Vergil, ganz vorne.

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon Tiberis » Di 24. Nov 2020, 18:52

mystica hat geschrieben:O Muße,

:wink:
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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon Zythophilus » Di 24. Nov 2020, 21:53

marcus03 hat geschrieben:tantae irae (ergänze: Aeneas est): dat. finalis (zum Zorn gereichen, zornig machen)
Also ich habe tantae ...irae bis jetzt immer als Nom.Pl., animis dafür als Dat.poss. gesehen.
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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon Tiberis » Di 24. Nov 2020, 22:21

Ich sehe das wie Zythophilus. Ein dat. finalis könnte sich ja nur auf das Vorhergehende beziehen, also auf das, was Aeneas erdulden musste. Gerade das aber hat nicht den Zorn der Götter verursacht, sondern war ja eine Folge des Zorns.
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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon Willimox » Di 24. Nov 2020, 22:25

Sage mir, Muse, was waren der Götterkönigin Gründe,
Schmerz und Verletzung göttlichen Willens, den Mann da in so viel
Mühsal und so viele Härten zu zwingen, das Vorbild an Ehrfurcht.
So großer Zorn befällt die Herzen der himmlischen Götter?

Hm, was meint ihr?
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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon Medicus domesticus » Di 24. Nov 2020, 22:32

Tantaene īrae [sunt] animīs caelestibus?
Ich glaub ich muß mich doch mal einmischen... :)
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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon Tiberis » Mi 25. Nov 2020, 00:19

Willimox hat geschrieben:Hm, was meint ihr?

Wahrlich, beim Zeus! Thrasyboule, du schmiedetest treffliche Verse!
Dennoch gält' es, so mein' ich, den doppelten Schmerz zu vermeiden:
Wenn auch - wer könnt* es bestreiten? - dem frommen Helden so mancher
Schmerz widerfuhr auf der Fahrt, so steht's doch hier nicht geschrieben.

:D
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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon Laptop » Mi 25. Nov 2020, 01:27

Willimox, Deine Version hat mich beeindruckt. Nimm es mir nicht übel wenn ich dazu etwas anmerke.

Pietas sehe ich nicht als Ehrfurcht. Ehrfurcht ist für mich etwas passives, fast schon religiöses. Die pietas wurde sicherlich religiös verwendet, aber war sie auf das Verhältnis zu den Göttern beschränkt? Haben das nicht erst die Christen viel später? Und war sie so passiv wie Ehrfurcht? Ich habe pietas immer als etwas viel alltäglicheres und aktiveres verstanden, nämlich als pflichtschuldiges Kümmern im Gegensatz zu leichtfertigem Larifari. Das Pflichtbewusstsein bzw. Verantwortungsbewusstsein, was in der Praxis bedeutet seiner gesellschaftlichen Rolle gewissenhaft nachzukommen; als Familienangehöriger, Vorgesetzter, wie auch als Sterblicher ggü. den Göttern. Im kleinen Rahmen ist das häufig die Hausmutter oder der Hausvater, der sich um Sorgen und Nöte der Angehörigen kümmert; unter dem Beiklang, daß man seine Rolle ausfüllt und beibehält, wie auch allgemein gesellschaftliche Regeln befolgt; am Rande schwingt da eine gewisse Bravheit mit, pietas ist aber keinesfalls Bravheit. Pietas als alltägliche Tugend schließt auch das Kümmern um die Götter ein, das Bedienen des Hausaltars. So ist pietas fast schon nahe der Emsigkeit, weil sie so tätig ist, und nicht etwa passiv wie Ehrfurcht. Auf den Grabtafeln wird die Ehefrau regelmäßig "pia" genannt, es war schlicht das Lob dafür, daß sie sich in Haus und Familie um alles gekümmert hat: Kinder, Oma, Haus und Götter. Die alten Übersetzer nennen die pietas "Fromigkeit", was schon im späten Mittelalter mißverstanden wurde da der Begriff der Frömmigkeit bereits auf die Religion verengt war. Bei Adelung findet sich noch die urpsprüngliche Bedeutung "nützlich, redlich, rechtschaffen". http://www.zeno.org/Adelung-1793/A/Fr%C ... rommigkeit Bei insigne pietate habe ich "von ausgezeichneter Pflichtschuldigkeit" gemieden, weil es mir zu klobig erschien. Mein "Anstand" war unscharf, und deshalb auch nicht treffend. Das ist eben das ewige Problem, will man genau sein? oder will man unauffällig sein?
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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon Willimox » Mi 25. Nov 2020, 10:03

Lieber Tiberis,

das erste "Schmerz" schien mir ableitbar aus "dolens" und ich brachte es im Deutschen in eine Art hysteron-proteron zu "laeso". Oder meintest Du, "labores" gebe "Schmerzen" nicht her...?
Hm...

