der Psychiater

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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der Psychiater

Beitragvon medicus » Do 15. Okt 2020, 11:26

Was wäre die treffendste Übersetzung für "Psychiater"?
Das Vatikanlexikon schlägt vor:
psychiater, tri, m/ animarum curator/dementium medicus/dementium curandorum peritus
:help:
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Re: der Psychiater

Beitragvon Tiberis » Do 15. Okt 2020, 11:58

medicus animi , was sonst?
Hier zeigt sich wieder einmal die Unbrauchbarkeit dieses unsäglichen Vatikanwörterbuchs: weder ist ein Psychiater nur für die Schwachsinnigen zuständig (dementium medicus), noch ist er ein "Seelenwärter" (animarum curator), wie überhaupt das Wort "curator" nicht einen Arzt, sondern eben einen Wärter oder allenfalls Pfleger bezeichnet.
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Re: der Psychiater

Beitragvon mystica » Do 15. Okt 2020, 12:42

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Re: der Psychiater

Beitragvon Zythophilus » Di 20. Okt 2020, 22:00

Gibt es den Psychiater mit seinem Berufsbild und seinen Patienten schon in der Antike? Gerade in dem Bereich muss man auch bedenken, dass viele früher in diesem Zusammenhang verwendete Begriffe heute grob und beleidigend wirken. Ist der medicus insanorum des Mittelalters - für die Antike habe ich ihn spontan nicht gefunden -, den man in der ersten Hälfte des 20. Jh.s noch mit dem heute unmöglichen Wort "Irrenarzt" bezeichnete, eine Art Psychiater.
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Re: der Psychiater

Beitragvon Zythophilus » Di 20. Okt 2020, 22:04

In den Bereich der Medizin gehörten die Geistenkrankheiten schon, wie Celsus, De medicina III 18 beweist.
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Re: der Psychiater

Beitragvon marcus03 » Mi 21. Okt 2020, 07:56

Zythophilus hat geschrieben: den man in der ersten Hälfte des 20. Jh.s noch mit dem heute unmöglichen Wort "Irrenarzt" bezeichnete, eine Art Psychiater.

Ganz sporadisch kommt er noch vor:
https://books.google.com/ngrams/graph?c ... tive=true#
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Re: der Psychiater

Beitragvon Sapientius » Mi 21. Okt 2020, 15:40

Sigmund Freud hat die moderne Wende gebracht, der Mensch als "animal rationale" wurde abgelöst von dem "animal libidinosum".

Wie in allen Wissenschaften fragte man nicht mehr nach der Substanz (im platonischen Sinne), sondern nach der Funktion, nicht mehr: was ist die Seele?, sondern: wie funktionieren seelische Vorgänge?
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Re: der Psychiater

Beitragvon marcus03 » Fr 23. Okt 2020, 10:40

Sapientius hat geschrieben:der Mensch als "animal rationale" wurde abgelöst von dem "animal libidinosum".

Ja, wir sind nicht Herr im eigenen Haus.

Die psychologische Kränkung: Die dritte Kränkung sei die von ihm entwickelte Libidotheorie des Unbewussten; ein beträchtlicher Teil des Seelenlebens entziehe sich der Kenntnis und der Herrschaft des bewussten Willens. Die Psychoanalyse konfrontiere das Bewusstsein mit der peinlichen Einsicht, (…) daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus.


https://de.wikipedia.org/wiki/Kr%C3%A4n ... Menschheit
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Re: der Psychiater

Beitragvon mystica » Fr 23. Okt 2020, 14:48

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Re: der Psychiater

Beitragvon Sapientius » Fr 23. Okt 2020, 17:04

Liebe Mystica, gibt es auch Heilungen für die 4 Kränkungen?

Die Diagnose ist klärungsbedürftig, möchte ich sagen:
1. Die kopernikanische Wendung brauchen wir nicht als Kränkung zu verstehen, wir sind ja besser informiert über die Kräfte, denen die Himmelskörper unterliegen, wir können das Sonnensystem als Einheit und Gesamtheit erkennen. Aber der Verlust unseres Vorrangs als Mittelpunkt des Kosmos ist schon eine Kränkung, das stimmt. Wit haben uns nach vorne gestellt, und die Wissenschaft verweist uns ganz nach hinten.

2. Dass der Mensch vom Affen abstamme, hat der Darwinismus längst aufgegeben, der Affe hat ja einen Fußdaumen, das verweist ihn auf eine andere Bahn. Aber andererseits können wir uns auf eine ganz andere Art als Mitglieder der Naturgemeinschaft empfinden.

