De ipso esse S. Thomae Aquinatis

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon marcus03 » Di 28. Apr 2020, 07:14

Ultimus autem actus est ipsum esse.
Der höchste Wirklichkeit aber ist das Sein selbst.


Cum enim omnis motus sit exitus de potentia in actum, oportet illud esse ultimum actum in quod tendit omnis motus: et cum motus naturalis in hoc tendat quod est naturaliter desideratum, oportet hoc esse ultimum actum quod omnia desiderant.
Weil jede Bewegung der Weg/Prozess von der Möglichkeit hin zur Wirklichkeit ist, muss jenes Sein
die höchste Wirklichkeit sein, auf die jede Bewegung zustrebt: und weil die natürliche Bewegung zu
dem hinstrebt, was ihr natürliches Verlangen ist/was sie sich naturgemäß wünscht, muss dieses die
letzte Wirklichkeit sein, nach der sich alles sehnt/ auf die alles zustrebt.

Hoc autem est esse. Oportet igitur quod essentia divina, quae est actus purus et ultimus, sit ipsum esse.
Dies aber ist das Sein. Also muss die göttliche Wesenheit, die die reine und höchste
Wirklichkeit ist, das Sein selbst sein.
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Di 28. Apr 2020, 07:38

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Di 28. Apr 2020, 08:01

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon Sapientius » Di 28. Apr 2020, 08:30

mystica hat geschrieben: Ultimus autem actus est ipsum esse.
Das Höchste aber ist die Wirklichkeit, das Sein selbst [als Wirklichsein im thomistischen Sinne].


Wenn es recht ist, komme ich auch noch als Mitspieler ("Zweitkorrektor").

Die Satzteile sind hier durcheinandergeraten: Ultimus ist nicht Subjekt, sondern Attribut zu actus; es ist auch nicht Neutrum.

actus ist mit Wirklichkeit schlecht getroffen, es ist ein schillernder Begriff, es hängt ja von der jeweiligen Metaphysik ab, was Wirklichkeit (Realität) ist. Im MA. gab es eine Kontroverse zwischen "Realismus" und "Nominalismus", aber da war Realismus Begriffsrealismus, da ging es darum, ob die Begriffe eine eigene Realität (nämlich wie platonische Ideen) haben sollen, oder bloße Nomina, Konventionen sind. In der modernen, positivistischen Sicht ist Wirklichkeit empirisch wahrnehmbare, überprüfbare Wahrheit.

actus ist das Nomen zu agere, handeln, wirken, schaffen, erzeugen, ..., energeia, das Heraustreten (exitus) aus dem Ideellen/Begrifflichen in das Konkrete; Stichwort "Emanation", die Neuplatoniker haben es in die Tradition eingebracht.
Wenn wir also dem Anliegen Thomas` gerecht werden wollen, müssen wir bei actus das Ausströmen von Kraft, Wirksamkeit herausbringen, "Wirklichkeit" enthält das nicht.
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon marcus03 » Di 28. Apr 2020, 09:21

Esse proinde est de conceptu essentiali entis per essentiam; non autem de conceptu essentiali entis per participationem.
Daher geht es beim Sein um den Wesensbegriff/Wesensbestimmung des Seiendem mittels
seines Wesens, nicht aber um die Wesensbestimmung mittels dessen Teilhabe (am Sein)

Si enim de eo aliquid praedicari potest quidditative, illud oportet esse ipsum esse, cum purum esse ponatur.
Denn wenn darüber etwas ausgesagt werden kann bezüglich seiner "Washeit"/dessen,was es ist,
muss jenes das Sein selbst sein, weil es als reines Sein definiert wird.
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Di 28. Apr 2020, 10:07

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Di 28. Apr 2020, 10:16

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Mi 29. Apr 2020, 09:54

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon Tiberis » Mi 29. Apr 2020, 14:53

Was ist denn das für ein kranker Text??? Quidditas - was soll denn das?? :shock:
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon marcus03 » Mi 29. Apr 2020, 15:54

Tiberis hat geschrieben:Quidditas - was soll denn das?

Quidditas, Quiddität, Washeit, vom lat. quid, was, ein von den Scholastikern aus Aristoteles übersetzter Ausdruck, bezeichnete das Wesen oder die Substanz, ähnlich wie quotitas (vom lat. quot, wieviel), die Wievielheit, Zahl eines Dinges. Vgl. Qualis, Quantität, Kategorie.


vgl:
http://www.zeno.org/Eisler-1904/A/Sein?hl=quidditas
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon Tiberis » Mi 29. Apr 2020, 18:07

Washeit. :-o aha.
Ich gebe offen zu: Das ist der erste lateinische Text, der für mich völlig unverständlich ist, wenn man denn überhaupt von einem lateinischen Text reden kann und nicht bloß von einem scheinbar lateinischen.
Ich wage die Behauptung, dass dieser Text ebensogut für jeden antiken Römer unverständlich gewesen wäre. Dieses unsägliche Wortgeschwurbel dient wohl zu nichts anderem als zur Befriedigung der intellektuellen Eitelkeit des Verfassers, irgendeinen Gewinn für die Menschheit kann ich daraus nicht ableiten. :pillepalle:
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon marcus03 » Mi 29. Apr 2020, 18:53

Dieser Interpretation kann man schwerlich widersprechen aus heutiger Sicht.

