"schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

"schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon Laptop » Sa 10. Aug 2019, 16:19

Salvete, wie würdet Ihr "schönreden" lateinisch ausdrücken? Es gibt ja diese Übersetzungen, die klobig definieren: causam turpem ut rem bene habendam describere Aber kann man so eine Definition überhaupt eine Übersetzung nennen? Und daher meine zweite, nicht geringere Frage: Wir haben ein Verb, und heraus kommt eine Paraphrasierung mit 6 Wörtern, sowas sieht man häufig. Ist das nicht eine Sackgasse, da solche Konstrukte gar nicht tauglich sind um als eine Denk-Einheit betrachtet zu werden? Begriffe sind ja Denk-Einheiten, wenn etwas nicht mehr Einheit ist, ist es auch kein Begriff mehr. :cry:
SI·CICERONEM·ÆMVLARIS·VERE·NON·VIVAS (get a life!) OBITER·DICTVM·BREVITAS·DELECTAT (keep it short and simple = kiss)
Benutzeravatar
Laptop
Augustus
 
Beiträge: 5733
Registriert: Sa 12. Mai 2007, 03:38

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon marcus03 » Sa 10. Aug 2019, 16:58

Laptop hat geschrieben:causam turpem ut rem bene habendam describere

bene passt grammatisch nicht. Wenn, dann bonam (als eine für gut zu haltende)

oder so: ...ut rem se bene habentem ...

Vorschlag:
dicendo/ arte dicendi efficere, ut res mala videatur/putetur/habeatur bona
marcus03
Pater patriae
 
Beiträge: 11398
Registriert: Mi 30. Mai 2012, 06:57

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon Laptop » Sa 10. Aug 2019, 20:48

Ja, das stimmt. Ich dachte sowas wie "wohl (Adv.) halten" (als angenehm betrachten) wäre auch möglich, aber das trifft das Gemeinte wohl nicht ganz.
SI·CICERONEM·ÆMVLARIS·VERE·NON·VIVAS (get a life!) OBITER·DICTVM·BREVITAS·DELECTAT (keep it short and simple = kiss)
Benutzeravatar
Laptop
Augustus
 
Beiträge: 5733
Registriert: Sa 12. Mai 2007, 03:38

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon Prudentius » So 11. Aug 2019, 09:52

Es gibt einen einfachen Terminus, declamare, denn declamatio ist der Gegensatz zu oratio.

Die declamatio ist die Verfallsform der oratio, das zeigt die Geschichte der Rhetorik in Rom; das ist beschrieben von Tac. im Dialogus de oratoribus.

Begriffe sind ja Denk-Einheiten, wenn etwas nicht mehr Einheit ist, ist es auch kein Begriff mehr.


Vorsicht vor den logischen Fußfallen: Scheidung, Trennung, Auflösung, Widerspruch, Spaltung, Diskrepanz,... Begriffliche Einheiten decken sich nicht mit sachlichen Einheiten!
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon Tiberis » So 11. Aug 2019, 10:46

Prudentius hat geschrieben:Es gibt einen einfachen Terminus, declamare,


declamare hat weder mit schön reden noch mit schönreden (=beschönigen) etwas zu tun.
Ein spezielles Wort für "schönreden" gibt es im Lateinischen zwar nicht, aber durch Formulierungen wie "mitioribus verbis aliquid reddere" lässt es sich ganz gut ausdrücken.
ego sum medio quem flumine cernis,
stringentem ripas et pinguia culta secantem,
caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis
Benutzeravatar
Tiberis
Pater patriae
 
Beiträge: 11862
Registriert: Mi 25. Dez 2002, 20:03
Wohnort: Styria

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon mystica » So 11. Aug 2019, 11:51

.
Zuletzt geändert von mystica am Mi 13. Jul 2022, 12:33, insgesamt 1-mal geändert.
mystica
Dictator
 
Beiträge: 1970
Registriert: So 3. Mär 2019, 10:37

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon Laptop » So 11. Aug 2019, 12:37

