ita bene mihi.

Für alle Fragen rund um Latein in der Schule und im Alltag

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Re: ita bene mihi.

Beitragvon consus » Fr 4. Jun 2010, 07:06

Eine weitere Divergenz bzgl. griech. und lat. Aussprache:

Ἀλεξάνδρεια > Alexandrēa* bzw. Alexandrīa (vgl. im Dt. nach Duden Alexándria oder Alexandría).

Kühner-Holzweissig (S. 241, Anm. 4,): Die aus der griechischen und anderen Sprachen in das Lateinische aufgenommenen Wörter werden den Gesetzen der lateinischen Betonung unterworfen... Erst in der letzten Kaiserzeit nahmen besonders die christlichen Dichter in ihre Verse griechische Wörter mit dem griechischen Accente auf, aber mit Vernachlässigung der Quantität...
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* Metrisch belegt durch Hor. carm. 4, 14, 35.
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon Pyrrha » Fr 4. Jun 2010, 08:19

Ich weiß, optime Conse, dass ich sämtliche Autoritäten mit meiner Behauptung anzweifle. Bloß woher wissen wir, dass sich die Römer immer so sklavisch an die Paenultimaregel gehalten haben? Ich halte es für natürlicher, dass je nach Grad der Latinisierung mal die griechische, mal die lateinische Betonung, mitunter auch beide parallel in Gebrauch waren (kann dies aber nicht genauer belegen, abgesehen von den schon zitierten modernen romanischen Sprachen). Worauf fußt die Schulmeinung?
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Beitragvon consus » Fr 4. Jun 2010, 08:42

Wenn man, optima Pyrrha, sich an poetischen Koryphäen wie z. B. Vergil, Horaz, Ovid orientiert, aber auch an die sorgfältig ausgearbeiteten Klauseln der ciceronianischen Prosa denkt, steht man in metrischer Hinsicht nicht auf ganz unsicherem Boden. Eine Sammlung von Abweichungen ist angelegt worden: http://www.mgh.de/~Poetae/Prosodie.htm, vgl. z. B. das, was s. v. philosophia daselbst präsentiert wird.
:book:
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon Pyrrha » Fr 4. Jun 2010, 09:04

Eine sehr interessante Liste, optime Conse, vielen Dank dafür. Die Prosodie habe ich aber nie bezweifelt, die lässt sich ja in den meisten Fällen ohne weiteres in der metrischen Dichtung bestimmen, worauf du ja auch hingewiesen hast. Was ich anzweifle, ist die Betonung, der Wortakzent. Woher weiß ich, dass die Philosophie nicht auch im Lateinischen mit einem kurzen, aber betonten i ausgesprochen wurde, wie dies ja im Griechischen der Fall ist? Hierfür helfen uns metrische Belege nicht weiter. Dass eine solche Aussprache den lateinischen Betonungsregeln widerspricht, ist klar, aber es handelt sich ja schließlich auch nicht um ein lateinisches Wort.
Andererseits würden die in der Liste angeführten spätantiken Dichter ja wohl kaum das i längen, um das Wort in einen Hexameter zu zwängen, wenn das nicht durch die Betonung naheliegen würde, jedenfalls näher als eine Längung des o. (Dies mag das Kühner-Holzweissigsche Argument für die Betonung in der Spätantike sein.)
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon Laptop » Sa 5. Jun 2010, 03:29

Was mir nicht behagt ist, daß wiederholt versucht wird über Poesie Silbenquantitäten zu "belegen", Poesie ist freestyle und nur bedingt beweisfähig. Und Pyrrha, man kann nur von "Irrtum" sprechen, wenn man von einer Wahrheit ausgeht. Wenn es nicht diese eine Wahrheit gibt, sondern mehrere, irren die Quellen auch nicht. Comenius war sicher näher am Latein der Antike als wir, sowohl von seiner Zeit als auch von seiner Bildung her.
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon consus » Sa 5. Jun 2010, 10:22

Laptop hat geschrieben:... Poesie ist freestyle ...
:roll: Cave manes optimorum poetarum tanta offenderis sermonis insolentia!
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon Zythophilus » Sa 5. Jun 2010, 13:49

