Verständnisfrage zum Gerundium / Gerundivum

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Verständnisfrage zum Gerundium / Gerundivum

Beitragvon emelina » So 26. Aug 2007, 18:54

Eigentlich habe ich ja nicht mehr so viel mit Latein zu tun. Aber ich hatte gerade eine Diskussion mit einer Freundin über die lateinischen "nd"-Formen:

Ein Satz wie Liber scribendus est ist meiner Meinung nach eine prädikative Verwendung des Gerundivums (= "das Buch ist zu schreiben, es soll geschrieben werden", u.ä.)
Etwas wie Scisne librum legendum? hingegen halte ich für eine attributive Verwendung, im Sinne von "kennst du ein lesenswertes Buch, ein Buch, das man lesen sollte").

Was aber ist mit Sätzen wie den folgenden?
Cupidus sum librorum legendorum.
In libris scribendis multa discimus.

Beide können meiner Meinung nach auch mit einem Gerundium + Akkusativobjekt ausgedrückt werden:
Cupidus sum libros legendi.
In libros scribendo multa discimus.

Die Frage wäre, ob es sich bei der ersteren Form dieser beiden Sätze um ein attributives oder prädikatives Gerundivum handelt, oder ob man das überhaupt so bezeichnen kann.

Verzeiht die unbeholfenen Beispiele, sie entwickelten sich aus einer Diskussion auf dem Sofa :)
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Beitragvon Matthaeus » So 26. Aug 2007, 21:12

Salve, emelina.
Also erstmal: Ja, man bezeichnet das so :)
Allerdings handelt es sich im ersten Satz nicht um ein attributives Gerundivum, sondern um ein Gerundium, da "legendi" kein Verbaladjektiv, sondern ein Verbalsubstantiv ist.

Du hast Recht damit, dass in dem Satz "Liber scribendus est" scribendus ein prädikatives Gerundivum ist, da es von "est" abhängt.
Bei "Scisne librum legendum?" ist "legendum" - wie du es gesagt hast - attributiv, weil es nicht von einer Form von "esse" abhängt. Du hast es auch dementsprechend vollkommen richtig übersetzt.
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Beitragvon emelina » So 26. Aug 2007, 23:01

Es ist mir klar, dass die Sätze richtig übersetzt sind, wir haben sie uns ja selber als Fallbeispiele ausgedacht.
Es ist mir auch klar, dass der Satz mit "legendi" ein Gerundium hat.

Es ging mir um diese beiden Sätze:
Cupidus sum librorum legendorum.
In libris scribendis multa discimus.

Wie nennt man diese Verwendung des Gerundivums? Meine Freundin meinte, es sei prädikativ, da ähnliche Beispiele in irgendeinem Buch unter prädikativer Verwendung des Gerundivums aufgelistet waren. Meiner Meinung ist aber nur die Verwendung mit einer Form von esse präadikativ. Deshalb wollte ich wissen, ob man das hier als attributive Verwendung bezeichnen kann.
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Beitragvon Ketelhohn » Mo 27. Aug 2007, 08:24

Prädikativ.
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Beitragvon Laptop » Mo 27. Aug 2007, 09:15

Cupidus sum librorum legendorum.
In libris scribendis multa discimus.

libri legendi
libri scribendi
Was ist daran prädikativ? M.E. ist das Gerundivum beidemale attributiv verwendet. "Cupidus sum" und "discimus" sehe ich als Prädikate.
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Beitragvon consus » Mo 27. Aug 2007, 09:49

Salvete, amici!

in libris scribendis


Es handelt sich hier um eine sog. dominante Gerundivkonstruktion, bei der das Gerundivum - da stimme ich laptop zu - formal attributiv verwendet wird (Menge § 510 Zi. 5, S. 731).
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Beitragvon Ketelhohn » Mo 27. Aug 2007, 16:20

At quod de illo aliquem eligendum præbere, seu vitandum putare?
quod autem si verbo uteris genitivum regente, e. g. meminisse
alicujus rei sumendæ
?

His in casibus sicut et in illo cupidus esse librorum legendorum,
gerundiva secundum positionem eorum in phrase aperte præ-
dicativa sunt, dum alterum exemplum, nempe illud in libris scri-
bendis multa disci
, gerundivum præbeat formaliter attributivum.

Si autem quæris quo sensu exempla supra allata utuntur ge-
rundivo, non invenies nisi sensum vocum proprie prædicativum.
usum vero hoc sensu attributivum invenies in casibus tantum
perpaucis, sicut e. g. res miranda, horrenda etc.

Sic et Kühner, licet Menge aliter censeat. sed non video dissen-
sionem in ipsis nisi meram contentionem vocum.
Zuletzt geändert von Ketelhohn am Mo 27. Aug 2007, 19:19, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon emelina » Mo 27. Aug 2007, 16:37

Könntest du das bitte einmal auf Deutsch erläutern?
Danke.
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Beitragvon consus » Mo 27. Aug 2007, 22:26

Salve, emelina!

Lies bitte Rubenbauer-Hofmann, Lat. Gramm., 10. Aufl. Bamberg 1977, § 175, S. 204 (der Menge scheint bei manchen nicht beliebt zu sein!):

Dort wird das Gerundivum z. B. im Ausdruck

consilium relinquendae Italiae

eindeutig als Attribut gesehen.

Das Gerundium mit Akk.-Obj. hat die gleiche Bedeutung:
consilium Italiam relinquendi.

Rubenbauer-Hofmann (aaO):
Während das aktive Gerundium das zugehörige Objekt 'regiert', ist das passive Gerundivum dem zugehörigen Nomen als Attribut untergeordnet.

Prädikative Verwendung liegt vor in Ausdrücken wie "epistula scribenda est", wo es Prädikatsnomen ist, und "trado tibi librum legendum" (aaO. § 176), wo legendum ein sog. Prädikativum ist ("als ein zu lesendes").

Haec hactenus!
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Gerundivum

Beitragvon Zythophilus » Mo 27. Aug 2007, 22:40

Das letzte Beispiel würde ich ja als attributives Prädikativum bezeichnen.
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Beitragvon emelina » Di 28. Aug 2007, 09:15

Gratias tibi ago, conse, ich werde es im Menge und Rubenbauer noch mal nachschlagen. Deine Hinweise helfen mir auf jeden Fall weiter, genauso habe ich es ja eigentlich auch gesehen.
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Re: Gerundivum

Beitragvon Christophorus » Di 28. Aug 2007, 21:05

Zythophilus hat geschrieben:Das letzte Beispiel würde ich ja als attributives Prädikativum bezeichnen.


das würde ich nun wieder als contradictio in adiecto bezeichnen 8)
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