PS:
Im MA hat man sich ja auch Fragen gestellt wie: Wieviel Engel haben auf einer Nadelspitze
Platz? u.ä.
Man hatte eben viel Zeit über allen möglichen Sinn und Unsinn nachzudenken. ;-)
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon medicus » Mi 29. Apr 2020, 20:03

marcus03 hat geschrieben:Im MA hat man sich ja auch Fragen gestellt wie

Der Text stammt aus dem Jahre 1911! :book:

mystica hat geschrieben:Ex libro: Prado 0.P., Norberto del (1911):
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon marcus03 » Do 30. Apr 2020, 06:02

medicus hat geschrieben:Der Text stammt aus dem Jahre 1911!

Er steht aber ganz in der scholastischen Tradition.

del Prado war Thomas-Exeget und von diesem stark geprägt, wie man sieht.
https://books.google.de/books/about/Pra ... edir_esc=y

cf:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neuscholastik
https://de.wikipedia.org/wiki/Neuthomismus

Der deutsche Begriff „Scholastik“ kam im späteren 18. Jahrhundert auf und bezeichnete im weiteren Sinne pauschal die Gesamtheit der mittelalterlichen Theologie und Philosophie, im engeren Sinne alle Versuche, die kirchlichen Dogmen des Katholizismus mit philosophischen Mitteln rational zu begründen. Das deutsche Wort „scholastisch“ ist seit dem 17. Jahrhundert bezeugt. Gemäß einem damals verbreiteten negativen Mittelalterbild wurden diese Ausdrücke von Anfang an oft abwertend verwendet („engstirnig“, „pedantisch“, „dogmatisch“). Noch heute wird damit unter anderem die Vorstellung von begrenzter, einseitiger „Schulweisheit“, schematischem, wirklichkeitsfremdem Denken, Überbetonung der Theorie, Haarspalterei und Spitzfindigkeit verbunden.[2] Schon Luther hatte 1517 in einer lateinischen Disputation, die später den Titel „Disputation gegen die scholastische Theologie“ erhielt, Lehren der scholastici bekämpft. Er bezeichnete sie als „erlogenes, verfluchtes, teuflisches Geschwätz“.[3]


Umgang mit Autoritäten

Bei Widersprüchen zwischen Aussagen anerkannter Autoritäten versuchte man meistens zu zeigen, wie man die Stellen so deuten kann, dass dabei herauskommt, dass beide Aussagen zutreffen. Die Scholastiker verfügten über ausreichende Möglichkeiten, Widersprüche aufzulösen, ohne allgemein anerkannte Lehrsätze aufgeben zu müssen:

Es gibt verschiedene Deutungsebenen; manche Aussagen sind nur symbolisch gemeint oder sollen nur einem bestimmten Zweck (etwa einem didaktischen) dienen und sind nicht unbedingt als Tatsachenbehauptungen aufzufassen.
Ein Begriff kann je nach Zusammenhang unterschiedliche Bedeutungen haben. Die Frage, ob er an der fraglichen Stelle mehrdeutig oder eindeutig ist, ist für das Verständnis entscheidend.
Die meisten Aussagen beanspruchen nicht absolute Gültigkeit (simpliciter), sondern sollen nur in bestimmter Hinsicht und unter bestimmten Voraussetzungen (secundum quid) wahr sein. Ein Lehrsatz kann also durch präzise Begrenzung seines Geltungsbereichs gerettet werden.

Manche Magister bemühten sich aber nicht um harmonisierende Deutungen, sondern widersprachen einzelnen Lehrmeinungen der Autoritäten (sogar des Aristoteles) scharf. In der Dynamik wich man von der aristotelischen Physik ab und entwickelte alternative Ideen (Impetustheorie, innerer Widerstand als bewegungshemmender Faktor).

https://de.wikipedia.org/wiki/Scholastik

An die Stelle der Wahrheit/absoluter Wahrheiten ist die Wahrscheinlichkeit getreten, die
das Weltbild der modernen Physik bestimmt.
Thomas & Co. hätten heute einen sehr schweren Stand, auch wenn sie uns das eine oder andere
auch heute noch zu sagen hätten bzw. kritische Denkanstöße geben könnten.
Auch der Relativismus der Postmoderne ist nicht der Weisheit letzter Schluß,
sondern birgt ein hohes Gefahrenpotential. ("Werteverlust")
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon Sapientius » Do 30. Apr 2020, 08:00

Liebe Mystica,

Quod autem cetera non recipiant esse in suis quidditativis conceptibus, ex eo patet, quod ...

Weil aber die übrigen [Dinge/Seienden] nicht ihr Sein durch ihre begrifflichen Wesensbestimmungen empfangen bzw. begriffen werden, ist aus diesem deutlich, da sie nicht


Beide quod hast du nicht richtig verstanden: das erste leitet einen abh. Aussagesatz ein, der von patet abhängt: "es ist offenbar, dass ...", im kl. L. würde hier ACI stehen.

Das zweite quod gehört zu "ex eo": daraus, dass; faktisches quod, sagt die Grammatik.

Viel Wirbel kommt zu dem Text auf! :)
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