Prudentius, ich habe Denk-Einheit als Paket in Abgrenzung zur Auflösung bzw. Zerstreutheit gemeint: drücken wir eine Sache mit vielen Worten aus kann der Verstand den Begriff nur schwer noch als eine Einheit wahrnehmen. Mag ein Sachverhalt auch noch so komplex sein, wir machen ihn durch ein einzelnes Wort, das wir wie ein Etikett aufkleben so handlich, daß es nicht nur bequelm denk- und sprechbar wird, sondern wir machen überhaupt erst, daß es als Einheit wahrgenommen wird! Das geht bei einer deskriptiven oder definitorischen Übersetzung verloren. Die Grenzen zw. Einheit und Zerstreutheit sind fliessend, aber es ändert nichts daran daß die Denk-Einheit aufgelöst wird.

mitioribus verbis aliquid reddere, ok, das ist nicht schlecht, mir fehlt da nur der implizite Tadel daß die schönen Wort unpassend sind, weil die dahinterstehende Sache übel ist. Wenn jemand übertreibt kann das Abmildern ja durchaus passender zum Faktum sein als das Übertreiben. Zudem verstehe ich beim Schönreden einen starken Kontrast zw. Übel und Ausdruck, so daß ich eher eine Umkehrung anstatt einer Abmilderung heraushöre: etwa malum verbis commodum dare, auch wenn es nicht die unpassend-relativierende Variante des Schönredens trifft, sondern nur die unpassend-pervertierende. Vielleicht gibt es einen idiomatischen Ausdruck im Lateinischen. Mythica, das "speciosus" bei Georges ist ganz unbrauchbar, Georges kennt nicht mal den modernen Begriff "schönreden", bei ihm steht oratio speciosa für "schöner Schein, aber nicht viel dahinter", vielleicht eine Sonntagsrede, aber nicht zwangsläufig ein dahinterstehendes Übel.
SI·CICERONEM·ÆMVLARIS·VERE·NON·VIVAS (get a life!) OBITER·DICTVM·BREVITAS·DELECTAT (keep it short and simple = kiss)
Benutzeravatar
Laptop
Augustus
 
Beiträge: 5733
Registriert: Sa 12. Mai 2007, 03:38

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon cometes » So 11. Aug 2019, 22:08

Die eigentümliche Nähe des Worttyps schönreden (Partikelverb mit adjektivischer Verpartikel, die funktional einem Objektsprädiktiv entspricht) zum freien Syntagma befeuert die in der Regel unglückliche Neigung, ein in der Zielsprache fehlendes Äquivalent eines Ausdrucks durch eine Paraphrase einholen zu wollen. Letztere folgt einem anderen Präzisionsideal der Wiedergabe der Wortbedeutung als dies die Wortbildung tut, sie wird im Versuch, den Sinn eins Wortes möglichst genau zu umschreiben (ein gar nicht so leichtes Unterfangen, wie man an den Vorschlägen sieht), schnell umfangreich und bezahlt dafür mit einer Einbuße an syntaktischer Flexibilität. Nicht von ungefähr gehört es zur Folklore der Sprachentwicklungsbeurteilung, Paraphrasenungetüme, die Wortfunktion übernehmen sollen, als Beispiele für den rudimentären Charakter von Pidgin-Sprachen anzuführen.

Unter den Kandidaten fehlt meines Erachtens noch colorare (vgl. das Synonym schönfärben), bei Seneca heißt es z.B. ep. 16 über die Aufrichtigkeit des Gesagten: Non sunt ficta nec colorata.
Zuletzt geändert von cometes am Mo 12. Aug 2019, 18:07, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
cometes
Consul
 
Beiträge: 340
Registriert: Do 6. Mär 2014, 00:45

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon Tiberis » So 11. Aug 2019, 23:21

cometes hat geschrieben: Unter den Kandidaten fehlt meines Erachtens noch colorare


danke für den Hinweis! colorare ist tatsächlich das passende Wort und erspart uns mehr oder weniger schwerfällige Umschreibungen.
als Beispiel für die Bedeutung "schönreden, schönfärben, beschönigen" führt Forcellini Val.Max.8,2,2 an: libidinosam liberalitatem debiti nomine (colorare)
ego sum medio quem flumine cernis,
stringentem ripas et pinguia culta secantem,
caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis
Benutzeravatar
Tiberis
Pater patriae
 
