Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

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Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon Laptop » So 27. Dez 2020, 12:30

Es ist mir etwas peinlich, aber ich scheitere an diesem einfachen Satz:

Eſt autem ratio uis animæ, qua id, quod ea præditum eſt, comprehendit uniuerſalia.


Was ich nicht bestimmen kann sind Kasus und Wortform von "qua" und "ea", sowie die Bedeutung von "praeditum", insbesondere die Kombination ".. id quod ea .." geht mir nicht auf. Ich lese: Die Vernunft ist ein Vermögen der Seele, wodurch(?) sie (die Seele?) das, was in ihr angelegt ist(?), als Abstrakta erfaßt. :roll:
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon marcus03 » So 27. Dez 2020, 13:16

Meine Deutung:
Die Vernunft ist das Vermögen/Potential der Seele, mit der das, was mit dieser/ihr (vis) begabt ist, die Universalien (begrifflich)erfasst.

id, quod = der Teil der Seele, der die vis hat.
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon Laptop » Mo 28. Dez 2020, 00:45

Ja, so langsam dämmert es mir, aber es bleibt Dämmerlicht. Ich bin irritiert, naheliegend wäre doch eine Formulierung gewesen wie

Eſt autem ratio uis animæ, qua is, qui ea præditus eſt, comprehendit uniuerſalia.


"id" kann sich auch nicht auf ein hinzugedachtes [vivum/ens/animal] beziehen, denn die Ratio ist ja etwas exklusiv Menschliches, eine Sache, ein Tier, ein Ding hat niemals Ratio. Warum macht der Autor dann diese seltsame Formulierung mit dem sächlichen "id, quod"? Das ist für mich schwer verständlich. Marcus, Du sagst man könnte sich hinzudenken, daß "id" irgendeinen Teil der Seele bezeichnet. Aber wie komme ich auf sowas? Von "Teil" steht dort ja nichts. Ich empfinde "id" eher als Fingerzeig ins Unbekannte.
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon marcus03 » Mo 28. Dez 2020, 07:25

Ich denke, er meint damit jenen, nicht genau bzw. konkret zu ortenden Bereich der Seele, in dem
die Begriffsbildung stattfindet und die ratio wirkt. Seele ist schon ein vager Begriff,
so dass alle weiteren Aussagen über sie kaum weniger vage ausfallen können.
Der Autor war noch weit weg von der modernen Erkenntnistheorie und konnte daher nur
im Trüben fischen und spekulieren, wie auch es die Antike tat.

vgl:
https://de.wikipedia.org/wiki/Erkenntnistheorie

PS:
Wie siehts mit dem Kontext aus? Hilft der nicht weiter?
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon Sapientius » Mo 28. Dez 2020, 10:07

Ich empfinde "id" eher als Fingerzeig ins Unbekannte


Ganz im Gegenteil, es ist ein Fingerzeig auf etwas Bekanntes, nämlich den unmittelbar folgenden Relativsatz mit quod; und das ea musst du als Abl. fem. verstehen, auf ratio bezogen; praeditus regiert einen Ablativ, "ausgestattet mit".

"Verstand ist dasjenige Seelenvermögen, womit das, was damit ausgestattet ist, Begriffe erfasst".

Der Satz hat die Form einer Begriffsdefinition; "definiendum" ist ratio, "definiens" ist "id, quod ...".

"Definitio fit per genus proximum et differentiam specificam", so lautet die scholastische Schulweisheit; "genus proximum" ist "vis animae", "diff. sp." ist "comprehendit universalia".
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon Laptop » Mo 28. Dez 2020, 18:49

Sapientius, das ist schon klar, mein Argument war ein anderes, nämlich daß es mir seltsam erscheint, daß da ein sächliches Genus steht, denn ich kann schließlich auch nicht sagen "Id, quod morbo Autismo patitur, communis vitae usu gravatur". Auch hier muss m. E. "is, qui" hin oder etwas vergleichbar Menschliches, da die Krankheit nunmal nicht Sachen befällt. So sind auch Träger geistiger Eigenschaften keine Sachen.
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon marcus03 » Di 29. Dez 2020, 08:42

Man denke an die 3 Teile der Seele bei Platon.
id, quod könnte einen davon meinen.
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon Sapientius » Di 29. Dez 2020, 08:56

Das Neutrum ist nicht nur sächlich; es ist allgemeiner als das Masculinum, es übergreift dieses.

