Hegel-Satz

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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Hegel-Satz

Beitragvon Odinus Thorus » Do 18. Apr 2024, 11:05

Hallo:

ich hatte geschrieben bei Poe (AI):
Quomodo ea sententia in Linguam latinam possit vertere? "Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug."


Poe hat geantwortet (auf Latein):
Potest verti haec sententia in Linguam Latinam ut sequitur: "Nocte advescente, noctua Minervae volatum suum incipit."


Klingt für mich Halblateiner (Odinus!) akzeptabel, aber ist er es auch? Der Abl. absolutus kommt mir spanisch vor, vesci heisst speisen. Man sagt zwar "angebrochener Abend", wie angebrochenes Brot, aber die einbrechende Dämmerung wäre doch Nocte crepusculascente, oder?

Und ist dieses Wortspiel noctua - nocte angebracht.
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon marcus03 » Do 18. Apr 2024, 11:39

Odinus Thorus hat geschrieben: "Nocte advescente, noctua Minervae volatum suum incipit."

Gemeint ist
ad-vesperāscit , āvit, ere, es beginnt Abend zu werden, es dämmert

Der Ausdruck ist zudem Unsinn. Die Nacht kann nicht "abend-en". Abend ist Abend, Nacht Nacht.
(contradictio in re)
Ein Verb advesci/advescere gibt es nicht.

crepusculum= Abenddämmerung,

Vorschlag:
Minervae noctua non prius volare incipit, quam crespuculum appropinquat.


crepusculascente,

Das Verb gibt es nicht.
https://latin.packhum.org/concordance?q=crepuscu
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon Medicus domesticus » Do 18. Apr 2024, 12:24

prima nocte genauso wie prima luce…
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon marcus03 » Do 18. Apr 2024, 13:19

Uhrzeit mittags - 12 bis 14 Uhr. Uhrzeit nachmittags - 14 bis 17 Uhr.
Uhrzeit abends - 17 bis 21 Uhr. Uhrzeit nachts - 21 bis 6 Uhr.

bei Anbruch des Abends, primo vespere; primā (ergänze horā) vesperi; cum iam advesperasceret:
bei Anbruch der Nacht, primā nocte:

Physikalisch beschreibt die Dämmerung den Zeitraum, in welchem das gestreute Restlicht der Sonne sichtbar ist, während die Sonne unter dem Horizont steht. Die bürgerliche Dämmerung bezeichnet den Zeitraum, in dem die Sonne nicht tiefer als 6-6,5° unter dem Horizont steht.
In Mitteleuropa dauert die bürgerliche Dämmerung 37-51 Minuten. Helle Planeten wie bspw. Venus oder Jupiter sind schon sichtbar.
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon Odinus Thorus » Do 18. Apr 2024, 13:26

Danke pro Assistentia vestra! Wie könnte die KI auf den Ausdruck verfallen sein: Nocte advescente? Kann es sein, dass sie in einer anderen Sprache gewildert hat? Der Satz ist ja bekannt...
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon marcus03 » Do 18. Apr 2024, 13:35

Odinus Thorus hat geschrieben:Wie könnte die KI auf den Ausdruck verfallen sein: Nocte advescente?

ein word blending/Kofferwort?

advenire + advesperascere -> advescere ?? ;-)
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon Odinus Thorus » Do 18. Apr 2024, 13:38

Medicus domesticus hat geschrieben:Ja, dann frage O.T. welche Zeit er meinte, bevor du wieder in einem anderen Thread löschst! Unglaublich!

