De ipso esse S. Thomae Aquinatis

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Mo 20. Apr 2020, 17:21

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Mo 20. Apr 2020, 17:29

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon marcus03 » Di 21. Apr 2020, 07:13

Da denkt man an die creatio continua:

Die creatio continua (lat. „fortgesetzte Schöpfung“, von creare „erschaffen“ und continuus „zusammenhängend, ununterbrochen“) ist ein von Augustinus formulierter theologischer Begriff, wonach die Schöpfung ein fortdauernder, nicht abgeschlossener Prozess sei und daher die Natur jederzeit für den tätigen Eingriff Gottes offen wäre, wie es sich etwa in den kausal nicht erklärbaren Wundern zeigen würde. Diese Ansicht vertrat auch noch Isaac Newton.

Dem steht die gegenteilige Auffassung gegenüber, die sich ebenfalls auf Aussagen des Augustinus stützt, wonach Gott mit der Welt zugleich auch die Zeit erschaffen habe und damit der Schöpfungsakt abgeschlossen sei, denn Gott selbst, als der Ewige, stünde außerhalb der Zeit und Anfang und Ende der Welt wären für ihn gleichzeitig gegenwärtig. Aus der Sicht des Menschen, der an die Zeitlichkeit gebunden ist, würde sich die Welt fortan nach den ihr anfangs eingeprägten Naturgesetzen entfalten. Gottfried Wilhelm Leibniz gebrauchte dafür das berühmte Gleichnis vom «göttlichen Uhrmacher», wonach die Welt wie ein von Gott geschaffenes perfektes Uhrwerk selbsttätig funktioniere - und er polemisierte Gegen Newton, dass er Gott für einen schlechten Uhrmacher halten müsse, wenn die Welt Gottes beständigen Eingriff nötig hätte, um zu funktionieren.

In den christlichen Kirchen sind beide Ansichten etwa gleich stark vertreten.
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon Sapientius » Di 21. Apr 2020, 08:21

marcus03 hat geschrieben:Emanationstheorie im Hintergrund?? Plotin?


Ich meine es noch allgemeiner und möchte einen ganz weiten Bogen schlagen: Die Gesamtausrichtung des modernen Denkens ist entgegengesetzt der Ausrichtung des vormodernen, also antiken und ma. Denkens einschl. Thomas. Für uns Moderne ist ein analytischer Denkstil charakteristisch, wir machen mehr Unterscheidungen als früher, wir gehen zurück auf das Elementare, führen das Komplexe auf das Einfache zurück, erkennen überall die Bruchlinien, z.B. in der Bibel, gehen in das einzelne und verlieren uns im Detail, sind zerstritten und können uns auf nichts einigen. Das Ganze in seiner Einheit ist uns nicht mehr zugänglich: Wir fragen nicht mehr nach der arché, wie die Vorsokratiker, wir wissen, dass es keinen Urgrund der Welt geben kann, deshalb gibt es nur eine "Zusammenhangsgewissheit" für uns, anstelle der "Grundlagengewissheit" von früher; die Welt hat keinen Sinn, die Geschichte hat keinen Sinn, das Leben des Einzelnen hat keinen Sinn. Die Philosophie beantwortet keine Fragen, sucht noch ihren Ort. So wirken wir etwas abgeschminkt.
Ganz anders die antike Tradition; sie hat einen synthetischen, integrativen Denkstil; sie geht von einem wohlgeordneten Kosmos aus und bezieht alles einzelne auf das Ganze hin; Musterbeispiel ist Platons Timaios, der Weltschöpfer konstruiert eine Weltseele, die harmonisch nach Oktave, Quinte und Quarte aufgebaut ist; das Einzelne erhält seinen Sinn vom Ganzen her.
Die antike Weltsicht ergänzt sich mit der modernen; die Antike ist enttäuschend in ihren Detailforschungen und anregend in ihrem Gesamtblick; die moderne Weltsicht ist enttäuschend in ihren Antworten auf die menschliche Sinnsuche, und anregend in ihren Detailforschungen.

Die Emanationslehre ist neuplatonisch, aber sie ist schon bei Platon angelegt: die oberste Idee ist die Idee des Guten, und das Gute ist immer etwas, das nach außen wirkt; die Idee ist mit der Sonne verglichen, und die Sonne ist nicht nur ein Stern für sich, sondern hat einen Wirkungsbereich, in dem sie Licht und Leben ausstrahlt.

