exercitium XV et ultra

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon marcus03 » Mo 18. Jul 2016, 19:43

Medicus domesticus hat geschrieben:Die Lateinlehrer aktuell sind froh, wenn die Kinder die Konstruktion erkennen


Das waren noch Zeiten, als sie noch als "zu sitzen habender" Stoff vorausgesetzt wurde. ;-)
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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon iurisconsultus » Mo 18. Jul 2016, 19:45

Tiberis hat geschrieben:soso . dann ist es wohl ganz schlechtes deutsch, was Schiller schreibt

Ich sag mal so: Wer das Sprachgefühl eines Schiller hat, den kümmern Übersetzungstipps für den Durchschnittsschreiber wenig. Doch wer von uns ist so begabt? :D
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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon Medicus domesticus » Mo 18. Jul 2016, 20:38

Tiberis in Ehren, aber Schillers Deutsch ist auch nicht mehr der heutige Sprachgebrauch.
(wenn ich nur an unsere Deutschlektüre Kabale und Liebe denke...wir haben unsere Deutschlehrerin damals immer mit bayerischen Kommentaren verarscht:
Sie kam aus Norddeutschland.. :hammer: )
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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon Tiberis » Mo 18. Jul 2016, 22:01

Medicus domesticus hat geschrieben:aber Schillers Deutsch ist auch nicht mehr der heutige Sprachgebrauch.

auf diesen einwand habe ich gewartet, optime medice. :D gut, dann eben nicht Schiller, sondern Handke, der bekanntlich die präsenspartizipia geradezu exzessiv gebraucht (beispiele werden auf verlangen gerne nachgeliefert).
mir geht es nur darum, die behauptung zu widerlegen, dass das (attributive) präsenspartizip, egal, ob in einer übersetzung oder nicht, "zu vermeiden" sei. ich wüßte nicht, warum, jedenfalls nicht, solange keine objekte von ihm abhängen oder - im falle einer übersetzung - die partizipialkonstruktion zu viele informationen enthält, die eine wörtliche übersetzung unschön erscheinen ließen.
warum sollte man z.b. ex urbe ardente nicht mit "aus der brennenden stadt" übersetzen??
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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon Medicus domesticus » Mo 18. Jul 2016, 22:10

Ich denke auch, Tiberis, dass es viele Beispiele gibt, in denen man ohne weiteres so übersetzen kann. Es liegt halt immer am jeweiligen Satz. Man sollte halt auch nicht die Kinder vergessen und deren Sprachgebrauch. Ich bin halt da ziemlich nahe dran mit drei Kindern im aktuellen Lateinunterricht :-D
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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon Tiberis » Mo 18. Jul 2016, 22:59

Medicus domesticus hat geschrieben:Man sollte halt auch nicht die Kinder vergessen und deren Sprachgebrauch

natürlich nicht ! ich war und bin ohnehin stets der meinung, dass eine gute übersetzung möglichst zielsprachenorientiert zu sein hat.
medicus hat geschrieben:"Siehet der Pfosten ragende Bäume"
Da kommt sicher der Zwischenruf: Vollpfosten!

den zwischenruf würde ich locker riskieren. im übrigen würde es den heutigen schülern gar nicht schaden, sich etwas mehr mit den klassikern der deutschen literatur zu befassen.
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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon marcus03 » Di 19. Jul 2016, 08:55

Tiberis hat geschrieben:solange keine objekte von ihm abhängen oder - im falle einer übersetzung - die partizipialkonstruktion zu viele informationen enthält,


Genau die hatte ich primär im Auge, da sie häufig -gerade in Püfungen- vorkommen.
Problematisch halte ich auch die wörtl. Übersetzung von substantivierten PPAs wie im vorliegenden Fall.
"Die Zuredenden" klingt mMn nun mal wirklich nicht besonders schön.
Ausnahmen gibt es natürlich auch hier (z.B.die Studierenden).
In Rahmen der political correctness scheint dem PPA eine Renaissance bevorzustehen. Gerade der Plural ist hervorragend geeignet, das Gleichbehandlungsproblem elegant zu lösen.
Statt umständlich von Studenten und Studentinnen zu sprechen sagt man nur noch Studierende.
Ob das immer sehr schön klingt, ist eine andere Frage. "Die Gewerkschaft der Kochenden" etwa hört sich schon seltsam an.
Bei den "Busfahrenden" wird es dann zudem zweideutig.
Es kommt. wie so oft im Leben, auf den konkreten Einzelfall an.
Ich hoffe, damit alle Missverständnisse ausgeräumt zu haben. :)
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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon iurisconsultus » Di 19. Jul 2016, 09:02

Tiberis hat geschrieben:im übrigen würde es den heutigen schülern gar nicht schaden, sich etwas mehr mit den klassikern der deutschen literatur zu befassen.

Ich kann dir für diese Aussage gar nicht genug Zustimmung entgegenbringen optime Tiberis. Der Einwand, ein Werk entspreche nicht mehr dem aktuellen Sprachgebrauch und dürfe daher auch nicht mehr als Maßstab herangezogen werden, führt nur zur weiteren Verwahrlosung der deutschen Sprache - ein Prozess, der ohnehin schon viel zu weit fortgeschritten ist.

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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon Medicus domesticus » Di 19. Jul 2016, 09:32

Der Einwand, ein Werk entspreche nicht mehr dem aktuellen Sprachgebrauch und dürfe daher auch nicht mehr als Maßstab herangezogen werden, führt nur zur weiteren Verwahrlosung der deutschen Sprache...