Ich denke, H. meint die Abenddämmerung... was meinst Du mit "bevor du wieder in einem anderen Thread löschst!" Hab nichts gelöscht!
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon Zythophilus » Do 18. Apr 2024, 17:35

Ich weiß nicht, wann die Eulen tatsächlich losfliegen, aber die anfangs angegebenen die Worte "mit der einbrechenden Dämmerung" sind doch klar. Gegen die figura etymologica nox noctua ist m.E. nichts zu sagen.
Vorläufig schafft die KI noch keine lateinischen Verse, wie ihr die Kreativität generell fehlt. Ich würde als Hexameter formulieren:
Palladis ire parat sub noctem noctua sacra
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon mystica » Do 18. Apr 2024, 17:56

Ich wäre sehr erfreut, wenn ein Lateinprofi das gesamte Zitat aus der berühmten Vorrede zu Hegels Werk 'Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse' (Seite 20 ff.) ins Lateinische übersetzen könnte:

"Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug."
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon marcus03 » Do 18. Apr 2024, 19:38

mystica hat geschrieben:"Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt,

Sinn? Einer der vielen Hegelschen Leerformeln?
Was meint verjüngen?
Heraklit lässt grüßen.
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon Odinus Thorus » Do 18. Apr 2024, 21:20

Zythophilus hat geschrieben:Ich weiß nicht, wann die Eulen tatsächlich losfliegen,...

Es sind, im eigentlichen Sinne keine Eulen, sondern Käuzchen, taxonomisch präziser, Steinkauze. (Athene noctua) - man kann das über die Abbildungen auf den Münzen verifizieren. Sie jagen in der Dämmerung die anfliegenden Käfer und Schwärmer....
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon mystica » Fr 19. Apr 2024, 09:29

Hegel bedient sich einer metaphorischen Sprache, um das Wesen der Philosophie in ihrem Selbstverständnis zu veranschaulichen. Die Redewendung "Grau in Grau" verweist auf eine melancholische Stimmung, die oft mit der Philosophie assoziiert wird, da sie den Tod mit dem Wissen um die Endlichkeit aller irdischen Seins thematisiert. Philosophieren bedeutet, Sterben zu lernen, wie es schon Platon in seinem berühmten Dialog "Phaidon" lehrte. Die Feststellung, dass eine "Gestalt des Lebens alt geworden" ist, deutet darauf hin, dass bestimmte historische Entwicklungen bereits abgeschlossen sind und von der Philosophie nur rückblickend betrachtet werden können. Das "Grau in Grau" kann nicht "verjüngt" werden, da die Vergangenheit unwiderruflich ist und lediglich Gegenstand philosophischer Analyse sein kann. Die Metapher der "Eule der Minerva", die erst mit dem Einsetzen der Dämmerung zu fliegen beginnt, veranschaulicht, dass ein vollständiges Verständnis des Weltgeschehens erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist, nachdem historische Ereignisse bereits stattgefunden haben. Die Eule der Minerva verkörpert Weisheit und Erkenntnis, während die Dämmerung das Ende eines historischen Abschnitts oder einer Ära darstellt. Deshalb argumentiert Hegel, dass philosophische Betrachtungen nur über abgeschlossene Ereignisse der Vergangenheit erfolgen können, da die Philosophie keine prophetischen Fähigkeiten besitzt, um Künftiges vorherzusehen.
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon ClaudiaK » Fr 19. Apr 2024, 21:00

mystica hat geschrieben:"Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug."


Eine Zwischenfrage, die mir beim weiteren Denken helfen würde:
Ist mit der "Gestalt des Lebens" die kurz zuvor personifizierte Philosophie gemeint oder wird eine weitere Person eingeführt?
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon mystica » Fr 19. Apr 2024, 21:32

Hegel bezeichnet in diesem Zusammenhang eine Epoche oder einen bestimmten Zeitabschnitt als "Gestalt eines Lebens", der bereits vergangen ist und nun von der Philosophie mit einem gewissen historischen Abstand philosophisch gedeutet werden kann. Die Philosophie Hegels strebt danach, das Wirken des Weltgeistes im Bewusstsein seiner fortschreitenden Freiheit im Verlauf seiner Geschichte als Weltgeschichte philosophisch zu deuten, d.h. auf den Begriff zu bringen, wie es der gute alte Hegel so trefflich formuliert hat. ;-)
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Re: Hegel-Satz

Beitragvon mystica » So 21. Apr 2024, 11:07

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