Lieber Laptop,

deiner Semantikbeschreibung lässt sich gut zustimmen. Allerdings spricht einiges nicht gegen "Ehrfurcht", auch wenn man das Argument dynamische Elemente und Alltagsethos im "Pietaskonzep" bedenkt und berücksichtigen will. Beginnen wir mit einem metrischen Argument:

a) das Lexem hat den passenden Wortfuss für den Hexameterschluss.
b) das Lexem hat eine stille Valenz "Ehrfurcht gegenüber x". Der Leser füllt diese Leerstelle mit seinem Kulturellen Wissen und/oder Kontext.
c) auch wenn "Ehrfurcht" ein dynamikarmes (!)Hochwertwort ist, kann es eine Haltung bezeichnen, die sich in Alltag und Familie und Beruf und Freundschaft und .... "praktiziert" findet und als Fazit und als Movens und als mentale Disposition verstehen lässt.
d) Schließlich spielt das Proömion recht deutlich mit einer leicht absurden Konstellation: Ausgerechnet der "pius" Aeneas wird vom Zorn der Göttin verfolgt. Von daher ist die auch religiöse Konnotation von "Ehrfurcht" recht plausibel aufrufbar. Fast schon installiert sich so eine latente Theodizee im Subtext.
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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon iurisconsultus » Mi 25. Nov 2020, 15:02

Willimox hat geschrieben:Hm, was meint ihr?

Sehr gefällige Übersetzung - war aber auch nicht anders zu erwarten. :) Nur sei mir erlaubt anzumerken, dass du besser "so viel" (Adverb mit Steigerungspartikel) geschrieben hättest anstatt "soviel" (Konjunktion). :)

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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon Tiberis » Mi 25. Nov 2020, 15:34

Willimox hat geschrieben:das erste "Schmerz" schien mir ableitbar aus "dolens" und ich brachte es im Deutschen in eine Art hysteron-proteron zu "laeso". Oder meintest Du, "labores" gebe "Schmerzen" nicht her...?


Was Juno betrifft, hast du zweifellos die richtigen Worte gefunden ("Schmerz und Verletzung göttlichen Willens"). Und ja, auch "labores" kann mitunter "Schmerzen" bedeuten, aber hier sind wohl eher Mühen, Strapazen, Nöte u.dgl. gemeint . Vor allem aber ist der Schmerz der Göttin
(=Kränkung, Beleidigung) ein anderer als die durch ihn verursachten labores (Strapazen, Kämpfe..) des Aeneas.
Wenn du also "Schmerzen" durch "Nöte" o.ä. ersetzen würdest, gäbe es an deiner ansonsten wirklich guten Übersetzung nicht mehr viel zu meckern. :wink:
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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon Willimox » Mi 25. Nov 2020, 16:04

@iurisconsultus

Soviel man sich auch müht, irgendwas geht einem immer dennoch durch die Lappen. (Ede Wolf und Erika Fuchs)

@Tiberis
Gratias, tibi!
p.s.
"nicht mehr viel zu meckern" als pars pro toto von "fast nix"?

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Re: Vergil, ganz vorne.

Beitragvon Willimox » Di 1. Dez 2020, 13:27

Lieber Laptop,

deiner Semantikbeschreibung lässt sich gut zustimmen. Allerdings spricht einiges nicht gegen "Ehrfurcht", auch wenn man das Argument dynamische Elemente und Alltagsethos im "Pietaskonzep" bedenkt und berücksichtigen will. Beginnen wir mit einem metrischen Argument:

a) das Lexem hat den passenden Wortfuss für den Hexameterschluss.
b) das Lexem hat eine stille Valenz "Ehrfurcht gegenüber x". Der Leser füllt diese Leerstelle mit seinem Kulturellen Wissen und/oder Kontext.
c) auch wenn "Ehrfurcht" ein dynamikarmes (!)Hochwertwort ist, kann es eine Haltung bezeichnen, die sich in Alltag und Familie und Beruf und Freundschaft und .... "praktiziert" findet und als Fazit und als Movens und als mentale Disposition verstehen lässt.
d) Schließlich spielt das Proömion recht deutlich mit einer leicht absurden Konstellation: Ausgerechnet der "pius" Aeneas wird vom Zorn der Göttin verfolgt. Von daher ist die auch religiöse Konnotation von "Ehrfurcht" recht plausibel aufrufbar. Fast schon installiert sich so eine latente Theodizee im Subtext.
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