Das kann man so nicht sagen, denn jede lebende Sprache entwickelt sich weiter. Sie ändert sich einfach. Oder spricht du noch wie in Schillers Zeiten?
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Beitragvon consus » Di 19. Jul 2016, 09:41

marcus03 hat geschrieben:´... Statt umständlich von Studenten und Studentinnen zu sprechen sagt man nur noch Studierende. ...
Schon Goethe, marcus03, benutzt den Ausdruck "Studierende" (u.a. in Dichtung und Wahrheit, 2. Teil, 8. Buch, in der Hamburger Ausgabe: Bd. 9, S. 335, Zeile 39). Wenn die Benutzung dieses Begriffs nur von den Aposteln der absurden sog. politischen Korrektheit verlangt würde, würde ich ihn aus meinem aktiven Wortschatz mit Entschiedenheit entfernen.
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Beitragvon consus » Di 19. Jul 2016, 10:14

iurisconsultus hat geschrieben:...Ich kann dir für diese Aussage gar nicht genug Zustimmung entgegenbringen optime Tiberis. Der Einwand, ein Werk entspreche nicht mehr dem aktuellen Sprachgebrauch und dürfe daher auch nicht mehr als Maßstab herangezogen werden, führt nur zur weiteren Verwahrlosung der deutschen Sprache - ein Prozess, der ohnehin schon viel zu weit fortgeschritten ist.
Als ich das las, dachte ich sogleich an die klassischen Worte:
So nehmet auch mich zum Genossen an:
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der dritte!

Ich bin Tiberis und Iurisconsultus sehr dankbar, dass sie in aller Deutlichkeit auf die hier vorliegende Problematik hingewiesen haben, und stimme ihrer Einschätzung mit Nachdruck zu. Wer mit der Korrektur schriftlicher Arbeiten von Studenten oder Schülern sowie der Lektüre von Schriftsätzen u. dgl. zu tun hat(te), wird vermutlich bestätigen, was Iurisconsultus in Bezug auf den Prozess der sprachlichen Verwahrlosung geschrieben hat. Jeder von uns stelle sich in seinem Enflussbereich dieser Entwicklung entgegen!
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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon iurisconsultus » Di 19. Jul 2016, 10:26

Medicus domesticus hat geschrieben:Das kann man so nicht sagen, denn jede lebende Sprache entwickelt sich weiter. Sie ändert sich einfach. Oder spricht du noch wie in Schillers Zeiten?

Depulsio:
Wer im Lateinischen das klassische Ideal des ciceronianischen Stils pflegt, der ist auch seiner Muttersprache Sprachpflege schuldig. :D

consus hat geschrieben:Wer mit der Korrektur schriftlicher Arbeiten von Studenten oder Schülern sowie der Lektüre von Schriftsätzen u. dgl. zu tun hat(te), wird vermutlich bestätigen, was Iurisconsultus in Bezug auf die sprachliche Verwahrlosung geschrieben hat.

Das entspricht auch meinen eigenen Erfahrungen, die ich als Universitätsassistent an der juridischen Fakultät in Linz gemacht habe und nun als Richteramtsanwärter Tag für Tag mache. Es betrübt mich (auch im Hinblick auf meine kleine Tochter) zutiefst, dass die Deutschmatura in Österreich den Namen nicht mehr wert ist.
Zuletzt geändert von iurisconsultus am Di 19. Jul 2016, 10:32, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon marcus03 » Di 19. Jul 2016, 10:30

consus hat geschrieben:Aposteln der absurden sog. politischen Korrektheit


Die sich nun sogar auf Goethe berufen könnten, wenn es historically and factually correct wäre.
Die von ihnen gerufenen Geister aber werden wir nicht mehr los. Diese Korrektheit wird weiter bunte (Stil)Blüten in allen gesellschaft. Bereichen treiben. Geburtshelfende/"Hebammende" bei der Begriffsbildung gibt es genug. :lol:
Zusammen mit gender mainstream weiß ohnehin bald keine/r mehr, ob er Männlein oder Weiblein ist. ;-)
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Beitragvon consus » Di 19. Jul 2016, 10:49

marcus03 hat geschrieben:...Die sich nun sogar auf Goethe berufen könnten, wenn es historically and factually correct wäre. ...
Vermutlich könnten die Jünger der politischen Korrektheit auch aus einem anderen Grunde mit einer solchen Berufung ihre Probleme haben; denn Goethe verwendet den Begriff "Studierende" im Zusammenhang mit der Schilderung von Ereignissen während seiner Studentenzeit in Leipzig (1765-1768). Bei diesen Studierenden dürfte es sich ausschließlich um Männer gehandelt haben; Frauen gab es ja, wenn ich nicht irre, in der Mitte des 18. Jahrhunderts noch nicht an Universitäten.
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Re: exercitium XV et ultra

Beitragvon marcus03 » Di 19. Jul 2016, 10:58

consus hat geschrieben:Frauen gab es ja, wenn ich nicht irre, in der Mitte des 18. Jahrhunderts noch nicht an Universitäten.


Aber sicher (heimlich) in mancher Studentenbude, wo man wohl auch gemeinsam die hohe Kunst der Liebe/Erotik "studierte" und v.a. praktizierte, wenn die Luft rein war. ;-)
Das diesbezügliche Studium Goethes ist mir leider unbekannt, da ich keine Biografie über ihn gelesen habe.
Ein Kostverächter wird er nicht gewesen sein. Wie weit er dabei wohl gegangen sein mag? Er pflegte bekanntlich in viele Materien tief einzudringen. :wink:
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