Beiträge: 11862
Registriert: Mi 25. Dez 2002, 20:03
Wohnort: Styria

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon consus » Mo 12. Aug 2019, 08:49

Consentio quidem cum Cometa et Tiberi in eo quod verbum colorandi* aptum esse censent ad convertendum illud verbum Theodiscum, sed mihi placet etiam verbum fucandi quo Cicero, ut exemplum proferam, utitur in Laelio** et in Bruto***. Sequitur ut voces fuci quoque et fucosi, prout res postulat, minime sint neglegendae.

* Cf. etiam Cic. Brut. 170.
** Lael. 95.
*** Brut. 36.
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon Prudentius » Mo 12. Aug 2019, 15:19

Tiberis, ich habe meine schlaue Einsicht aus dem Altmeister Richard Heinze geschöpft, "Die augusteische Kultur", da steht, dass die Rhetorenschulen der Kaiserzeit nicht mehr für die argumentative Streitrede auf dem Forum ("oratio"") ausbildeten, sondern dass sie "schöne Reden", declamationes, einübten, z.B. eine Lobrede auf den amtierenden Machthaber.

Es kann ja sein, dass das Lexikon diese Bedeutung nicht hergibt, aber sinngemäß ist es so verstanden worden.

Vllt. kann man sagen: Alle declamationes waren schöne Reden, aber nicht alle schönen Reden waren declamationes.
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon marcus03 » Mo 12. Aug 2019, 16:10

Na ja, bei einem römischen Sklavenhändler, der seine Ware/Sklaven schönredet, würde ich declamare
nicht nehmen, eher schon bei einem provisionsgetriebenen Gebrauchtwarenverkäufer, der auch die letzte Schrottkarre in allerhöchsten Tönen anpreist, selbst wenn diese schon beim Hinausfahren aus dem Verkaufsgelände auseinanderzufallen droht. ;-)
marcus03
Pater patriae
 
Beiträge: 11398
Registriert: Mi 30. Mai 2012, 06:57

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon Tiberis » Mo 12. Aug 2019, 22:55

Prudentius hat geschrieben:, sondern dass sie "schöne Reden", declamationes, einübten

genau das ist der Punkt: declamare bedeutet (im positiven Sinn) "Reden einüben", aber nicht "schön reden" (und "schönreden" sowieso nicht), auch wenn der Übende während seiner declamatio durchaus schön geredet haben mag. Bei Forcellini lesen wir: " (declamare =) privatim se exercere dicendo eloquentiae acquirendae causa, wobei man naturgemäß sofort an das berühmte Beispiel des Demosthenes denkt: ad fluctum aiunt declamare solitum Demosthenem.
im negativen Sinn bedeutet declamare dann so etwas wie "niederschreien", also gewissermaßen geradezu das Gegenteil von "schön reden",
ego sum medio quem flumine cernis,
stringentem ripas et pinguia culta secantem,
caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis
Benutzeravatar
Tiberis
Pater patriae
 
Beiträge: 11862
Registriert: Mi 25. Dez 2002, 20:03
Wohnort: Styria

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon Laptop » Di 13. Aug 2019, 18:18

In der Öffentlichkeitsarbeit, ist "Schönreden" strategisch die zweite Stufe, nachdem die erste Stufe, nämlich das Vertuschen des Übels, gescheitert ist. Tendenziell sehe ich fucare eher für letzteres treffend, es gibt freilich auch geschminkte Reden (orationes fucatae). Dennoch, hat die Tusche eher den Zweck zu verhehlen, das Schönreden den Zweck das schon Bekannte zu verdrehen. Beim Schönreden sehe ich drei Elemente: 1. Es gibt ein Übel, 2. und man macht Worte, 3. um es zu beschönigen (colorare). Ich verstehe colorare als ein "aufhübschen, beschönigen", und daher nicht zwangsläufig einer häßlichen sondern u.U. bloß langweiligen oder neutralen Sache. Daher gibt Georges auch expliziter "res deformis" mit an wenn er "beschönigen" übersetzt mit rei deformi dare colorem (beide = beschönigen), und den Bestandteil "verba" fügt er explizit hinzu bei diesen Übersetzungen: splendida verba praetendere culpae suae (seine Schuld beschönigen) und verbis decoris obvolvere vitium (einen Fehler beschönigen). Man kann nun sagen "was solls ich verzichte auf ein Element", um die Übersetzung kompakt zu halten, dann nimmt man Ungenauigkeit in Kauf. Oder aber, man übersetzt mit allen drei Elementen, dann wirds schwerfällig. Den Mittelweg zu finden ist nicht so einfach.
SI·CICERONEM·ÆMVLARIS·VERE·NON·VIVAS (get a life!) OBITER·DICTVM·BREVITAS·DELECTAT (keep it short and simple = kiss)
Benutzeravatar
Laptop
Augustus
 