3. Freuds Theorie wurde ja schon in seiner engsten Umgebung erschüttert (C. G. Jung, Adler), längst ist man davon abgekommen. Aber was sein Verdienst ist: erst mithilfe seines modifizierten Ansatzes ist es überhaupt möglich geworden, psychisches Leiden zu erforschen und erfolgreich zu behandeln; er hat etwas in Gang gebracht, was die traditionelle platonische Seelenlehre nicht vermocht hat.

4. Ich-Bewusstsein als Illusion? In dem Sinne, dass es erst aufgebaut werden muss, das muss man sich mühsam erarbeiten, es gelingt nicht jedem.

Zu deiner Vierergruppe fällt mir noch eine Dreiergruppe ein:
"Die dei Patriarchen der Moderne: Marx, Darwin, Freud".
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Re: der Psychiater

Beitragvon iurisconsultus » Fr 23. Okt 2020, 17:05

Hallo mystica,

für mich sind diese Erkenntnisse nicht Kränkungen (wessen?), sondern erfrischende Einsichten zu einem besseren Verständnis der Welt und der menschlichen Natur. Ist die natürliche, nicht zu unterdrückende Neugier und Wissbegier des Menschen, schon bei den kleinsten Kindern, nicht bewundernswert und ist unser Gehirn nicht ein mächtiges Werkzeug der Erkenntnisfähigkeit? Die Punkte 3 und 4 sind, gewiss der gebotenen Kürze geschuldet, zudem so tendenziös, dass sie nachgerade falsch sind. Wer das glaubt, muss konsequenterweise auch für die vollständige Abschaffung des Verschuldensprinzips im Straf- und Schadenersatzrecht eintreten - dann weisen wir alle Delinquenten samt und sonders und unumwunden in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher ein, selbstredend dauerhaft, denn sie sind ja durch ihre unüberbrückbare Unvernunft auch eine dauerhafte Gefahr.
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Re: der Psychiater

Beitragvon Sapientius » Sa 24. Okt 2020, 10:03

... nicht Kränkungen (wessen?), sondern erfrischende Einsichten ....


Hallo Iurisconsulte,

das ist wohl unsere unbefangene Reaktion, aber wenn wir die Tragweite der galileischen Wende einschätzen wollen, müssen wir umgekehrt sagen, Kränkung ist untertrieben, Schock passt eher, die breite Öffentlichkeit hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren; es war ja nicht nur eine physikalische Einzelfrage, es ging nicht nur um den Bewegungsmodus der Erde, sondern der gesamte Sternenhimmel kam auf einmal zum Stillstand, statt sich täglich um die Erde zu drehen; der Himmel ist verlorengegangen, es gab auf einmal einen leeren Raum rundherum um die Erde, Gott hatte seinen Ort verloren und mit ihm alle von der Tradition her gesetzten Konstanten.
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Re: der Psychiater

Beitragvon marcus03 » Sa 24. Okt 2020, 11:00

Die moderne Kosmologie (Entropie) und Quantenmechanik (tertium datur im Quantenbereich)
dürften der Menschheit den Rest geben. Die (Wunsch)Vorstellung von Eindeutigkeit ist passe.
Was einst ultraheiß begann, wird ultrakalt, weil ultralangweliig, enden.
Selig, der glauben kann gegen jede rationale Erkenntnis und angesichts eines zwar faszinierenden,
aber letztendlich absurden und grausamen Universums, das immer schneller auseinanderdriftet
- ohne Sinn und Ziel.
Im Anfang war der Knall, im Ende bleibt die kalte, sinnlose Leere, auch wenn bis dahin noch
unendlich viel Zeit (10hoch100 Jahre) vergehen wird.
Frei nach Kafka: Der Sinn des Ganzen ist, dass es einmal aufhört.
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Re: der Psychiater

Beitragvon iurisconsultus » Sa 24. Okt 2020, 13:03

Hallo Sapientius,

völlig richtig, was du sagst, aber ich wollte ausdrücken, dass ich schlicht kein Fan davon bin, wenn ein Mensch des 21. Jahrhunderts von Kränkung/Schock oder dergleichen spricht. Ich denke, man/frau soll sich weiterentwickeln.
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Re: der Psychiater

Beitragvon mystica » So 25. Okt 2020, 10:03

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