Etymologie

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Etymologie

Beitragvon marcus03 » Do 18. Apr 2019, 06:55

Für das Wort SEKTE werden zwei Etymologien genannt:

secta < secare
https://www.evermann.de/glaube/zj/sekte ... tes-sekte/
secta < sectari/sequi (Georges u.a.)

Könnte es sich um eine Bildung handeln wie bei MENSA = (TABULA) MENSA, also ein Kurzform für pars secta o.ä.?
Oder kann es nur eine Bildung sein wie bei pugnare --> pugna < pugnare, opera< operari u.ä. ?

Gratias praemitto.
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Re: Etymologie

Beitragvon marcus03 » Do 18. Apr 2019, 12:26

Stomachatus hat geschrieben:Und wenn Du es in Erfahrung gebracht hast, was hast Du davon?

Was hast du davon, solche Fragen zu stellen?
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Re: Etymologie

Beitragvon marcus03 » Do 18. Apr 2019, 13:39

Stomachatus hat geschrieben:Solche Fragestellungen sind meistens eitel und zwecklos.

Was ist daran eitel oder zwecklos? :?

Stomachatus hat geschrieben:Man lernt Latein nicht, um sich mit Floskeln und Etymologien zu schmucken, die man abends im Wohnzimmer beim Cognac mit gutbürgerlichen Bekannten zur Geltung kommen. So ein Leteinbetrieb lehne ich ab.

Du solltest etwas sensibler mit der dt. Sprache umgehen!

Genauso gut können andere deinen selbstgefälligen, von Intoleranz und Einseitigkeit geprägten Umgang mit und deine illusorischen Vorstellungen von der lat. Sprache ablehnen. :cry:
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Re: Etymologie

Beitragvon Prudentius » Do 18. Apr 2019, 17:03

Etymologie hin oder her, Sekte im Sinne secare ist eine Negativbezeichnung: die, die sich von der wahren Lehre abgeschnitten haben; und von sequi heißt es positiv: Gefolgschaft.
Die religiösen Selbstbezeichnungen sind ja alle kämpferisch und polemisch: Katholisch, orthodox (rechtgläubig), evangelisch, abgrenzend.

Ähnlich ist es bei den Muslimen, da werden die Schiiten, die Anhänger des Ali, von den Sunniten als Sekte angesehen; aber das Verbum bedeutet folgen, Gefolgschaft leisten.

Ähnlich ist es auch mit der Etymologie von religio: wohl von re-legere, dem Positivum zu neg-legere: achtsam, aufmerksam sein. Dann gibt es aber auch eine Erklärung von re-ligare, rückbinden; das passt erst im christlichen Verständnis, und ist wohl von Augustinus verbreitet worden.
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Re: Etymologie

Beitragvon Laptop » Fr 19. Apr 2019, 21:19

Ich habe mal die Stelle bei Gnaeus Naevius nachgeschlagen, an der secta erwähnt wird: https://latin.packhum.org/loc/112/1/0/507-512#0 Wenn man sich nun noch die andren klassischen Stellen anschaut die secta erwähnen, ist auffällig wie häufig secta in einem Atemzug mit sequi genannt wird, es scheint eine feste Kollokation: sectam sequitur, einer Sekte folgt man. Eine Abspaltung, ein negativer Begriff, macht sich weniger gut mit dem positiv konnotiertem sequi im Schlepptau. Secta war in der Antike eine wertneutrale Bezeichnung für, Zitat, "... nicht nur eine philosophische Schule, sondern auch eine Schulrichtung in der Rechtswissenschaft oder die Anhängerschaft eines Politikers", daher ist es naheliegend zu erwägen sowas wie "doctrina secuta" wurde zu "secta" verkürzt *. Ausserdem war secta die lat. Entsprechung zu gr. αἵρεσις, von hairéomai "sich nehmen, auswählen, vorziehen". Man zieht eine Lehre vor, z. B. die von Epikur, oder, mit andren Worten, man folgt ihr. Secare passt da nicht zu αἵρεσις, denn secare ist weder wertneutral, noch beinhaltet es den Bedeutungsbestandteil des Wählens.

