Prohibitiv

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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Re: Prohibitiv

Beitragvon Sapientius » So 26. Mär 2023, 15:43

Die Sibylle sagt zu Charon: "Absiste moveri!", "Reg dich nicht auf!", Aen. 6:399.
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Re: Prohibitiv

Beitragvon Sapientius » Di 28. Mär 2023, 16:53

"Ne saevi, magna sacerdos!"; "wüte nicht ...", im selben Buch, 544.
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Re: Prohibitiv

Beitragvon Sokrates » Di 25. Apr 2023, 14:19

Salvete, amici linguae Latinae peritissimi,

Ich habe soeben wieder meinen Weg in dieses Forum gefunden und möchte nur kurz einen Beitrag kommentieren zu einer Form, die immer wieder für Fragen sorgt.
Das Phänomen kann man, wie schon erwähnt wurde, aus synchronischer oder diachronischer oder diaphasisch-diastratischer Perspektive betrachten und erhält dementsprechend:

Christian Touratier, Lateinische Grammatik, WBG 2014, kleinere (und gleichzeitig breiter aufgestellte) Version seiner „Syntaxe Latine“, die seit 2020 im Buske Verlag auch auf Deutsch präsentiert wird. Dieses Großwerk ist im Deutschen zweibändig, aber auch im franz. Original und dem bisher erschienen ersten Teil auf Deutsch wird der Prohibitiv nicht wesentlich tiefer behandelt als in der „Lateinischen Grammatik“, aus der ich stark gekürzt § 489f. angebe:
„In der gehobenen literarischen Sprache stehen Imperativ und Konjunktiv in komplementärer Distribution. Wenn der Imperativsatz positiv ist, steht in den Personen 2 und 5 (Anm.:Touratier meint damit die 2. Person Plural) das Imperativmorphem und in den anderen Personen das Konjunktivmorphem. Wenn der Imperativsatz negiert ist und somit ein Verbot ausdrückt, steht das Konjunktivmorphem. Bei den Personen 2 und 5 steht nē mit Konjunktiv Perfectum (trad. Prohibitiv). Daneben kann das Verbot auch durch nōlī und nōlī-te (erstarrte Formen des Imperativs von nōl-le »nicht wollen«) mit Infinitiv ausgedrückt werden.Aber in einer freieren und mehr umgangssprachlichen Redeweise kann man auch in den Personen 2 und 5 den Konjunktiv Infectum (Präsensstamm so bezeichnet in der Terminologie Touratiers) als eine Variante zum Imperativ finden.
Ebenso findet sich auch der Imperativ mit der Negation nē anstelle von nē und Konjunktiv Perfectum oder nōlī(te) und Infinitiv.“


Kühner/Stegmann I, S. 187-189 und 202f.
2. Person Sg.Pl. Verbot ne facias = vorklassisch, egal, ob sich das Verbot an eine bestimme Person richtet oder an die Allgemeinheit. Klassisch ist diese Verwendung sehr selten und bei Cic. niemals auf eine bestimmte Person gerichtet, nur im generischen Sing. der 2. Person i.S.v. man.
2. Person Sg.Pl. Verbot ne feceris, im Altlat. war die aoristische Kraft im Perf. noch stark und spürbar, aber schwand dann. Beim Prohibitiv dieser Form handelt es sich letztlich um die „Negation des Gewollten“. Eine echte „Negation des Befehls“ ergibt sich dann in der periphrastischen Form noli(te) facere, bei Cic. häufig.


Hofmann-Szantyr, HdA Lateinische Syntax und Stilistik, 336f.:
Im Altlat. konkurrieren
1. ne fac
2. ne facias (vor allem bei den Szenikern noch beliebt)
3. ne faxis (altlat. Bildung)
4. ne feceris (rein verbal-aspektuell „dass ich niemals sehe, dass du das getan hast vs. situativ „dass du das jetzt hier nicht tuest!“, klassisch vor allem in den Briefen Ciceros zu finden)
5. noli facere (in klass. Zeit gegenüber den anderen Typen als „urbanere“ Form präferiert, sprachpschychologisch vielleicht damit zu erklären, dass analytische und vor allem umschreibende Formen als innovativer bzw. moderner empfunden worden sein mögen)

Im Altlat. war der Präsensstamm für allgemeine Verbote charakteristisch, ein Verbot für den konkreten Einzelfall stand entsprechend im Perfekt. Niemals war allerdings bei altlat. Perfektdubletten ein ne mit redupliziertem (statt s-Perfekt) verbunden.

Als außeraspektuelle Bedeutungsunterschiede führen HSz an, dass ne facias motivierend, ne faxis inhibitiv-korrektiv, ne feceris präventiv aufgefasst worden sein könnte.
Dies passt zum indogermanischen Erbe, wenn man bedenkt, dass im Altindischen má mit Injunktiv des perfektivischen Aoriststamms präventive Bedeutung hatte, also eine befürchtete Handlung schon ex ante verhindern sollte, während má mit Injunktiv des imperfektivischen Präsensstammes inhibitive Verbote bezeichnete, also den Willen, schon im Verlauf befindliche Handlugnen zu stoppen. Für beide Bedeutungen wird aber der Begriff „Prohibitiv“ verwendent, so Michael Meier-Brügger, Indogermanische Sprachwissenschaft, 8. Aufl. Syntaxteil 311. Auch Hsz führen als Paralle zum lat. Prohib. den altind. Injunktiv in o.g. Funktion an.



G. Calboli, Die Modi des griechischen und lateinischen Verbums, erschienen in 2 Teilen in der Zeitschrift Lustrum, Band 53 und 54. Referat zahlloser Forschugnsergebnisse 166-2010 und dazu Idiosynkrasien des Autors, insgesamt lehrreich, aber stellenweise setzt er viel Wissen voraus. Zum Problem des (Weiterwirkens des) Injunktivs und seiner Funktionen vgl. besonders Lustrum Band 53, S. 34ff. Keine für die lat. Stilistik brauchbaren Ergebnisse allerdings.



Interessant und im Ganzen lesenswert Elisabetta Magni, Mood and Modality, in: Baldi/Cuzzolin, New Perspectives on Historical Latin Syntax Vol.2, deGruyter 2010.

Relevant vor allem S. 234-237:
7.4.1 Volitive (exhortative, jussive, prohibitive) subjunctive
(…)
Analogous observations can be made about the prohibitive subjunctive, whose distinction from the jussive consists of the presence of a negation. While in Old Latin prohibitive sentences can also be expressed with the “fu- ture imperative” (ne facito), in Early Latin the methods in most common use for expressing a prohibition are the negative imperative,27 normally used to stop a current situation (Plaut. Capt. 139: ne fle ‘stop crying’); and ne with present (ne facias) or, especially addressing a second person, perfect subjunc- tive (ne feceris and also ne faxis).28 Within this system, only the last form
and the periphrases noli, nolite + infinitive survive in Classical Latin “as two equally standing negative counterparts of the imperative” (Rosén 1999: 114).

Fußnoten:
27. This type is not used in Classical prose but is common enough in colloquial texts and in poetry (25 examples in Virgil).
28. According to Handford (1947: 22), while ne facias is a normal form of command, nega- tivized, ne faxis (later replaced by ne feceris) is an inherited form of prohibition, a usage descended from the remote antiquity of the injunctive. (…)





Für mich ergibt sich aus der Lektüre kein so großer Unterschied zwischen ne feceris und noli facere, daher würde ich beim Rückübersetzen beides empfehlen.


Liebe Grüße,
Sokrates
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