Dehnstufe / Schwundstufe

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Dehnstufe / Schwundstufe

Beitragvon romane » So 9. Jun 2013, 14:06

Was will der Autor sagen: ??
Erschwerend kam hinzu, dass die Römer die von Epikur allenfalls auf ihrer Schwundstufe gepriesene voluptas längst in ihre Dehnstufe angehoben hatten.
Die Freiheit ist ein seltsames Wesen - wenn man es gefangen hat, ist es verschwunden

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Re: Dehnstufe / Schwundstufe

Beitragvon Sokrates » So 9. Jun 2013, 14:28

salve,

also abhängig vom Kontext will einer auf die typisch indogermanische quantitative Ablautregelung hinweisen, was aber bei voluptas im Gegensatz zur Ersatzdehnung keinen Sinn macht (natürlich hat Epikur das lateinische Wort auch nicht gebraucht) und somit ausscheidet, oder er bedient sich in einer Metapher der Terminologie und will auf das Missverhältnis des epikureischen Hedonismus und "spätrömischer Dekandenz" aufzeigen?

LG Sokrates
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Re: Dehnstufe / Schwundstufe

Beitragvon romane » So 9. Jun 2013, 14:34

wenn Epikur die voluptas auf der Schwundstufe preist, bedeutet dass für mich - nach der Terminologie - dass er sie kurz vor ihrem "Sterben" preist _ macht doch keinen Sinn - oder?
Die Freiheit ist ein seltsames Wesen - wenn man es gefangen hat, ist es verschwunden

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Re: Dehnstufe / Schwundstufe

Beitragvon RM » So 9. Jun 2013, 15:07

Welcher Autor hat denn in welchem Zusammenhang dieses Statement überhaupt verbrochen?

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Re: Dehnstufe / Schwundstufe

Beitragvon romane » So 9. Jun 2013, 15:35

der Name wird nicht weiter helfen - es steht so in einem Aufsatz über die Lehre Epikurs
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Re: Dehnstufe / Schwundstufe

Beitragvon Willimox » So 9. Jun 2013, 15:40

Nun ja, in Romanes zunächst recht aenigmatisch wirkender Kurzformulierung :wink: ist sicher der Begriff Schwundstufe recht metaphorisch gebraucht, sicher nicht mit allen Bedeutungselementen der wortgeschichtlichen Methodik und ihres Codes.

Der Begriff meint dann sicher kein Verenden oder Auslaufen, wohl aber das gezügelte, keineswegs exzessive Lustmodell, das etwa bei Aristipp (auch) zu finden ist. Und dann wäre in der römischen Kulturwelt der exzessive Voluptasbegriff und die entsprechende Lebensform teilweise anzutreffen.

Zum keineswegs exzessiven Lustbegriff und seiner daraus ableitbaren ataraxia vergleiche man etwa Epikurs Brief an Menoikeus:

Obgleich Lebensfreude unser erster und angeborener Reichtum ist, wählen wir doch nicht jeden
Genuß, sondern entsagen sehr oft, wenn er ein größeres Unheil im Gefolge hat. Auch den Schmerz
ziehen wir manchmal dem Vergnügen vor, wenn wir in ihm den Keim höherer Freuden entdecken, die
geduldiges Ertragen mit sich bringt. Jede Lebensfreude ist also ihrem Wesen nach Reichtum, aber
nicht jede Freude ist immer zu erstreben, ebensowenig, wie man jeden Schmerz immer fliehen soll,
obwohl er an sich ein Übel ist. Um den einzelnen Fall richtig zu beurteilen, muß man das innere
Gleichgewicht zur Richtschnur nehmen und das Nützliche gegen das Schädliche abwägen. Denn im
praktischen Leben wird das Gute oft zum Bösen, das Böse hingegen gut.
Karl Vorländer: Philosophie des Altertums, Bd. 1, Reinbek (Rowohlt) 1963, S. 264




Zum Ideal kontroliierter Wollust und der Verteidigung Epikurs gegen den Vorwurf exzessiver Lustpropagierung vergleiche etwa Seneca De vita beata 13. Wo es eben anders als bei Cicero und dem "porcus Epicuri" um eine diferenziertere Betrachtung geht (De sen. 13, 44; vgl. De off. I, 30, 106.)


