Stilistik Aeneis 4, 1-30

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Stilistik Aeneis 4, 1-30

Beitragvon ostfriese » Mi 10. Okt 2007, 14:27

Hallo, ich soll eine stilistische Analyse für folgende Verse machen:
Ich schreib unten drunter, was ich schon gefunden habe. Es wäre nett, wenn jemand noch eins oder zwei ergänzte.

At regina graui iamdudum saucia cura
uulnus alit uenis et caeco carpitur igni.
multa uiri uirtus animo multusque recursat
gentis honos; haerent infixi pectore uultus
uerbaque nec placidam membris dat cura quietem. 5
postera Phoebea lustrabat lampade terras
umentemque Aurora polo dimouerat umbram,
cum sic unanimam adloquitur male sana sororem:
'Anna soror, quae me suspensam insomnia terrent!
quis nouus hic nostris successit sedibus hospes, 10
quem sese ore ferens, quam forti pectore et armis!
credo equidem, nec uana fides, genus esse deorum.
degeneres animos timor arguit. heu, quibus ille
iactatus fatis! quae bella exhausta canebat!
si mihi non animo fixum immotumque sederet 15
ne cui me uinclo uellem sociare iugali,
postquam primus amor deceptam morte fefellit;
si non pertaesum thalami taedaeque fuisset,
huic uni forsan potui succumbere culpae.
Anna (fatebor enim) miseri post fata Sychaei 20
coniugis et sparsos fraterna caede penatis
solus hic inflexit sensus animumque labantem
impulit. agnosco ueteris uestigia flammae.
sed mihi uel tellus optem prius ima dehiscat
uel pater omnipotens adigat me fulmine ad umbras, 25
pallentis umbras Erebo noctemque profundam,
ante, pudor, quam te uiolo aut tua iura resoluo.
ille meos, primus qui me sibi iunxit, amores
abstulit; ille habeat secum seruetque sepulcro.'
sic effata sinum lacrimis impleuit obortis.

Ich habe: sehr viele Hyperbata
Z 7: umentemque + umbra eine Antonomasie ( für Wolken )
Z 9: suspensam... eine Prolepsis
Z 17: deceptam+fefellit .. ein Pleonasmus
Z 27 : pudor .. eine Personifikation

Hat noch jemand eins oder zwei zum Ergänzen?
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Beitragvon Prodikos » Mi 10. Okt 2007, 15:26

Also der Text gibt massig her. Ohne ihn übersetzt zu haben, ein paar Denkanstöße zu profanen, populärwissenschaftlichen Stilphänomenen

"[...]graui iamdudum saucia cura[...]"
Assonanz?

"caeco carpitur"
"lustrabat lampade"
"sana sororem"

Alliterationen

"'Anna soror, quae me suspensam insomnia terrent!
quis nouus hic nostris successit sedibus hospes,
quem sese ore ferens, quam forti pectore et armis!'"

parallele Gestaltung der Syntax in Form von wiederkehrenden Relativsätzen, aber kein Parallelismus!

"si mihi non animo fixum immotumque sederet
ne cui me uinclo uellem sociare iugali,
postquam primus amor deceptam morte fefellit;
si non pertaesum thalami taedaeque fuisset"

interessant, das Spiel von Irrealis der Gegenwart "sederet" und Irrealis der Vergangenheit "fuisset" zu untersuchen

"umbras Erebo noctemque"
hochinteressantes sprachliches Bild (Bildeinheit)

"secum seruetque sepulcro"
wenn man so will, Dreifachalliteration

Bemerkenswert scheint ebenso die Sukzession der Eigennamen
Phoebea
Aurora
Sychaei
Erebo
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Beitragvon consus » Mi 10. Okt 2007, 15:45

Servus.

Was soll unter "profanen, populärwissenschaftlichen Stilphänomenen" verstanden werden?
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Beitragvon ostfriese » Mi 10. Okt 2007, 15:55

Prodikos hat geschrieben:Also der Text gibt massig her. Ohne ihn übersetzt zu haben, ein paar Denkanstöße zu profanen, populärwissenschaftlichen Stilphänomenen

"[...]graui iamdudum saucia cura[...]"
Assonanz?

"caeco carpitur"
"lustrabat lampade"
"sana sororem"

Alliterationen

"'Anna soror, quae me suspensam insomnia terrent!
quis nouus hic nostris successit sedibus hospes,
quem sese ore ferens, quam forti pectore et armis!'"

parallele Gestaltung der Syntax in Form von wiederkehrenden Relativsätzen, aber kein Parallelismus!

"si mihi non animo fixum immotumque sederet
ne cui me uinclo uellem sociare iugali,
postquam primus amor deceptam morte fefellit;
si non pertaesum thalami taedaeque fuisset"

interessant, das Spiel von Irrealis der Gegenwart "sederet" und Irrealis der Vergangenheit "fuisset" zu untersuchen

"umbras Erebo noctemque"
hochinteressantes sprachliches Bild (Bildeinheit)

"secum seruetque sepulcro"
wenn man so will, Dreifachalliteration

Bemerkenswert scheint ebenso die Sukzession der Eigennamen
Phoebea
Aurora
Sychaei
Erebo


Vielen Dank Euch beiden :)

Aber zwei Fragen hätte ich noch:

1) Was verstehst Du unter einer Bildeinheit?

2) Was ist an der Sukzession der Eigennamen so besonders?
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Beitragvon consus » Mi 10. Okt 2007, 16:03

Eine weitere Frage, amici:

'Anna soror, quae me suspensam insomnia terrent!
quis nouus hic nostris successit sedibus hospes,
quem sese ore ferens, quam forti pectore et armis!'"
parallele Gestaltung der Syntax in Form von wiederkehrenden Relativsätzen, aber kein Parallelismus!


