Grammatikalische 1:1 Übersetzung sinnvoll?

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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Grammatikalische 1:1 Übersetzung sinnvoll?

Beitragvon auricom » Mi 14. Feb 2007, 21:03

Mein Prof. verlangt zur Prüfung eine grammatikalisch korrekte 1:1 Übersetzung eines Textes aus dem Bello Gallico.

Für wie sinnvoll haltet ihr das? Ist es wirklich notwendig ein derart verunstaltetes Deutsch zu fabrizieren? Für mich ist das ungleich schwerer, weil ich mir so das Lernen von häufig benutzten Redewendungen sparen kann. Außerdem ist die Selbskontrolle ja ungleich mühsamer, weil Reclam & CO ja nur schön ausgedeutsche Versionen anbieten? Oder kennt jemand andere?

Ich persönlich fände es auch viel wichtiger, wenn man einen vorliegenden lat. Text inhaltlich verstehen und interpretieren kann als den Wert auf die komplizierte Grammatik zu legen, die mich ohnehin hoffnungslos überfordert, da ich mir extrem schwer tue beim Auswendiglernen von solchen abstrakten Konstruktionen (Ich habe in keinem anderen Fach ein Problem und rein von der Thematik interessiert es mich ja eigentlich auch).

Liebe Grüße!
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Beitragvon dideldum » Mi 14. Feb 2007, 22:02

Was einer von den Leuten, die sich hier herumtreiben, dazu denkt, ist ja eigentlich völlig egal, denn der Prof (respektive sein Assistent) ist doch wohl derjenige, der deine Übersetzung korrigieren wird, und nicht irgendein Forumsteilnehmer.

Wenn er wirklich so etwas wollen sollte wie "Caesar sorgte für eine zu bauende Brücke", so ist das nun wirklich kein richtiges Deutsch, aber dass ich das meine, nützt dir ja nichts.

Wenn's weniger extrem sein soll, habe ich ein gewisses Verständnis dafür, dass der Prof. - jedenfalls im Prinzip - jedes lateinische Wort auch in der Übersetzung wiederfinden will.
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Beitragvon consus » Mi 14. Feb 2007, 22:39

Wenn's weniger extrem sein soll, habe ich ein gewisses Verständnis dafür, dass der Prof. - jedenfalls im Prinzip - jedes lateinische Wort auch in der Übersetzung wiederfinden will.


So sehe ich es auch, dideldum. Trotzdem noch eine kleine Anmerkung:
Ich halte die von auricom mitgeteilte Forderung für einen ernsten Hinweis an alle diejenigen, die sich bei der Wiedergabe eines Textes weniger vom präzisen Verständnis der grammatischen Zusammenhänge leiten lassen, sondern - im Extremfall - meinen, allein mit Hilfe der verstandenen Vokabelgrundbedeutungen eine Übersetzung mehr schlecht als recht zusammenbasteln zu können.

Zum Brückenbaubeispiel:
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Caesar pontem faciendum curavit = C. sorgte für den Bau einer Brücke = C. ließ eine Brücke bauen.

Diese Übersetzung wird „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ von allen Korrektoren anerkannt... :)
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Beitragvon barbara » Mi 14. Feb 2007, 23:43

ich halte es vorallem anfangs sogar für sehr wichtig. viele der schüler können nicht einmal deutsche grammatik und zumindest meine nachhilfeschüler, müssen ein ppp/ppa beispielsweise zuerst einmal wortwörtlich übersetzen. sonst kommen sie mir womöglich noch irgendwann einmal mit dem ausspruch ein relativsatz wäre ein ppa, weil man dieses ja auch so übersetzen kann....und das sollte ja wohl wirklich nicht sein.
sonstige vorteile einer wortwörtlichen übersetzung:
kürzer, man verstrickt sich nicht in millionen gliedsätze;
es passiert einem nicht so leicht vom original abzuschweifen und den text womöglich ungewollt sinnverändernd wiederzugeben.