Beiträge: 5733
Registriert: Sa 12. Mai 2007, 03:38

Re: "schönreden" und Übersetzungsprinzipien.

Beitragvon cometes » Mi 14. Aug 2019, 13:33

Laptop hat geschrieben: Beim Schönreden sehe ich drei Elemente: 1. Es gibt ein Übel, 2. und man macht Worte, 3. um es zu beschönigen (colorare). Ich verstehe colorare als ein "aufhübschen, beschönigen", und daher nicht zwangsläufig einer häßlichen sondern u.U. bloß langweiligen oder neutralen Sache.



Schönreden bedeutet etwas durch Reden schön erscheinen lassen, was es tatsächlich nicht ist, wobei schön in seinem gesamten Bedeutungsumfang zwischen ästhetischer, emotionaler, moralischer usf. Bewertung in Spiel kommen kann, und wird ausschließlich pejorativ gebraucht, wofür es aber weder auf der semantischen Ebene der Bestandteile des Partikelverbs noch auf morphologischer Ebene Indizien gibt (man vergleiche das Wort Schönfärberei, welche einst ein ehrbares Handwerk, das Qualitätsprodukte herstellte, bezeichnete, ehe es nur noch im übertragenen Sinne abwertend gebraucht wurde).

Dabei wird der Sinn des verwandten Syntagmas, das ja wörtlich genommen nur davon spricht, dass durch Reden eine Sache schön wird, modifiziert, um diesen Wandel zum trügerischen Schein zu erklären. Es ist im Deutschen dieses Zusammenspiel der Vieldeutigkeit der Verbpartikel und der Scheinhaftigkeit, wobei letztere meines Erachtens in den Sinnbezirken Schönheit und Rede erst durch die ausschließlich abwertende Verwendung aktiviert wird, welches offensichtlich von einem lateinischen Pendant erwartet wird.

Die Frage ist nun, ob und wie sich dieser in der Übersetzung gesuchte semantische Effekt bei lateinischen Wörtern, die aus dem Sinnbezirk des Färbens stammen, einstellt, wenn diese nicht nur pejorativ gebraucht werden, wie das, soweit ich sehe, bei allen genannten Kandidaten der Fall ist, und diese auf den ersten Blick keinen direkten Zugriff auf ein semantisches Element haben, das der vieldeutigen dt. adjektivischen Verbpartikel entspricht. Bei colorare beispielsweise könnte, wenn kontextuell klar ist, dass es sich um eine abwertende Verwendung handelt, die unbestimmte Farbgebung als Inbegriff der Verschönerung dafür einspringen. Wer etwas färbt, tut dies in der regelmäßigen Absicht, die Sache zu verschönern (anders als bei Ausdrücken, die durch die Nennung einer ganz bestimmten Farbe - Schwarz etwa - andere Bedeutungen aktivieren und das Verbergen oder Unkenntlichmachen in den Vordergrund stellen). So gesehen ergäbe sich in Senecas non sunt ficta nec colorata der gesuchte Sinn des schönen Anscheins ganz ohne Zusätze, wie das auch die meisten Übersetzungen reflektieren.
Benutzeravatar
cometes
Consul
 
Beiträge: 340
Registriert: Do 6. Mär 2014, 00:45


Zurück zu Übersetzungsforum



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 30 Gäste