(Trotz meiner Ablehnung des Forums bzw. mancher 'Teilnehmer' wieder einmal eine kleine Bemerkung:)
Ein den Lyrikern*(1) lieber Fluss, ich erlaube mir auf Horaz carm. 3,12 hinzuweisen [Text und Gliederung des ionischen Dekametrons*(2) nach Shackleton-Bailey, 4. Aufl. München-Leipzig 2001; vv. 4-9; Markierungen von mir]:
"tibi qualum Cythereae puer ales, tibi telas
operosaeque Minervae studium aufert, Neobule,
Liparaei nitor Hebri,
simul
unctos Tiberinis umeros
lavit in undis,
eques ipso melior Bellerophonte, neque pugno
neque segni pede victus"
Hebrus, hier Eigenname für einen jungen Mann, wird gleichsam zum Flussgott: Ähnlich wie in carm. 3,7,22ff., wo ein Schwimmer den Namen des Enipeus trägt. Den Fluss, bulg. Maritza, wegen seiner Klarheit (=> Liparaei ~ liparós = glänzend, Liddell-Scott-Jones s.v.: "oily, shiny with oil" ~ nitor, vgl. Pasquali, G., Orazio lirico, Florenz 1920, 97; unctos führt das Bild des durch Salben Glänzenden fort; man denkt in weiterer Folge vielleicht an einen
Apoxyomenos), aber v.a. wegen seiner Kälte berühmt (Verg. ecl. 10,65; Aen. 12,331; Val. Fl. 2,515; die beiden Attribute vereint Horaz in epist. 1,16,12f.: "[...] ut nec / frigidior Thraecam nec purior ambiat Hebrus"), hat bereits Alkaios besungen (fr. 45 Lobel-Page, Übers. M. Treu vv. 5-8):
"Viele
Mädchen suchen dich auf, mit weichen
Armen schöpfen sie von dem
klaren Wasser,
das
wie Salböl rinnt, ihrer weichen Hüften
Haut zu benetzen."
Die Reminiszenzen liegen auf der Hand (vgl. Seel, O., Lyrische Variationen, Gymnasium 68 (1961), 500). Neobule hat Horaz von Archilochos, Hebrus von Alkaios.
Die Kombination oder Verschmelzung des thrakischen Flusses mit der Insel Lipara bei Sizilien und dem Bad im Tiber ist einzigartig (und) horazisch (so treffend Pöschl, Horazische Lyrik [s.u.] 328).
Literaturempfehlungen bei näherem Interesse (nach gründlicher, mehrfacher Lektüre der Ode):
Kissel, W., Horaz und c. 3,12 – Form und Gedanke, Wiener Studien N.F. 14 (1980), 125-132.
Cairns, F., Horace on Other People’s Love Affairs (Odes I 27; II 4; I 8; III 12), Quaderni Urbinati di Cultura Classica 24 (1977), 121-147.
Pöschl, V., Bemerkungen zu Horaz, carm. III 12: miserarum est. Acta antiqua Academiae scientiarum Hungaricae 15 (1977), 411-416 – leicht zugänglich und in erweiterter Fassung in dem Sammelband "Horazische Lyrik", Heidelberg ²1991 (Carl Winter Universitätsverlag).
*(1) Außer bei Alkaios bei Horaz noch carm. 3,25,8; epist. 1,3,3; ibid. 1,16,12f.; und vielleicht carm. 1,25,20, wobei hier das in einer Aldina 1501 gedruckte "Euro" Anlass zu entsprechender Änderung bot. Evtl. Besprechung der Problematik bei Interesse. Catull hat Hebrus nicht.
*(2) Zum Versmaß: Bohnenkamp, K. E., Die horazische Strophe: Studien zur Lex Meinekiana, Hildesheim/New York 1972 (Spudasmata 30)
Zur Übersetzung, für die ich mich nicht zuständig fühle, nur der Hinweis auf mögliche Ansätze für die Bedeutung von impetus bei Flüssen: hierzu könnte man Pomponius Melas Chorographia 1,27 (v. Meer), Caesars commentarii de bello Gallico 4,17,5 oder in den Historiae Alexandri Magni des Curtius Rufus 5,1,28 nachlesen. Ein Blick in Pieter Burmanns Phaedrusausgabe zur Stelle lohnt trotz ihres Alters.