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Beitragvon Odinus Thorus » Mo 19. Sep 2022, 08:59

Bei Walde lesen wir auf s. 186 als Lemma: "nūllus"

Wenn das Macron über u ein Längenzeichen sein soll, dann widerspricht dies dem doppelten l nach gängiger Notation und Aussprache. Was verstehe ich falsch?
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Re: nullus

Beitragvon marcus03 » Mo 19. Sep 2022, 09:36

Wieso?
Doppelkonsonanz bewirkt meist Längung. Das sollte bekannt sein. :?

prṓquĕ vĭrṓ, quī nū́llŭs ĕrā́t, vĕnĭḗbăt ăd ā́ras (Ovid)

Positionslang ist eine Silbe dann, wenn auf einen Vokal zwei oder mehr Konsonanten folgen, und zwar auch über die Wortgrenze hinweg.

https://www2.uni-erfurt.de/renzi/latein/metrik/
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Re: nullus

Beitragvon Odinus Thorus » Mo 19. Sep 2022, 10:03

Danke Markus,
Ich habe nur die im Deutschen aus dem lat. übernommene Regel und beziehe mich nicht auf eventuell in der Dichtung erfolgende Veränderungen, wie unechten Reim u. ä.

"Folgt auf einen Vokal nur ein Konsonant, so sprechen wir den Vokal in der Regel lang aus. Folgen einem Vokal zwei Konsonanten, so sprechen wir ihn in der Regel kurz aus."
Quelle: https://www.tutoria.de/unterrichtsmater ... ene-vokale

hierbei denke ich an consūmere und summa, was die Regel und deren Übernahme aus dem Lat. zu bestätigen scheint.
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Re: nullus

Beitragvon ille ego qui » Mo 19. Sep 2022, 10:52

Wieso?
Doppelkonsonanz bewirkt meist Längung. Das sollte bekannt sein.


Salvete!

Hier "droht" ein Missverständnis, das generell kaum auszurotten ist.

Zunächst (ululas porto Athenas) muss man ganz sauber unterscheiden zwischen langen VOKALEN und langen (natur- oder positionslangen) SILBEN.
Eine Silbe mit langem Vokal ist automatisch lang. Aber nicht nicht jede lange Silbe hat automatisch einen langen Vokal (da es eben neben positions- auch naturlange Silben gibt).

Das (didaktische) Problem ist, dass man die Quantität von Vokalen und die von Silben mit (ungefähr) denselben Zeichen anzuzeigen pflegt. Ein Versuch gegenzusteuern besteht darin, die Silbenlängen UNTER dem Text einzuzeichnen. In jedem Fall sollte man aber NIEMALS eine Silbenlänge direkt über einem einzelnen Vokal eintragen - da dann überhaupt keine Unterscheidungsmöglichkeit mehr gegeben ist.

Dies tut die von Odin zitierte Stelle aber auch zum Glück nicht. In der Tat ist nämlich hier NICHT die Silben-, sondern die Vokallänge gemeint. Es gibt nämlich durchaus Silben mit Doppelkonsonanz am rechten Rand UND langem Vokal, z.B. cōnsul, trīstis u.a. Darüber hinaus gibt es (zunächst überraschend) auch Wörter, wo bei geminiertem Konsonanten gleichzeitig noch Vokallänge gegeben zu sein scheint, z.B. nūllus, ēsse (= edere!) nārrare (letzteres umstritten).

Ob solche Silben dieselbe Zeit benötigen wie eine "normale" natur- oder positionslange Silbe oder sog. "Überlänge" haben, darüber besteht keine vollständige Einigkeit. Fakt ist aber, es gibt diese Fälle, wo die Silbenlänge sich von zwei Seiten her begründet ...
:-)

Bene valete!
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Re: nullus

Beitragvon ille ego qui » Mo 19. Sep 2022, 10:58

Odinus Thorus hat geschrieben:"Folgt auf einen Vokal nur ein Konsonant, so sprechen wir den Vokal in der Regel lang aus. Folgen einem Vokal zwei Konsonanten, so sprechen wir ihn in der Regel kurz aus."
Quelle: https://www.tutoria.de/unterrichtsmater ... ene-vokale

hierbei denke ich an consūmere und summa, was die Regel und deren Übernahme aus dem Lat. zu bestätigen scheint.


Die Dehnung von Vokalen in offenen Silben hat im Lateinischen nicht in der Antike stattgefunden, sondern erst deutlich später.
Wann das passiert ist, weiß ich nicht genau. Vielleicht schon im Mittelalter, dann würde es einige scheinbar (?) unreine Reime erklären.
Aber genau kann ich es nicht sagen.
Im Deutschen hat dieser Lautwandel in der frühen Neuzeit stattgefunden ("Dehnung in der offener Tonsilbe" ist hier der Fachhterminus).

