L. Ampelius, Liber memorialis, de duodecim signis, 6

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L. Ampelius, Liber memorialis, de duodecim signis, 6

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Fr 3. Mär 2017, 21:10

Salvete!

Emendationem oro.

Virgo, quam nos Iustitiam dicimus, fuit cum hominibus. Sed postquam homines male facere coeperunt, Iovis eam inter signa posuit. Sunt, qui Erigonam Icari filiam Atheniensem dicunt, cuius patri Liber vinum dedit, ut hominibus ad suavitatem daret: quibus dedit, ebriati sunt et lapidibus eum occiderunt. Canis, qui cum illo erat, vidit dominum occisum, et cum ululatu ad Erigonam rediit; quem ut maestum et singularem vidit, sollicita proficiscitur cum eo. Venere ad locum, ubi Icarius iacebat. Vidit corpus patris; magna lamentatione in Hymetto monte sepelivit, ipsa vero se suspendit laqueo. Canis ad pedes eius discumbens diutius et sine alimentis deficiens post aquam anhelans in puteum se proiecit. Tum Liber a Iove petiit, quod suo imperio defecerint, ut inter siderum cursus poneretur virgo. Icarius autem Arcturus nominatus est, cuius stella, cum exoritur, continuas tempestates facit: canis Canicula.

Die Jungfrau, die wir Gerechtigkeit nennen, lebte unter den Menschen. Nachdem aber die Menschen schlecht zu handeln begonnen hatten, versetzte Jupiter sie unter die Gestirne. Es gibt Leute, die sie Erigone, Ikarios’ athenische Tochter, nennen, deren Vater [der] Liber den Wein gab, auf dass er ihn den Menschen zur Annehmlichkeit gäbe: Die, denen er ihn gab, wurden berauscht und schlugen ihn mit Steinen tot. Der Hund, der bei jenem war, sah seinen Herrn totgeschlagen und kehrte mit Geheul zu Erigone zurück; wie sie diesen traurig und allein sah, brach sie besorgt mit ihm auf. Sie kamen an den Ort, wo Ikarios lag. Sie sah die Leiche ihres Vaters, bestattete ihn mit großem Wehklagen am Berg Hymettos, erhängte sich gar selbst mit einer Schlinge. Der Hund, allzu lange zu ihren Füßen liegend und ohne Nahrungsmittel ermüdend, nach Wasser lechzend, stürzte sich in eine Grube. Dann erbat Liber von Jupiter, weil sie von seiner Herrschaft abtrünnig geworden sind, dass die Jungfrau in den Lauf der Sterne versetzt werde. Ikarios aber wurde Arkturos genannt, dessen Stern, wenn er aufgeht, für andauerndes Unwetter sorgt: der Hund als Hundsstern.

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Re: L. Ampelius, Liber memorialis, de duodecim signis, 6

Beitragvon medicus » Sa 4. Mär 2017, 07:38

cultor linguarum antiquarum hat geschrieben:Sunt, qui Erigonam Icari filiam Atheniensem dicunt,


Jetzt habe ich mir endlich eigeprägt, dass nach "sunt,qui..." der Konjunktiv wegen des konsekutiven Nebensinns steht, und hier finde ich den Indikativ. :verwirrt:
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Re: L. Ampelius, Liber memorialis, de duodecim signis, 6

Beitragvon Zythophilus » Sa 4. Mär 2017, 08:53

Es ist schön, dass du dir das eingeprägt hast. Dass der Relativsatz bei sunt qui einen Konjunktiv bekommt, ist eine Art Besonderheit, auch wenn man den als konsekutiven sehr gut erklären kann. Wäre es nicht Standard im klassischen Latein, würden diesen Konjunktiv hier freilich niemand vermissen. Ich denke, dass diese Konvention eher dem Stil, als der grammatikalischen Notwendigkeit geschuldet ist. Für einen Autor des 2. oder beginnenden 3. Jhs. gilt das nicht mehr unbedingt, noch dazu wo es sich weniger um einen literarischen Text handelt.
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Re: L. Ampelius, Liber memorialis, de duodecim signis, 6

Beitragvon Prudentius » Sa 4. Mär 2017, 09:14

Jetzt habe ich mir endlich eigeprägt, dass nach "sunt,qui..." der Konjunktiv wegen des konsekutiven Nebensinns steht, ...