In diesem Sinne ist für Thomas das Sein etwas, das ausstrahlt, das sich verschenkt.
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon marcus03 » Di 21. Apr 2020, 09:04

Sapientius hat geschrieben:die oberste Idee ist die Idee des Guten, und das Gute ist immer etwas, das nach außen wirkt;

Es ist halt nur eine Idee/Wunschvorstellung. Die Realität sieht leider meist ganz anders aus.
Und an der scheitern die meisten guten Ideen/Visionen, zumal sie immer komplexer und
unüberschaubarer wird. Das macht vielen immer mehr Angst.

Sapientius hat geschrieben:die Welt hat keinen Sinn, die Geschichte hat keinen Sinn, das Leben des Einzelnen hat keinen Sinn

Den Sinn an sich gibt es nicht, Den muss der Mensch schaffen (Satre) oder ihn erfahren bzw. spüren.
"Der Sinn von Sein ist Liebe" (W. Kasper, Jesus der Christus).
Oder handeln nach dem Biophilieprinzip (Ruper Lay): "„Handle stets so, dass Du das personale Leben in Deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen Menschen eher mehrst denn minderst“.

Und wie soll man diesen Sinn erfahren in einer immer liebloseren Welt, in der der Zweckrationalismus
weitgehend alles bestimmt.
Auch im Privatbereich scheint das immer schwieriger zu werden, auf den sich dieser Rationalismus
unweigerlich auswirkt. Gesellschaftliches Sein prägt das Bewusstsein, auch dessen, was
wirklich zählt und Sinn machen kann bzw. darf.
In dubio pro auctu oeconomico, auch wenn der den Planeten zugrunde zu richten droht.

PS:
Heute in den Nachrichten: Erdöl gibts zum Nulltarif oder sogar Geld obendrauf für den Abnehmer.
Verrückte Welt! Quo vadis?

https://www.finanzen.net/rohstoffe/oelpreis?type=wti
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Di 21. Apr 2020, 12:08

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Di 21. Apr 2020, 16:10

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Di 21. Apr 2020, 16:21

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon Sapientius » Do 23. Apr 2020, 10:25

Quod Dei essentia non est aliud quam suum esse.
Weil das Wesen Gottes nicht ist anders als seine Existenz.


"nicht ist anders als ": der d. Satzbau stimmt nicht: "nichts anderes ist als ..."

"Quod weil" hängt in der Luft, das muss immer zweiteilig sein: "B, weil A". Es muss wohl "dass" heißen, und das könnte eine Kapitelüberschrift sein, wie es wohl in der Scholastik üblich war. "esse" Sein, er hätte ja "existentia" sagen können.

"Dass das Wesen Gottes nichts anderes ist als sein Sein".
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon Tiberis » Do 23. Apr 2020, 11:29

In quocumque enim aliud est essentia, et aliud esse eius, oportet quod aliud sit quod sit, et aliud quo aliquid sit: nam per esse suum de quolibet dicitur quod est, per essentiam vero suam de quolibet dicitur quid sit: unde et diffinitio significans essentiam, demonstrat quid est res.


Denn bei jedem anderen (Seienden) ist sein Wesen unterschieden, und unterschieden dessen Sein/Existenz, so ist es notwendig, dass unterschieden ist, dass es existiert, und unterschieden, wodurch etwas ist: denn durch seine Existenz sagt man, dass es ist, aber durch sein Wesen sagt man, was es sei: daher die Definition/Bestimmung bezeichnet das Wesen, es zeigt bzw. bestimmt, was die Sache ist.

Wo auch immer (eig.: in welchem auch immer) das eine sein Wesen ist, das andere sein Sein, muss es sein, dass das eine das ist, was ist, und das andere das, wodurch etwas ist. (= muss man unterscheiden zwischen dem, was es ist, und dem, wodurch es ist.) Durch sein Wesen wird von jedem gesagt, was es ist. Daher zeigt auch die Definition, die das Wesen bestimmt, was eine Sache ist.


In Deo autem non est aliud quod est, et aliud quo aliquid est; cum non sit in eo compositio, ut ostensum est.


Bei Gott aber ist nicht unterschieden, dass ER ist, und unterschieden, wodurch etwas ist; weil nicht in IHM eine Zusammensetzung ist, wie gezeigt worden ist.

bei Gott aber gibt es nicht das eine, welches ist, und das andere, wodurch etwas ist, weil es, wie gezeigt wurde, bei ihm diese Zusammensetzung nicht gibt.
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Do 23. Apr 2020, 15:32

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Do 23. Apr 2020, 15:34

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Do 23. Apr 2020, 15:41

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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon marcus03 » Do 23. Apr 2020, 16:06

mystica hat geschrieben:Non est igitur ibi aliud eius essentia, quam suum esse.

Dessen Essenz ist also dort nichts anderes als sein Sein.
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Re: De ipso esse S. Thomae Aquinatis

Beitragvon mystica » Do 23. Apr 2020, 17:25

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