Was deine Bemerkung zu "consumere" (langer Vokal schon in der Antike) und "summa" (langer Konsonant, kurzer Vokal in der Antike, heute im Deutschen weiterhin kurzer Vokal und einfaches m als Silbengelenk) belegen soll, ist mir nicht ganz klar.
Im Gegensatz zum Deutschen können im Lateinischen Vokale in offenen Silben (das sind letztlich die mit einfachem oder keinem Konsonanten im rechten Rand) ebenso gut lang (consūmere) wie auch kurz sein (ămo)!
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Beitragvon marcus03 » Mo 19. Sep 2022, 11:24

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Re: nullus

Beitragvon medicus » Mo 19. Sep 2022, 12:01

Vielleicht kann man Odinus am besten mit diesem Satz helfen:
Die Ausspracheregeln sind in Latein und Deutsch verschieden.
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Re: nullus

Beitragvon Odinus Thorus » Mo 19. Sep 2022, 13:06

ille ego qui hat geschrieben:Es gibt nämlich durchaus Silben mit Doppelkonsonanz am rechten Rand UND langem Vokal, z.B. cōnsul, trīstis u.a.

Wie kommst Du auf Doppelkonsonanz am rechten Rand? Ich trenn so:
1. Silbe: cōn 2. Silbe: sul
1. Silbe: trīs 2. Silbe: tis

Oder trennst Du:
1. Silbe: cōns 2. Silbe: ul
1. Silbe: trīst 2. Silbe: is
?
Es ist wirklich besser, das mit den Silben bei der Dichtung zu belassen. Die Silbe ist ja nur ein mehr oder weniger hilfreiches gedankliches Konstrukt aus der Frühzeit der Sprachbetrachtung.
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Re: nullus

Beitragvon Odinus Thorus » Mo 19. Sep 2022, 13:29

ille ego qui hat geschrieben:Was deine Bemerkung zu "consumere" (langer Vokal schon in der Antike) und "summa" (langer Konsonant, kurzer Vokal in der Antike, heute im Deutschen weiterhin kurzer Vokal und einfaches m als Silbengelenk) belegen soll, ist mir nicht ganz klar.


Sie soll belegen, dass man bei der Umsetzung von Sprache in Schrift im frühen Rom eine ähnliche Regel wie im heutigen Deutsch hatte, nämlich: Einem geminierten Konsonanten geht IN DER REGEL eine kurzer Vokal voran, (Summa) während einem langen Vokal (sūmere) IN DER REGEL ein einfacher Konsonant folgt.
[/quote]

Längen können sich auch durch Bedeutungsdifferentiation ändern: shttps://www.dwds.de/wb/Konsum#1 und Konsum#2 [ˈkɔnzʊm] versus [kɔnˈzuːm] leider kann man im DWDS nicht im IPA suchen.
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Re: nullus

Beitragvon Sapientius » Mo 19. Sep 2022, 16:44

"villa" mit langem i, stella mit langem -e.
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Re: nullus

Beitragvon Odinus Thorus » Mo 19. Sep 2022, 19:57

Sapientius hat geschrieben:"villa" mit langem i, stella mit langem -e.


wir lesen aber nach dt. Sitte villa [ˈvɪla] mit kurzem i, während vilicus das lange Stamm-i aufgrund der fehlenden Konsonantengemination bewahren konnte, auch weil die lat. Aussprache hier der dt. Schreibung adaequat ausgesprochen wird. Wir haben villa, stella und nullus. Tritt das Phänomen den nur bei ll auf?
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Beitragvon Sapientius » Di 20. Sep 2022, 07:19

ullus und mille gehören auch noch dazu.

Das lange u von ullus, nullus geht auf das lange u von unus zurück.
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Re: nullus

Beitragvon Odinus Thorus » Di 20. Sep 2022, 08:44

Sapientius hat geschrieben:ullus und mille gehören auch noch dazu.

Das lange u von ullus, nullus geht auf das lange u von unus zurück.


viellicht häng diese lange Aussprache vor Doppel-L mit der Aussprache des L überhaupt zusammen? In Polen gibt es ja auch das Ł, welches halbvokalisch gesprochen wird, mit ganz hohlem Zungenraum.
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Re: nullus

Beitragvon Sapientius » Di 20. Sep 2022, 09:23

nolle und malle sind mir auch noch eingefallen.
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Re: nullus

Beitragvon medicus » Di 20. Sep 2022, 10:09

Sapientius hat geschrieben:nolle und malle sind mir auch noch eingefallen.
Warum gehört velle nicht dazu :?
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