Präg dir lieber etwas anderes dazu ein, denn die Erklärung "konsekutiver Nebensinn" ist ganz windig: wo ist denn hier Ursache und Wirkung? Das ist eine Verlegenheitsauskunft der Grammatiker, die in die Logik nicht eingeweiht sind (ich glaub, jetzt muss ich den Kopf einziehen :-o ), die Formel "sunt, qui" entspricht einem Indefinitpronomen, wie "Nonnulli Erigonam ...dicunt", es ist eine sprachliche Möglichkeit, den "Existenzquantor" auszudrücken; damit ist gemeint, der Satz enthält eine Subjektsvariable, es steht nicht da: "Der und der sagt", sondern es steht eine Einschätzung der möglichen Subjekte da; es ist soviel wie: "Die Menge derer, die das behaupten, ist nicht leer".

Der Indikativ bei "sunt, qui" kommt auch bei den besten Autoren vor: Horaz gleich in der ersten Ode: "Sunt, quos curriculo pulverem Olympicum collegisse iuvat".
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Re: L. Ampelius, Liber memorialis, de duodecim signis, 6

Beitragvon Zythophilus » Sa 4. Mär 2017, 13:56

Der Konjunktiv bei qui sunt ist gewissermaßen ein Erfordernis der gehobenen Prosa in der klassischen Zeit. Für davor und danach verfasste Texte, Texte, denen wir dieses Kriterium absprechen, sowie Dichtung gilt das nicht. Damit ist Horaz nicht wirklich als Beispiel zu gebrauchen.
Wie man den Konjunktiv nun nennt, ist sekundär. Wenn du, o medice, eine Rede im Stile des Arpinaten verfassen willst, dann verwende ihn. Solltest du im Sinne haben, eine Ode zu Papier zu bringen, so kannst du darauf verzichten.
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Re: L. Ampelius, Liber memorialis, de duodecim signis, 6

Beitragvon medicus » Sa 4. Mär 2017, 14:28

@Zythophilus:
Danke für deine Erläuterungen. Lange musste ich googeln , um die Bedeutung "Arpinate" zu ergründen, aber es ist mir gelungen:
https://mensch-cicero.jimdo.com/private ... /herkunft/
In dies coctior fio. Sed orationem Latinam habere aut versus componere pariter ac tu non possum, quamquam cottidie versus tuos lego. :cry:
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Re: L. Ampelius, Liber memorialis, de duodecim signis, 6

Beitragvon Prudentius » Sa 4. Mär 2017, 20:33

Wie man den Konjunktiv nun nennt, ist sekundär.


Vorschlag zur Benennung: "conjunctivus logicus vel Arpinativus".
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Re: L. Ampelius, Liber memorialis, de duodecim signis, 6

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Sa 4. Mär 2017, 21:22

Oder vielleicht doch „coniunctivus aureus“ (weil der goldenen Latinität zuzuordnen) oder „coniunctivus Ciceronianus“ oder „coniunctivus medici“?
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Re: L. Ampelius, Liber memorialis, de duodecim signis, 6

Beitragvon medicus » So 5. Mär 2017, 13:02

cultor linguarum antiquarum hat geschrieben:„coniunctivus medici“?


acclamo :klatsch:
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Re: L. Ampelius, Liber memorialis, de duodecim signis, 6

Beitragvon Zythophilus » So 5. Mär 2017, 15:10

Natürlich ist es legitim, sich zu überlegen, warum die Römer in einem konkreten Fall den Konjunktiv nahmen, aber es kann einem auch reichen zu akzeptieren, dass sie ihn nahmen. Da medicus nicht vorhat, sich poetisch zu betätigen, wo er diesen Konjunktiv nicht verwenden müsste, noch größere Prosawerke zu verfassen, wo er verlangt wird, wird es nicht weiter auffallen. In einer Stilistik-Klausur an einer Universität wäre ein Indickativ bei sunt qui wohl ein Fehler.
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