* Nach Gell. 18, 9, 8. und Prisc. 8, 29. gibt es eine aktive Nebenform sequere, deren PPP mit passivem Sinn dann secuta wäre.
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Re: Etymologie

Beitragvon sinemetu » Fr 12. Jul 2019, 10:42

Wie ist bei zwei auf kurzem Blick plausibel klingenden Etymologien vorzugehen. Etymologie heißt: Einen Begriff in einer Sprache aus einem Begriff in einer anderen Sprache ableiten.

Das Übertragene ist immer sekundär, das Konkrete immer primär! Dem Hinweis des Prudentius, daß Negativ- und Positivbezeichnungen immer so zu werten sind, daß Positiv die Ursprungsbedeutung, Negativbedeutung daher immer eine Sekundärbedeutung ist, die nach einer gewissen Geschichte des Wortes auftritt, will ich ebenfalls zustimmen.

Folgende Fragen sind zu beantworten:
1. Wer hat die Begriffe geprägt?
2. Wie alt sind die Begriffe?
3. Welche Bedeutungen sind konkret, welche übertragen?
4. Welche Bedeutungen sind negativ, welche positiv?
5. Welches ist die ältere Bedeutung und welches die jüngere.
6. Wie sind die Bedeutungsentwicklung seitdem?
7. Sind Sprachgrenzen überwunden worden. Liegen Ummotivationen vor?
8. Wie sind die TC?

zu: secare und sequi
Sequi schon deshalb, weil bei Sekte der Stammthemavokal fehlt, welcher etwa bei Sekante sich erhalten hat. Warum sollte er ausgefallen sein? Obwohl die Pythagoräer durchaus eine Arkandisziplin hatten, und auf diese imho das erste mal der Begriff Sekte in unserem Sinne als die sich "abgrenzenden" angewendet worden ist, ist doch Laptops Hinweis auf αἵρεσις als entscheidend zu werten. Es gilt hier also der Grundsatz: Positiva ante Negativa!

zu: relegere und religare
Auch hier scheint mir, im Gegensatz zum augustinischen religare, daß re-legere, also eine Vorschrift nochmal nachlesen, wenn sie nicht mehr im Hirn präsent ist, der Ursprung des Wortes Religion ist, und zwar deshalb, weil die Deutung relegere eine konkrete Verbalbedeutung ist, statt der übertragenen Verbalbedeutung von religare "rückbinden".
Konkreta prima, Derivata secunda sunt!
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Re: Etymologie

Beitragvon Tiberis » Fr 12. Jul 2019, 12:00

sinemetu hat geschrieben:Sequi schon deshalb, weil bei Sekte der Stammthemavokal fehlt, welcher etwa bei Sekante sich erhalten hat. Warum sollte er ausgefallen sein?

er ist genauso wenig "ausgefallen" wie im Wort Sektor. Schau dir lieber zuerst die Stammformen von secare an! :book:
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Re: Etymologie

Beitragvon sinemetu » Fr 12. Jul 2019, 12:37

Tiberis hat geschrieben:
sinemetu hat geschrieben:Sequi schon deshalb, weil bei Sekte der Stammthemavokal fehlt, welcher etwa bei Sekante sich erhalten hat. Warum sollte er ausgefallen sein?

er ist genauso wenig "ausgefallen" wie im Wort Sektor. Schau dir lieber zuerst die Stammformen von secare an! :book:

Du hast recht...
... aber man kennt keine negative Eigenbezeichnung im Passiv, also die Abgeschnittenen, Eigenbezeichnungen sind regelmäßig Aktiva, wobei ich nicht weiß, ob hier das Mediopassiv -ich schneide mich ab- nicht doch gehen könnte. ... f. folgt ich muß los... selbst beim Bund der Vertriebenen oder beim Bund der Verfolgten kommt vor den Passiv noch ein Aktiv.
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Re: Etymologie

Beitragvon sinemetu » Fr 12. Jul 2019, 18:22

Dieser Beitrag muß weg hier ...
Zuletzt geändert von sinemetu am So 14. Jul 2019, 08:33, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Etymologie

Beitragvon Prudentius » So 14. Jul 2019, 08:28

Laptop hat geschrieben:Man zieht eine Lehre vor, ... oder ...man folgt ihr. Secare passt da nicht zu αἵρεσις, denn secare ist weder wertneutral, noch beinhaltet es den Bedeutungsbestandteil des Wählens.