Die römischen Dichter erfanden nicht das System von Längen und Küzen, sondern übernahmen das, was sie vorfanden. Einzelne Lizenzen sind ja gerade Belege dafür, dass die normale Sprache die Quantitäten ebenso berücksichtigte. Hätte ein Dichter wie Ennius selbst nach Gutdünken festlegen können, so hätte er wohl nicht die Form induperator bilden müssen, weil imerator partout nicht in den Hexameter passt, sondern einfach das e lang erklärt.
Vielleicht sind die Kategorien "wahr" und "falsch" problematisch, dennoch wurde im röm. Schulsystem eine "richtige" Aussprache gelehrt und eine "falsche" korrigiert. Ob sich bildungsferne Schichten immer an die hochsprachliche Aussprache hielten, ist eine andere Frage.
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 5. Jun 2010, 19:46

Ich habe gerade die Ausführungen hier gelesen ....und für mich stellt sich die Frage, was wollen wir und was will Laptop? Wollen wir Sprechlatein ergründen, was nicht sehr einfach ist, da wir nicht viele Quellen haben, oder Schriftlatein? Und das ist das große Problem. Wir können Latein hauptsächlich aus Schriftquellen, Gedichten und so weiter erkennen, aber wer spricht wirklich so? Wir sprechen ja auch nicht in Gedichtform. Und deswegen werden wir die "Wahrheit" nicht ergründen. Latein hat in der Grammatik und Form eine gewisse Erstarrung erfahren wie keine moderne Sprache (siehe "Latein ist tot-es lebe Latein" Taschenbuch ab Seite 104). Mich befällt auch manchmal ein Unwohlsein, wenn wir Latein immer nur aus Metrik und starren Konzeptionen erfassen (das habe ich hier im Forum auch schon mehrmals zum Ausdruck gebracht), aber da wir die Sprache nicht mehr heute in dem Sinne sprechen, stecken wir in einer Zwickmühle.
Ich persönlich würde mir auch mehr Freiheiten im Lateinischen wünschen, aber da die Quellenlage oft nicht mehr hergibt, brauchen wir halt gewisse "Standards" und die werden wir eben hauptsächlich -aufgrund der "Erstarrung"- im klassischen Latein finden, an dessen Grammatik und Stil sich "die spätere Zeit" auch weitgehend hält und orientiert hat, was nicht als negativ zu bewerten ist. In dem Sinne ist und bleibt Latein eine besondere und interessante Sprache.

Gruß, Medicus
:)
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon Laptop » So 6. Jun 2010, 07:57

Hallo Medicus, mir geht es um das gesprochene, normale Latein, d.h. das nicht-dichterische Latein. Ich hoffe, daß man es mit entsprechendem Aufwand rekonstruieren kann, stehe da allerdings erst am Anfang.

Noch ein paar Fragen zur Aussprache:
1. Ist das korrekt: man spricht dic und duc lang (/diek/, /duhk/) fac und fer hingegen kurz (/fack/, /ferr/)?

Auch hier könnte man vermuten: dic wurde dÄ­c also /dick/ gesprochen, wozu ital. dimmi ein Hinweis ist.

2. betont man metítur oder métitur, und wie kann ich das nachschlagen?
3. betont man óstendit oder osténdit, und wie kann ich das nachschlagen?
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon Tiberis » So 6. Jun 2010, 11:47

3.a) betont man óstendit oder osténdit, und b) wie kann ich das nachschlagen?

a) osténdit b) in jeder grammatik unter "paenultima-regel"
2. a) betont man metítur oder métitur, und b) wie kann ich das nachschlagen?

a) je nachdem, ob es von metiri (metítur) oder von metere (métitur) kommt
b) in jedem wörterbuch
Auch hier könnte man vermuten: dic wurde dÄ­c also /dick/ gesprochen, wozu ital. dimmi ein Hinweis ist.