Das bekannteste Beispiel einer Definition ist für uns Ciceros Staatsdefinition: "Res publica est res populi".
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon marcus03 » Di 29. Dez 2020, 09:17

Was hat das Beispiel damit zu tun? Ich sehe darin kein Neutrum. :?
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon ille ego qui » Fr 1. Jan 2021, 23:15

Salvi sitis!

Ist mir auch nicht sofort klargeworden, aber die Struktur ist wohl doch diese:

Die Vernunft indes ist diejenige° Kraft der Seele, mit der das, was mit ihr begabt ist, die "Universalien" erfasst.

Ein Prädikativ braucht nicht angenommen zu werden.

Generell finde ich bei solchen Dingen die Fundstelle und nach Möglichkeit auch etwas Kontext recht hilfreich. Ich habe die Stelle auf die Schnelle nur hier (als Zitat) gefunden:
https://books.google.de/books?id=rH7BZ0 ... 22&f=false

Valeatis.
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
arma virumque cano ...
ille ego qui
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon Sapientius » Sa 2. Jan 2021, 17:05

Die Vernunft indes ist diejenige° Kraft der Seele, mit der das, was mit ihr begabt ist, die "Universalien" erfasst.


"Vernunft" passt nicht so gut, hat mehr mit Verhalten zu tun; "Verstand" gehört zum Verstehen.

"Seele" passt nicht, das verbinden wir mit Psychosen u. dgl.; "der Verstand ist diejenige geistige Fähigkeit, ...".

"Universalien" kennen wir nicht mehr, das ist ma. scholastische Terminologie; wir sagen "Begriffe", die sind ja "universal": der Begriff einer Eigenschaft umfasst alles, was diese Eigenschaft besitzt.

"Ein Prädikativ braucht nicht angenommen zu werden.": Was meinst du mit diesem Satz?

"Der Autor war noch weit weg von der modernen Erkenntnistheorie und konnte daher nur
im Trüben fischen und spekulieren, wie auch es die Antike tat." : Marce, du hast dich von einem neuzeitlichen Triumphalismus anstecken lassen; aber dieser nztl. Geist hat ein starkes Bewusstsein vom eigenen Scheitern.
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon marcus03 » Sa 2. Jan 2021, 18:03

Sapientius hat geschrieben:aber dieser nztl. Geist hat ein starkes Bewusstsein vom eigenen Scheitern.

Scheitern worin und weshalb? :?
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon mystica » Sa 2. Jan 2021, 18:53

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Zuletzt geändert von mystica am Do 14. Jul 2022, 15:58, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon marcus03 » Sa 2. Jan 2021, 19:35

Wie sieht der Ausweg aus? Alternativen ohne Jenseitsvertröstung und nichtssagenden Leerformeln
(Himmel, Leben nach dem Tod, ...)?
Welchen konkreten Beitrag leisten Religionen außer ewig gleichen Appellen und relativ bescheidenen
Hilfsaktionen?
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Re: Est autem ratio ... einfacher Satz geht mir nicht auf.

Beitragvon Tiberis » Sa 2. Jan 2021, 21:50

marcus03 hat geschrieben:Welchen konkreten Beitrag leisten Religionen außer ewig gleichen Appellen und relativ bescheidenen
Hilfsaktionen?

nicht alle Religionen haben die gleichen verheerenden Auswirkungen, aber zumindest für Christentum und Islam kann gesagt werden:
Sie machen den Menschen Angst (Bestrafung im "Jenseits"),
sie tendieren zu Totalitarismus und Fanatismus,
in ihrem Namen wurden und werden grauenhafte Verbrechen begangen,
sie berufen sich auf die Existenz eines Gottes, von dessen Wesen sie nicht einmal selbst auch nur die geringste Ahnung haben.

TANTVM RELIGIO POTVIT SVADERE MALORVM

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