Ovid, Am I, 6

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Ovid, Am I, 6

Beitragvon iurisconsultus » Fr 24. Jun 2022, 19:42

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen,

könnt ihr mir beim unterstrichenen Vers helfen:

certe ego, cum posita stares ad verbera veste,
ad dominam pro te verba tremente tuli.
ergo, quae valuit pro te quoque gratia quondam,
(heu facinus!) pro me nunc valet illa parum?
redde vicem meritis: grato licet esse quod optas.


Zeig dich (als Erwiderung) erkenntlich für meine Verdienste (Dativ/Ablativ?). Wenn du dankbar bist, kann dir gehören, was du willst (elliptisches tibi mit grato in Apposition?).

Ohne Spicken auf Übersetzungen hätte ich beim zweiten Versteil die Syntax nicht durchschaut. ;-)

Ich danke euch!
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Re: Ovid, Am I, 6

Beitragvon marcus03 » Sa 25. Jun 2022, 07:45

iurisconsultus hat geschrieben:(elliptisches tibi mit grato in Apposition?).

Ja. Durch optas, ist grato eindeutig identifiziert.
Aber auch allgemein formuliert ergibt sich ein Sinn: einem Dankbaren/ wenn man dankbar ist


iurisconsultus hat geschrieben:Zeig dich (als Erwiderung) erkenntlich für meine Verdienste (Dativ/Ablativ?)

m.E. beides denkbar:
durch (eigene) Verdienste
für (meine geleisteten) Verdienste, dat. commodi
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Re: Ovid, Am I, 6

Beitragvon iurisconsultus » Sa 25. Jun 2022, 08:47

Danke dir Markus! :)
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Re: Ovid, Am I, 6

Beitragvon marcus03 » Sa 25. Jun 2022, 09:09

Immer gerne, o iurisconsulte prudentissime, litteratissime humanissimeque ! :D
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Re: Ovid, Am I, 6

Beitragvon Sapientius » Sa 25. Jun 2022, 16:42

certe ego, cum posita stares ad verbera veste,
ad dominam pro te verba tremente tuli.
ergo, quae valuit pro te quoque gratia quondam,
(heu facinus!) pro me nunc valet illa parum?
redde vicem meritis: grato licet esse quod optas.


Ein paar Beobachtungen zum Text:

- "posita stares ad verbera veste, ... tremente ...": da sieht man, was Sklaverei bedeutet!

- "domina", das ist in der Elegie der feststehende Terminus für die Geliebte

- Ovid macht sich hier bei Augustus unbeliebt: Ein freier Römer lässt sich dazu herab, einen Sklaven um eine Gefälligkeit zu bitten. Dafür musste Ovid büßen.

- Der abl.abs. "posita veste" ist durch ein großes Hyperbaton getrennt und bildet eine Klammer für einen Fünferblock: "posita stares ad verbera veste".

- "redde vicem meritis": zeig dich erkenntlich für ..., Dativ.

- "grato licet esse...": der Dativ gehört zu beiden Verben, dadurch erhält der Ausdruck etwas Kompaktes, schwer zu durchschauen.

- Das Gedicht ist ein "Paraklausithyron", ein Gesang vor der verschlossenen Tür (der Ausdruck ist vllt. nicht allen Teilnehmern geläufig); da sieht man: so ein Elegiker ist arm dran :sad:
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Re: Ovid, Am I, 6

Beitragvon iurisconsultus » Sa 25. Jun 2022, 17:30

Sapientius hat geschrieben:- "domina", das ist in der Elegie der feststehende Terminus für die Geliebte

… für die erratische, despotische Geliebte (servitium amoris), sonst eher puella/amica.
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Re: Ovid, Am I, 6

Beitragvon Sapientius » Di 12. Jul 2022, 10:28

certe ego, cum posita stares ad verbera veste,
ad dominam pro te verba tremente tuli.
ergo, quae valuit pro te quoque gratia quondam,
(heu facinus!) pro me nunc valet illa parum?
redde vicem meritis: grato licet esse quod optas.


Es lohnt sich, einmal den Wortlaut selbst mit Blick auf Ovids schöne Sprache unter die Lupe zu nehmen.

- Da gibt es auffällige Hyperbata, auseinandergerückte zusammengehörige Worte:
- "posita stares ad verbera veste", posita veste, das Adverbiale umrahmt die eigentliche Aussage "stares ad verbera";
- Gleich in der nächsten Zeile: "pro te verba tremente tuli", da sind "te tremente" und "verba tuli" miteinander verschränkt, also quasi ein Doppelhyperbaton.
- Das quae in der 3. Zeile möchte man für das Fragepronomen der Frage halten, aber es ist ein Relativum, es wird dann durch illa aufgenommen; es ist eine Satzfrage; ohne Fragewort, also ist es ein Asyndeton, eine unbezeichnete Anknüfung.
- das Asyndeton erscheint auch am Schluss zweimal, bei redde und bei grato.
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