anderen bevorzugen. Aber so lief die Argumentation, die ich zu analysieren versucht habe, nicht. Es wurde mit Argumenten, dich ich aus den erläuterten Gründen für nicht stichhaltig erachte, behauptet, dass inter-rete in der Wahl des vermeintlich äquivalenten Wortbildungstyps ein nicht valides Ergebnis liefere.

Ich bleibe dabei, dass inter-net kein Kunstwort ist, sondern zunächst natürlichen Wortbildungsregeln entsprungen, dass die von dir favorisierte Deutung des Bildungstyps außerhalb von als Produkt- und Markennamen oder dgl. eingesetzten Bildungen im Englischen nicht funktioniert (das zeigt auch inter-Rail im Unterschied zu inter-city sehr schön), dass die Entstehungsgeschichte eine wesentliche Rolle spielt, möchte man verstehen, wie ein Wort gebildet wurde, dass die Anpassung des Verständnisses des Bildungstyps an im Weiteren dem Wort zugewachsene Bedeutungen willkürlich ist, dass die Vorstellung, Wortbildung müsse ein Maximum an Bedeutung implementieren, fragwürdig ist, somit inter-rete beanspruchen kann, der Bildungsweise des Ausgangswortes in der gelieferten Analyse nahezukommen.

Dass es die einzig mögliche Neubildung ist, die auf dem Jahrmarkt der Neubildungen konkurrenzfähig sein könnte, habe ich und werde ich nicht behaupten.

Im Fall "Internet" kommt nun die Konnektivität bereits durch den begriff "net" zur Geltung, sodass das Präfix wohl nur noch auf die Internationalität oder besser Globalität dieser Einrichtung Bezug nehmen kann.


Dass die net/rete-Seite den Konnektivität- und Zirkulationsaspekt hereinbringt, sehe ich wie du. Die Analyse der metaphorischen Leistung von rete in der Geschichte steht allerdings noch aus. Sie dürfte, das war meine Vermutung, zeigen, dass der von uns mit Straßen-, Fernsprech- und Informationsübertragungsnetz(werk)en assoziierte Vorstellungsgehalt, dass die Maschen Bahnen sind, auf denen man von Knoten zu Knoten reist und sendet, in der Antike wenn überhaupt nur schwach ausgeprägt ist, das Einfangen und Verstricken hingegen zentral.

Warum dieser semantische Gehalt nun aber die Bedeutung des Präfixes zwingend regulieren soll, ist mir schleierhaft. Schon, dass Überdeterminierung ausgeschlossen sein muss, widerlegen Bildungen wie intercommunication. Gibt das Präfix, wie oben vorgeschlagen, aber überhaupt Ort und Zielgebiet der Vernetzungshandlung an, drückt also nicht Reziprozität aus, so liegt eine solche gar nicht vor.
Zuletzt geändert von cometes am Sa 31. Mär 2018, 12:32, insgesamt 5-mal geändert.
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon cometes » Fr 23. Mär 2018, 16:49

was die von Verben abgeleiteten Substantiva mit Präfix "inter" betrifft: diese sind natürlich mit Wörtern wie Interlunium, intervallum usw., wo es sich um originäre Substantiva handelt, nicht vergleichbar.
Während bei diesen das Präfix stets eine Mitte bzw. einen Zwischenraum bezeichnet (intervallum > der Raum zwischen den Schanzpfählen, intertignium > Raum zw. zwei Balken etc), liegt bei jenen die Sache nicht so einfach. Der intercessor ist, wie du ja richtig sagst, der "Dazwischentreter", aber ist deshalb der interfector ein "Dazwischenmacher" ? Bei Wörtern dieser Art bedeutet "inter" schon einmal zweierlei: a) in die Mitte hinein (intercessor) oder b) aus der Mitte heraus (interemptor), manchmal auch bloß dasVerharren in einer mittleren Position (interstitio).


Ich habe nicht beansprucht, alle semantischen Aspekte des lat. Präfixes inter- analysiert zu haben, sondern nur die, welche zeigen, dass es unter anderem wie das englische inter- (das ja letztlich aus dem Lat. stammt, aber eine gewisse Wandlung erfahren hat) in der Bedeutung von "between" funktionieren kann.
Es ist auch völlig richtig, dass es Bildungen gibt, in denen die Lokalisierungsfunktion einen (leeren) Raum als solchen charakterisieren kann - wie bei inter-vallum - aber eben nicht ausschließlich. Wie es sich bei inter-fic-ere, inter-i-re und, besonders knifflig, inter-pret-ari (nebst, falls vorhanden, den entsprechenden Substantiva) verhält, ist eine gute Frage. Dass dadurch meine Argumentation geschwächt würde, kann ich indes nicht erkennen.
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon cometes » Fr 23. Mär 2018, 17:34

Zu inter-fic-ere, inter-i-re : Tatsächlich führt der Georges unter der Präposition inter diese Bedeutung als eigenen Punkt an:

γ) unter, nieder, zugrunde, wie interire, interficere.