Wo sind hier Relativsätze?
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Beitragvon Prodikos » Mi 10. Okt 2007, 16:04

consus hat geschrieben:Was soll unter "profanen, populärwissenschaftlichen Stilphänomenen" verstanden werden?


Die Allerweltsstilfiguren und Tropen, welche bereits der 7.- Klässler beherrscht.

1) Was verstehst Du unter einer Bildeinheit?

2) Was ist an der Sukzession der Eigennamen so besonders?


1. in diesem speziellen Fall verstehe ich die Bildeinheit in Form der auf den ersten Blick "düster" besetzten Begriffe, die einen metaphorischen Gesamteindruck zu vermitteln scheinen, der eben eine gewisse gefühlte Atmosphäre wiedergibt

2. wie gesagt, habe ich nicht übersetzt, sondern versucht Denkanstöße zu geben und dabei schien mir die Abfolge der Gottheiten (+ Menschlein) mindestens eines zweiten, genaueren Blickes würdig...es mag auch daran liegen, dass ich immer noch von meinem ehemaligen Griechischlehrer dahingehend geprägt bin, dass ich stets den Satz "...da ist nix Zufall" im Ohr habe

Wo sind hier Relativsätze?

Um was für ein Satzgefüge handelt es sich bei dem Zitat, ich dachte an Relativsätze.
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Beitragvon consus » Mi 10. Okt 2007, 16:15

Es sind nicht Relativ-, sondern schlichte Ausrufesätze.
----------------------------------
Was die Stilfiguren angeht, würde ich nicht so einen abwertenden Begriff verwenden. Auch ein Kind in der Klasse 7 kann durchaus mit solchen Begriffen vertraut gemacht werden, ohne dass diese etwas von ihrem Charakter der Wissenschaftlichkeit grundsätzlich verlieren.
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Beitragvon Prodikos » Mi 10. Okt 2007, 16:29

consus hat geschrieben:Es sind nicht Relativ-, sondern schlichte Ausrufesätze.


Ah...natürlich, alles klar, danke.

Was die Stilfiguren angeht, würde ich nicht so einen abwertenden Begriff verwenden. Auch ein Kind in der Klasse 7 kann durchaus mit solchen Begriffen vertraut gemacht werden, ohne dass diese etwas von ihrem Charakter der Wissenschaftlichkeit grundsätzlich verlieren.


Außer Frage, nur wollte ich darauf hinaus, nicht zu viel von meinem Beitrag zu erwarten, da Stilmittel, welche die klassische Philologie erst so reizvoll machen (Epanorthosis, Akrostichon, figura etymologica, apo koinou,...) nicht dabei sind und mit Stabreimen, Anaphern oder Metaphern braucht man sich glaube ich in so einem altertumswissenschaftlichen Forum nicht herumschlagen...die müssen ganz einfach Standardrepertoire sein, oder?
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Beitragvon consus » Mi 10. Okt 2007, 17:17

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Beitragvon Tiberis » Mi 10. Okt 2007, 20:07

die müssen ganz einfach Standardrepertoire sein,

so wie z.b. die relativsätze. :lol:
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Beitragvon ostfriese » Mo 15. Okt 2007, 17:44

Ich bin es nochmal:

Und zwar:

heu, quibus ille
iactatus fatis! quae bella exhausta canebat!

Sie spielt dabei ja auf die Irrfahrten und den Untergang Trojas an. Aber: Es war doch genau- chronologisch gesehen - andersherum. Erst war der Untergang Trojas und dann kamen die Irrfahrten. Gibt's dafür auch ein Stilmittel, bei dem die inhaltliche Abfolge vertauscht wird?
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Beitragvon tami » Mo 15. Okt 2007, 18:00

Gibt's dafür auch ein Stilmittel, bei dem die inhaltliche Abfolge vertauscht wird?


ich kenne es unter dem namen Hysteron Proteron
m.W. kann dabei sowohl die zeitliche als auch die logische abfolge vertauscht werden :)
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Beitragvon Prodikos » Di 16. Okt 2007, 00:01

Tiberis hat geschrieben:
die müssen ganz einfach Standardrepertoire sein,

so wie z.b. die relativsätze. :lol:


Relativsätze haben nichts mit "Ausrufesätzen" zu tun.
Jene stellen eine bestimmte Gruppe von Nebensätzen dar, diese hingegen leiten ihre Bezeichnung vom Modus der Aussage ab, der in erster Linie nichts mit der Syntax zu tun hat.
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Beitragvon Tiberis » Di 16. Okt 2007, 00:15

diese hingegen leiten ihre Bezeichnung vom Modus der Aussage ab, der in erster Linie nichts mit der Syntax zu tun hat.

:?
du kannst davon ausgehen, dass mir der unterschied zwischen den beiden satzarten durchaus geläufig ist. :D
dir vermutlich nicht so ganz:

'Anna soror, quae me suspensam insomnia terrent!
quis nouus hic nostris successit sedibus hospes,
quem sese ore ferens, quam forti pectore et armis!'"
parallele Gestaltung der Syntax in Form von wiederkehrenden Relativsätzen


darauf bezog sich jedenfalls meine - leicht ironische - bemerkung.
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Beitragvon Zythophilus » Di 16. Okt 2007, 06:55

Dass Interrogativpronomina im Deutschen wie im Lateinischen gleich wie Relativpronomina aussehen, ist wohl kein etymologischer Zufall. Die sog. Ausrufesätze sind m.E. rhetorische Fragen, die, weil sie von ihrem Charakter her keine echten Fragen mehr sind, ein Rufzeichen bekommen.
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