aber ein wenig geeigneter: erstens, weil grundsätzlich rückschlüsse vom italienischen auf das latein problematisch sind, zweitens, weil (im ggs. zum lateinischen) sich im ital. der imperativ von dire eben meist mit dem pronomen verbindet, drittens, weil der doppelkonsonant ja nicht zwangsläufig eine kürzung des vorhergehenden vokals bewirkt.
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon Zythophilus » So 6. Jun 2010, 13:06

SALVETE
Bloße Vermutungen, dass die lateinische Umgangssprache vom Schriftlatein sich in Aussprache und Betonung stark unterschieden hätte, bringen nichts. Ich würde gerne Beweise, bzw. zumindest Hinweise sehen.
Romanische Sprachen, die natürlich erst nach dem Quantitätenkollaps entstanden sein können, geben keinen Hinweis darauf, ob ein Vokal ursprünglich lang oder kurz. Wenn ich das Spanische hernehme, müsste ich ja postulieren, dass auch das Lateinische nur kurze Vokale hatte.
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon Laptop » So 6. Jun 2010, 19:52

Tiberis hat geschrieben:a) osténdit b) in jeder grammatik unter "paenultima-regel"

Stimmt, habe den Baum vor lauter Wald nicht gesehen.

Tiberis hat geschrieben:a) je nachdem, ob es von metiri (metítur) oder von metere (métitur) kommt
b) in jedem wörterbuch

In meinem Fall ist es metiri, sind eigentlich alle Verben auf -iri mit einem langen Ä«ri?

Tiberis hat geschrieben:aber ein wenig geeigneter: erstens, weil grundsätzlich rückschlüsse vom italienischen auf das latein problematisch sind, zweitens, weil (im ggs. zum lateinischen) sich im ital. der imperativ von dire eben meist mit dem pronomen verbindet, drittens, weil der doppelkonsonant ja nicht zwangsläufig eine kürzung des vorhergehenden vokals bewirkt.


"Beweise" gibt es so einfach nicht, sonst hätten wir sie längst auf dem Tisch. Dennoch ist ein "Beweis" denkbar, wenn man viele kleine Hinweise sammelt, die in der Masse überzeugen. Ich habe nur einen Hinweis genannt, keinen Rückschluß oder Wahrheit daraus gemacht und auch nicht von einem Beweis gesprochen. Andererseits würde ich mir auch wünschen, daß "metrische Hinweise" auch nicht so hoch gehandelt werden, wie es mitunter anmutet: "daraus läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit schließen, daß â€¦". Denn es gibt auch Gegenhinweise, bspw. sagt L&S zu sophia: "(i long, Prud. Sym. 122; id. Cath. 1613; Fortun. Suppl. 2, 62)".
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon consus » So 6. Jun 2010, 20:11

Laptop hat geschrieben:... auch Gegenhinweise, bspw. sagt L&S zu sophia: "(i long, Prud. Sym. 122; id. Cath. 1613; Fortun. Suppl. 2, 62)".
Weitere Irregularitäten finden sich in den "Materialien zu einem Lexikon der irregulären [sic!] lateinischen Prosodie" s. v. sophia. Man beachte, welcher Zeit die dort genannten Versifikatoren angehören. Iam satis superque.
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon Laptop » Fr 18. Jun 2010, 03:00

Hier noch ein paar Fälle, deren Betonung mir unklar, da ich nicht weiß ob die entsprechenden Silben geschlossen oder offen sind:

«itĭdem, ebenfalls, Adv.», betont man /ítidem/?
«alicŭbi, an einigen Orten, Adv.» betont man /alícubi/?
«dirĭmo, ēmi, emtum, ĕre, entſcheiden» betont man /dírimo/?
«elÅ­o, elÅ­i, elÅ«tum, Ä•re, abführen.» betont man /éluo/?
«platēa, ae, f. die Gasse.» betont man /platéa/?

(In Anführungszeichen Zitate aus einem Buch)
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Re: ita bene mihi.

Beitragvon Zythophilus » Fr 18. Jun 2010, 06:48

SALVE
Lt. Stowasser platĕa.
Hier kann das Italienische durchaus einen Hinweis geben, da it. piazza nur aus plátea(m) entstanden sein kann, weil die Betonung anders als die nicht mehr beachteten Quantitäten i.d.R. übernommen wurde.
VALE
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