Ovid

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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » Sa 1. Jun 2019, 08:18

Medicus domesticus hat geschrieben:TLL unter propior (wie Luck angibt):
abl.sing. -i non trad. nisi falsa var. l. Ov. met. 5,598 ...


Das bringt es m.E. auf den Punkt.

Wäre noch die Frage nach den codices: Wie hängen sie voneinander ab?
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Re: Ovid

Beitragvon Tiberis » Sa 1. Jun 2019, 12:16

Medicus domesticus hat geschrieben:Artikel in solchen Zeitschriften werden ja deswegen geschrieben, damit nicht jeder das Rad neu erfinden muß.

Auch Luck, der Professor deines Vertrauens :lol: , kann naturgemäß, wie wir alle, über diese Stelle nur Mutmaßungen anstellen, auch wenn diese durchaus plausibel sein mögen. Um das entsprechend beurteilen zu können, ist es aber unerlässlich, sich zuvor, möglichst unbeeinflusst von den Meinungen anderer, mit dem Text auseinanderzusetzen, also selbständig zu denken , statt blind zu vertrauen.
Ich meine zwar auch, dass propioris margine ripae die besten Argumente für sich hat, dennoch würde ich die anderen Lesarten nicht von vornherein ausschließen. So wundert es mich beispielsweise, dass Luck die Variante propioris..fontis verwirft, ohne die Möglichkeit einer Hypallage in Betracht zu ziehen. Und wenn in der Teubnerausgabe propiori steht, bedeutet das ja wohl, dass auch diese Lesart nicht ausgeschlossen werden kann, auch wenn sie offenkundig vom üblichen Sprachgebrauch abweicht.
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Re: Ovid

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 1. Jun 2019, 12:34

Darin vertraue ich aber nicht Dir, Tiberis, irgendeinem Lateinlehrer, der Dinge ins Lächerliche zieht, sondern eher denen, die sich in der Uni damit beschäftigen und beschäftigt haben.
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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » Sa 1. Jun 2019, 12:38

Tiberis hat geschrieben:Und wenn in der Teubnerausgabe propiori steht, bedeutet das ja wohl, dass auch diese Lesart nicht ausgeschlossen werden kann, auch wenn sie offenkundig vom üblichen Sprachgebrauch abweicht.

Warum Teubner ausgerechnet das nimmt, verstehe ich nicht, da es keine Vergleichstellen in der Antike zu geben scheint. Sehr, sehr seltsam! :?
Man kann auch krampfhaft an einer lectio difficilior festhalten, auch wenn nichts dafür spricht außer dass es sie gibt.
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Re: Ovid

Beitragvon Prudentius » Sa 1. Jun 2019, 17:03

"Und erschreckt trete ich näher an den Uferrand heran", das heißt es offensichtlich, und ihr habt immer "trete ich an den näheren Uferrand heran", das ist unbefriedigend; aber mich wundert es, dass mein Vorschlag von der prädikativen Bedeutung dieser Komparativform bei euch nicht ankommt: "näher an den Rand herantreten" statt "an den näheren Rand treten"; "primi adveniunt", zuerst kommen sie an, als erste; attributiv hieße es "die ersten kommen an".
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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » Sa 1. Jun 2019, 17:20

Prudentius hat geschrieben:aber mich wundert es, dass mein Vorschlag von der prädikativen Bedeutung dieser Komparativform bei euch nicht ankommt:

Dazu müsste es doch propior lauten. Das steht aber nicht da. :?
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Re: Ovid

Beitragvon Tiberis » So 2. Jun 2019, 00:47

Medicus domesticus hat geschrieben: vertraue ich aber nicht Dir, Tiberis, irgendeinem Lateinlehrer, der Dinge ins Lächerliche zieht, sondern eher denen, die sich in der Uni damit beschäftigen

sehr freundlich. :roll:
Du scheinst da etwas Grundlegendes misszuverstehen, werter Medicus. In der Wissenschaft geht es nicht um Vertrauen, sondern um kritische Auseinandersetzung. Hier zählen die besseren Argumente und nicht blinde Autoritätsgläubigkeit, das solltest du eigentlich wissen. Wenn du meine Beiträge zum gegenständlichen Thema gelesen hast, wirst du unschwer erkennen, dass ich keinesfalls die Argumentation Lucks "ins Lächerliche gezogen" habe, die ich durchaus für plausibel halte; vielmehr hat mich deine Aussage "ein Prof., dem ich vertraue" erheitert. Mag ja sein, dass dir als Hobbylateiner die Ausführungen eines Uni-Professors als unumstößliches Dogma erscheinen, ich jedoch bin es gewohnt, zu allererst selbst nachzudenken statt vertrauensvoll nachzubeten, was eine sogenannte Autorität verfasst und veröffentlicht hat.
:shock:
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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » So 2. Jun 2019, 07:21

Tiberis hat geschrieben:Hier zählen die besseren Argumente

Gibt es ein Argument, warum Ovid hier propiori als Ablativ verwendet, obwohl er es sonst nie tut.
Ist Metrik wirklich ein Argument? Dann müsste es doch Vergleichbares geben. :nixweiss:
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Re: Ovid

Beitragvon Prudentius » So 2. Jun 2019, 08:00

marcus03 hat geschrieben:Dazu müsste es doch propior lauten. Das steht aber nicht da. :?