Überleg mal, das, was man auswählt, das Filetstück, das schneidet man heraus aus der wertlosen Umgebung!
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Re: Etymologie

Beitragvon Prudentius » So 14. Jul 2019, 08:40

Etymologie heißt: Einen Begriff in einer Sprache aus einem Begriff in einer anderen Sprache ableiten.


Ursprünglich heißt es, die wahre, echte Bedeutung in derselben Sprache, dem Gr., ableiten; z.B. der Göttername "Hera" hat die wahre Bedeutung "Luft", "HPA" = "AHP", mit Buchstabenumstellung, scherzhaft, aber lehrreich.
"Etymos" heißt wahr, echt.
Die Sophisten haben mit dieser Methode die Wahrheit ihrer Theorien nachweisen wollen, so ähnlich wie auch mit der Allegorie.
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Re: Etymologie

Beitragvon sinemetu » So 14. Jul 2019, 08:40

Nein Prudentius, es wird nichts aus einer Lehre herausgeschnitten, sondern man folgt ihr, d.h. wählt den Weg. Eine Lehre mit einem Körper zu vergleichen, aus dem das Filetstücke herausgeschnitten wird, ist so was von übertragen. Überhaupt eine Lehre mit Fleisch vergleichen, wer soll drauf kommen, wo ist das TC? Gibt es ein Beispiel, d. h. gibt es das Bild schon irgendwo anders?
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Re: Etymologie

Beitragvon sinemetu » So 14. Jul 2019, 10:40

Prudentius hat geschrieben:
Etymologie heißt: Einen Begriff in einer Sprache aus einem Begriff in einer anderen Sprache ableiten.

Ursprünglich heißt es, die wahre, echte Bedeutung in derselben Sprache, dem Gr., ableiten; z.B. der Göttername "Hera" hat die wahre Bedeutung "Luft", "HPA" = "AHP", mit Buchstabenumstellung, scherzhaft, aber lehrreich. "Etymos" heißt wahr, echt.

Es ist nicht ganz lauter, hier damit zu kommen, Prudentius. Wir, die hier lesen, wissen, daß die klassische Etymologie, beispielhaft im Kratylos Platonis niedergelegt, eine philosophische Lehre ist, wir hier aber einer philologischen Disziplin fröhnen, die sich nicht zur Aufgabe gestellt hat, das "wahre Wesen" eines Dinges zu erkunden, sondern erkennen möchte, wie sich die Bedeutungen der einzelnen Worte entwickelt haben.
Wir verkünden nun nicht irgendwelche in Psephismen und Calkulationen versteckte "Wahrheiten", sondern wollen anhand von Lautentwicklungsregeln und Bedeutungsentwicklungen nachprüfbare Wortgeschichten erstellen.

Da es dabei oft um Wurzeln geht, halte ich das Wort Rhizologie für viel angemessener, als das Wort Etymologie, welche P. oben zitiert, und welches die Philologie des 19. Jahrhunderts infortunabler Weise einfach umgedeutet hat.

Wir wissen z. B. daß die Worte kto, tko, okt und tok, zwar alle c.g.s. dieselben Laute, jedoch in anderer Anordnung erhalten. Von tko und kto wissen wir, daß sie der kroatischen und der russischen Sprache angehören, dieselbe Bedeutung haben (wer), und mithin von uns als verwandt bezeichnet werden. okt dagegen ist lat. acht. tok (Behältnis) dagegen ist ein ungarisches Wort, welches sich zu tök (Kürbisart) gesellt, ganz andere Bedeutung hat, und nicht neben die slawischen Worte gestellt werden darf. Dies zu ordnen ist genau unser philologisches Interesse. Darüber hinaus wollen wir nichts zum Ding an sich feststellen. Bei uns sind die Begriffe nicht mit dem Ding durch irgendeine mysteriöse Beziehung verbunden, als allein durch die Abfolge der Laute und Beziehung, die man Bedeutung nennt. Unser Augenmerk gilt dabei der Arbeitsweise des Gehirns, welches bei der Produktion des Sprache ein lautliches und ein bildliches Assoziationssystem parallel nutzt.
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