Vielleicht lässt sich das mit inter als Zielortangabe i.w.S. eines Auflösungsprozesses verstehen - wer untergeht, mischt sich unter etwas und geht in dieser Vermischung auf, so wie ein Toter sich als Lebender und dann in der Erde oder im Feuer auflöst. Ein inter-fect-or wäre folglich ein Darunter-mach-er, jemand der diesen Prozess also aktiv herbeiführt.
Zuletzt geändert von cometes am Sa 24. Mär 2018, 13:28, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon Tiberis » Fr 23. Mär 2018, 20:24

cometes hat geschrieben:Vielleicht lässt sich das mit inter als Zielortangabe i.w.S. eines Auflösungsprozesses verstehen - wer untergeht, mischt sich unter etwas und geht in dieser Vermischung auf, so wie ein Toter sich in der Erde oder im Feuer auflöst. Ein inter-fect-or wäre folglich ein Drunter-mach-er, jemand der diesen Prozess also aktiv herbeiführt.

ich sehe das anders: interimere bedeutet ja " aus der Mitte herausnehmen", also man nimmt den, den man umbringt, sozusagen aus der Mitte der Lebenden heraus (Herkunftsangabe). Sollte es bei interficere genau umgekehrt sein?
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon cometes » Fr 23. Mär 2018, 20:47

Sollte es bei interficere genau umgekehrt sein?


Du meinst, es hieße unter (die Toten)-mach-en? Oder Aus der Mitte (der Lebenden)-mach-en?
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon Tiberis » Fr 23. Mär 2018, 21:10

letzteres wäre doch möglich, oder ?
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon medicus » Fr 23. Mär 2018, 21:50

Bei Altvater Georges wird diese Bedeutung als letzte erwähnt:
γ) unter, nieder, zugrunde, wie interire, interficere. :hammer:
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon cometes » Sa 24. Mär 2018, 03:19

Tiberis hat geschrieben:letzteres wäre doch möglich, oder ?


Nicht so einfach.

Ich denke, man muss das Zusammenspiel der Elemente der Wortbildung unter den semantischen Aspekten von Ort (Lokation) und Richtung (Direktion) noch einmal präziser zu fassen versuchen. Es sieht nämlich so aus, als stellte das Präfix inter- für sich allein nur Lokalisationsinformation (zwischen, unter, in der Mitte) bereit, die dann von der Basis gegebenenfalls direktional modifiziert wird (hin, auf zu, her, weg), sodass sich im Zusammenspiel Start- oder Zielbestimmungen für die Handlung ergeben.

In inter-im-ere hat das enthaltene emere eine ziemlich klare direktionale Komponente. Wer nimmt, kauft, ersteht usw. tut dies von etwas weg (einem Ort, einer Person).
Fällt inter- die Lokalisierung zu, ergibt sich im Zusammenspiel die Gesamtbedeutung von inter-im-ere "unter/in der Mitte-(weg)nehm-en", d.h. "aus der Mitte (sc. der Lebewesen) (weg)nehm-en".

Der inter-cess-or tritt dazwischen oder in die Mitte hinein, weil bei cedere offensichtlich die Bewegung auf etwas zu oder hin in der Bildung dominiert, die man für „treten“, „schreiten“ und Sekundärbedeutungen wie „übergehen, sich verwandeln“ ansetzen kann, obwohl es eine nicht minder starke Bedeutung des Fortgehens, Weichens und Verschwindens gibt. Womöglich steht aber selbst da das Strebende dieser Bewegungen auf etwas in der Ferne zu, also ein Ziel im Vordergrund.

Wo die Basis keine (oder eine uneindeutig gerichtete) Bewegung ausdrückt, ist nur die Lokalisierungsfunktion des Präfixes wirksam – daher heißt inter-sist-ere „in der Mitte stehen bleiben“, liegt ein inter-vallum zwischen zwei Schanzpfählen, findet man das inter-nod-ium zwischen zwei Knoten.

Bei inter-fic-ere wird es schwierig, so diese Analyse zutrifft. Denn welche derartigen Informationen stellt facere bereit? Wie im Deutschen ist es im Lateinischen semantisch eher schwach spezifiziert und sagt nur, dass etwas getan wird, aber nicht, worin diese Tätigkeit besteht.

Nimmt man an, dass ein bewirkendes Tun im Allgemeinen auf ein Ergebnis hinstrebt, würde die vom Präfix inter- geleistete Lokalisation direktional modifiziert zur Zielrichtung „in die Mitte hinein“, womit wir bei „darunter-mach-en“ angekommen wären.
Zuletzt geändert von cometes am Sa 31. Mär 2018, 12:08, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon Tiberis » Sa 24. Mär 2018, 16:21

cometes hat geschrieben:Nimmt man an, dass ein bewirkendes Tun im Allgemeinen auf ein Ergebnis hinstrebt, würde die vom Präfix inter- geleistete Lokalisation direktional modifiziert zur Zielrichtung „in die Mitte hinein“, womit wir bei „darunter-mach-en“ angekommen wären.

naja, so wirklich überzeugend ist das auch nicht.
versuchen wir es anders: inter-cidere : dazwischen-fallen, zwischen etw. durchfallen, daher: verloren gehen; so auch in inter-ire: (da)zwischen-gehen = zwischen den Wegen gehen = sich verlieren, umkommen.
interficere: dazwischen-tun = etw. tun, das "aus der Mitte des eigentlichen Machens" (z.B. des Herstellens e.S.) gleichsam herausfällt , da es zu keinem positiven Ergebnis führt; daher > verderben, zugrunde richten bzw. töten
klingt etwas konstruiert, aber...
quid tu de ea re sentis, o doctissime cometes?
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Re: Zu manchen falsch gebildeten Komposita

Beitragvon Prudentius » Sa 24. Mär 2018, 16:33

cometes hat geschrieben: ... Wie im Deutschen ist es im Lateinischen semantisch eher schwach spezifiziert und sagt nur, dass etwas getan wird, aber nicht, worin diese Tätigkeit besteht.


Denk dran, es kann außer dem affizierten Objekt auch das effizierte bezeichnen, also "eum interficere" machen, dass er durch den Rost fällt.

Denkt auch an die dialektische Bedeutung von "inter zwischen", es kann zugleich Trennung und intensive Nähe bezeichnen.
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