ich persönlich mag es gar nicht, wenn meine professorin von mir verlangt, "freier" zu übersetzen, mir aber dann plötzlich wieder an den kopf wirft "naja, dies übersetzung ist schon etwas zu weit vom ursprünglichen text entfernt, diese wort in deiner version könnte man auch anders auslegen, da hättest du besser daran getan, das lateinische direkt zu übernehmen, denn so ist es etwas missverständlich......"
wortwörtlich heißt wortwörtlich und da gibts wenigstens nichts dran zu rütteln- weder auf lehrer- noch auf schülerseite.

aber natürlich ist es in manchen situtationen, da gebe ich dir recht, sinnvoller, diverse strukturen zu entwirren und in "schönes" deutsch umzuwandeln, um sie leichter verständlich zu machen.

aber wie schon oft gesagt: in diesem fall bringt widerspruch nichts. wenn dein prof. das will, musst dus wohl oder übel machen....
(ich kämpfe mit dem gegenteiligen problem :wink:)

lg
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Beitragvon Tiberis » Do 15. Feb 2007, 00:23

mein lateinlehrer - friede seiner asche - sagte immer : so wörtlich wie möglich, so frei wie nötig. ich halte das für ein vernünftiges prinzip. eine ausschließlich "wörtliche" übersetzung kann es nicht geben, weder aus dem lateinischen noch aus sonst einer sprache.
oder will jemand eine gerundivkonstruktion wörtlich "übersetzen" ?
ad urbem condendam > zu der zu gründenden stadt ? :shock:
oder wie übersetzt man einen abl.abs. "wörtlich" ?
urbe condita > stadt gegründet ? das sind krücken, aber keine übersetzungen. übersetzen heißt doch, einen fremdsprachigen - in unserem fall eben lateinischen - text in möglichst gutes deutsch zu bringen, wobei naturgemäß keine "information" des ursprungstextes verloren gehen darf.
aber man hüte sich doch bitte vor diesem gräßlichen und leider immer noch nicht ausgerotteten "übersetzungs-deutsch" , mit dem pedantische schulmeister ihre schüler seit ewigen zeiten zur ängstlichkeit erziehen und ihnen jede sprachliche kreativität abwürgen.
vir magno honore > ein mann von großer ehre?? doch wohl: ein hochangesehener mann.
usw. usw.
sonstige vorteile einer wortwörtlichen übersetzung:
kürzer, man verstrickt sich nicht in millionen gliedsätze;

da wäre ich mir bei so einer schönen, langen periode von Cicero oder Livius nicht so sicher. :D
die lateinische syntax und den lateinischen satzbau 1:1 zu übernehmen - davon kann ich nur abraten.
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Beitragvon dideldum » Do 15. Feb 2007, 15:48

Natürlich hast du damit Recht, Tiberis, und ich selber führe auch gern den Spruch im Munde, man solle nicht aus gutem Latein schlechtes Deutsch machen.

Aber wenn ein Prof. in der Prüfung eine Übersetzung verlangt, die eher nahe am Text ist, dann muss man das eben machen. Von der Meinung der Diskussionsteilnehmer hier im Forum wird er sich hinsichtlich seiner Korrekturgrundsätze wohl kaum leiten lassen.
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Beitragvon auricom » Do 15. Feb 2007, 23:05

naja mein Prof. ist ein bisschen gar pingelig, nur ein Beispiel..

loci natura darf ich nicht mit natürliche Grenzen übersetzen sondern etwa mit Orte der Natur..

Aber mal ganz davon abgesehen, ich will ja hier auch keine Unterschriftensammlung einheben um diese meinem Prof. vorzuhalten, sondern lediglich wissen, ob andere auch so denken wie ich ;)
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Beitragvon barbara » Do 15. Feb 2007, 23:25

da wäre ich mir bei so einer schönen, langen periode von Cicero oder Livius nicht so sicher.
die lateinische syntax und den lateinischen satzbau 1:1 zu übernehmen - davon kann ich nur abraten.