Marce, die Näher-Beziehung ist doch zweiseitig: wenn ich dir näher bin, dann bist du mir näher!
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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » So 2. Jun 2019, 08:25

Du hast von Prädikativität gesprochen. Die liegt dann doch nicht mehr vor. :?

Prudentius hat geschrieben:"näher an den Rand herantreten

"näher" bezieht sich auf das Subjekt.
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Re: Ovid

Beitragvon Medicus domesticus » So 2. Jun 2019, 09:01

Tiberis hat geschrieben:Du scheinst da etwas Grundlegendes misszuverstehen, werter Medicus...

Also über Wissenschaft/Universität brauchst du mir sicher keinen Vortrag halten, denn wie dieser Betrieb funktioniert weiß ich auch. In der Medizin bin ich heute noch ein Teil dieses Systems.
Ich lese solche Artikel natürlich durch und mache mir meine Gedanken ebenfalls dazu, schaue die Originalstelle an. In der Wissenschaft ist Usus, dass man sich anschaut, wer darüber schon veröffentlicht hat. Vertrauen heißt nicht blind vertrauen, sondern es gibt immer Leute, die plausibler veröffentlichen als andere.
Hier stellt sich die Frage, ob man propiori Ovid als Ablativ, der metrisch und vom Sinn her passt, durchgehen lässt oder nicht. Da propiori als Abl. auch keinen Beleg hat, kann sich ein Fehler eingeschlichen haben. Darüber machen sich nicht nur Luck (in Bezug auf die Quellenlage), sondern auch andere Gedanken.
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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » So 2. Jun 2019, 10:02

So könnte das s von propioris verloren gegangen sein:

Der abschreibende Mönch hatte Beamtenmentalität: Die Mittagsglocke ertönte beim i, sofort warf er den Schreibgriffel weg und stürmte ins Refektorium.

Andere Theorie:
Der Mönch wollte sich ein Denkmal setzen und dachte: Die zukünftigen Philologen werden so immer an mich denken, wenn sie sich daran die Zähne ausbeißen. Dabei blickte er auf eine Büste von Ovid, der grinste, als ob der dächte: Auf die Idee bin ich damals auch schon gekommen, habs sie mir aber dann verkniffen, weil ich propiori einfach nicht über die Lippen bringe. ;-)
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Re: Ovid

Beitragvon Prudentius » So 2. Jun 2019, 10:28

Medicus domesticus hat geschrieben:Darin vertraue ich aber nicht Dir, Tiberis, irgendeinem Lateinlehrer, ... sondern eher denen, die sich in der Uni damit beschäftigen und beschäftigt haben.


Medice, du gerätst hier in die Fallstricke der Fehlschlüsse, "argumentum ad hominem" nennt man das, wenn man statt "ad rem" auf die Person zielt; unfaire Diskussion ist das, niedrige Einstufung, Herabsetzung des Gegenspielers, polemische Argumentationsweise, grenzt an die Methoden von Propagandakrieg.

Noch ein anderer Fehler wird erkennbar, "Fehlschluss der Autorität": wenn man statt einen Satz zu beweisen, darauf aufbaut, dass der Satz von einer bedeutenden Autorität für wahr gehalten wird.

Was die Einschätzung von Professorenmeinungen betrifft, so sollte man daran denken, dass es das wissenschaftliche Chaos gibt :-D .
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Re: Ovid

Beitragvon Tiberis » So 2. Jun 2019, 17:08

marcus03 hat geschrieben:Gibt es ein Argument, warum Ovid hier propiori als Ablativ verwendet, obwohl er es sonst nie tut. Ist Metrik wirklich ein Argument?

Dass die Abl.Sg.-Endung des Komparativs -i statt -e lautet, ist zwar selten, kommt aber dennoch vor, auch bei Ovid (z.B. Met. 8,443 priori caede; hier sogar ohne metrisches Erfordernis).
Weitere Beispiele bei Kühner-Holzweissig I,§78,Anm.1.
In unserem Fall wäre somit propiori möglich, zumal metrische Gründe das lange -i rechtfertigen würden.
Diese Möglichkeit aufgrund ihrer Seltenheit a priori :D zu verwerfen (something must be wrong with propiori (Luck)), halte ich für keine sehr seriöse Herangehensweise.
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Re: Ovid

Beitragvon marcus03 » So 2. Jun 2019, 17:25

Danke. Das ist natürlich ein Argument. Dem kann man nur entgegenhalten, dass die Belegstellen für propriore bei Ovid eindeutig überwiegen (siehe Link). Doch Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. :)
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