ich muss dir ganz ehrlich sagen, dass ich mir genau bei diesen zwei autoren mit dem "wörtlichen" übersetzen um einiges leichter getan habe.
aber bei seneca, an dem ich im moment arbeite, und dessen sätze, zumindest in der apocolocyntosis, nicht sonderlich lang sind, muss ich gewisse formulierungen des öfteren frei übersetzen bzw. sogar interpretieren, da sie wortwörtlich nicht nur nicht schön sind, sondern schlichtweg keinen sinn ergeben. allerdings sagt mir dieses andauernde "sinn erraten" nicht wirklich zu, denn ich kann ja eig. nicht wissen, was der gute seneca mit diversen formulierungen aussagen wollte, und mir passiert es nicht selten, dass ich diese formulierungen (oft auch redewendungen) einfach falsch auslege.
da hätte ich lieber wieder einen handfesten cicero oder livius....

aber ja, allein anhand dieses bsp.s sieht man, dass man einfach immer so übersetzen muss, wie es für einen selbst am einfachsten ist. und vom autor ist es mit sicherheit auch abhängig.

ganz simples gegenbsp. zu der behauptung "konstruktionen auflösen ist immer das schönste":
pater filio quaerenti respondit.
der vater antwortet dem fragenden sohn (meiner meinung nach, eine durchaus schöne formulierung)
der vater antwortet dem sohn, der fragt. (finde ich sperrig und alles andere als elegant)

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Beitragvon consus » Fr 16. Feb 2007, 00:58

loci natura darf ich nicht mit natürliche Grenzen übersetzen sondern etwa mit Orte der Natur..


loci natura = "Orte der Natur" :shock::

Angesichts dieses Fehlers, amice, wird jeder Korrektor mehr als pingelig sein..
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Beitragvon auricom » Fr 16. Feb 2007, 01:08

irgendwie so ähnlich hat er mich zumindest korrigiert, jedenfalls waren die natürlichen Grenzen von mir rot unterstrichen...
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Beitragvon consus » Fr 16. Feb 2007, 01:28

Die Sache ist doch ziemlich einfach, optime: loci natura (hier einmal als Nom. gedeutet) = "des Ortes Natur"= die Natur des Ortes/Geländes = die natürliche Beschaffenheit des Ortes/Geländes u.dgl. So etwas hätte auch ich erwartet. :) Von "Grenzen" ist in diesem Ausdruck nicht die Rede.
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Beitragvon barbara » Fr 16. Feb 2007, 01:41

haha, das ist sicher wieder die stelle "...loci natura helvetii continentur" wo orgetorix den helvetiern einredet, wie leicht es nicht sei, ganz gallien zu erobern...usw.
an dem scheitern wirklich viele....es ist aber auch gar nicht so leicht, das zu verstehen, wenn man es nicht weiß....
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Beitragvon Tiberis » Fr 16. Feb 2007, 01:51

es ist aber auch gar nicht so leicht, das zu verstehen, wenn man es nicht weiß....

naja, also ein blick auf eine karte der Schweiz im atlas sollte etwaige unklarheiten doch irgendwie ..entschärfen :D
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Beitragvon auricom » Fr 16. Feb 2007, 18:24

@barbara ja stimmt genau! aber von "des Ortes Natur" auf "die natürliche Beschaffenheit des Geländes" zu kommen is ja wirklich nicht leicht!

@consus naja "Bschaffenheit" ist ja auch nirgends zu finden und passt dennoch vom Sinn her, genauso verhält es sich mit "Grenze" meiner Meinung nach.
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Beitragvon consus » Fr 16. Feb 2007, 18:39

"Beschaffenheit" ist ja auch nirgends zu finden


Stimmt leider nicht!

Ein Blick, auricom, in ein Wb (Georges, Menge-Güthling, Stowasser) zeigt, welche Bedeutungen je nach Kontext natura haben kann. Nicht bei der Übersetzung, wohl aber u. U. bei der Bearbeitung von Interpretationsfragen könnte man, je nach Kontext, sagen, dass hier natürliche Grenzen gemeint sind (etwa als Antwort auf die Frage, worin denn das Besondere an der natürlichen Beschaffenheit des Terrains zu sehen ist).
:-D
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