Bild

Philologen und Didaktiker könnte Ulla Hahns Gedicht erfreuen.
Und es dürfte klar sein: Hier braucht der Schüler einen Kommentar oder einen Dechiffrierauftrag
im Internet......:

Epikurs Garten

Beim Ysop stand er wünschte mir Freude
wie man Guten Tag sagt.
Nicht hungern nicht dürsten nicht frieren.
Das alles ist dir gegeben du darfst
dich selbst messen mit Zeus. Ich notiert es.
Beim Akanthus ließ er sich nieder ich bot ihm Käse
Wein Feigen wir machten es uns glückselig. Der Tod
ist für uns ein Nichts. Keine Empfindung besitzt,
was der Auflösung zufiel. Was aber
keine Empfindung mehr hat — ich notiert es —
das kümmert uns nicht. Wir lauschten dem Ahorn.
Ohne Wissen von der Natur kann man keine Freude
vollkommen genießen. Notiert ich. Wem genug zu wenig ist
dem ist gar nichts genug. Ein griechisch Himmelblau
durchspielte die Reden. Wie notieren? Grün sagte er ist gut
für die Augen Grün ist Leben.
Aber der Sinn fragte ich der Sinn der Sinn des Lebens ist
das Leben sagte er. Ich notiert es.
Wir tranken noch einen Klaren. Lebe verborgen
empfahl er wie man Lebe wohl sagt und verschwand
Madison Ecke 78th wo es die klassischen hamburger gibt. Der
Inopos rauschte vorüber.

Ulla Hahn: Epikurs Garten. Gedichte. dva Stuttgart 1995; S. 46.


Bild

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Re: Dehnstufe / Schwundstufe

Beitragvon romane » So 9. Jun 2013, 16:12

es geht um einen Streit altgedienter und junggedienter "Lehrmeister"
----
Willimox folgend:
Schwundstufe = voluptas im Sinne von Freisein von Schmerz > Epikur

Dehnstufe = z.B. Horaz - Schweinchen des Epikurs...
---
ohne Nachhilfe wird das aber kein Schüler verstehen können.
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Re: Dehnstufe / Schwundstufe

Beitragvon RM » So 9. Jun 2013, 16:57

romane hat geschrieben:der Name wird nicht weiter helfen - es steht so in einem Aufsatz über die Lehre Epikurs

Ich wollte den Namen lediglich wissen, um mich später daran zu erinnern, falls ich mal einen seiner Artikel in die Hand bekommen sollte ... Also, wer war's?
Es ist mir auch völlig klar, dass bestimmte Römer und das frühe Christentum die Lehren Epikurs wohl mit Absicht verunglimpft haben (was viele neuzeitliche Philologen dann weitgehend kritiklos übernahmen).

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Re: drei Stufen

Beitragvon Prudentius » Di 11. Jun 2013, 10:16

Ein Wortstamm kann in drei Stufen auftreten, seltsam, dass die Normalstufe nicht erwähnt wird; schauen wir uns das Handwerkliche an! Ein Stamm wie gen- ist in genus in der Normalstufe, d.h. mit einem silbentragenden Vokal; dazu gibt es die Schwundstufe gn- wie in gi-gn-ere, da verliert der Stamm seinen tragenden Vokal und damit den Silbencharakter, die Überreste des Stammmes werden zu den benachbarten Silben gezogen: gig-nere.
Manche Stämme bilden auch eine Dehnstufe, regelmäßig beim "Dehnungsperfekt" lego legi, ago egi.
(Seltener gibt es auch e/o-Stufe, wie bei tegere / toga, im Gr. häufig).
Der Terminus Schwundstufe ist nicht als Verkümmerung anzusehen, es ist eine von drei Erscheinugsformen eines Wortstammes, sie sind gleichrangig.

Der metaphorische Gebrauch der Schwundstufe, auf Epikurs Lustlehre angewendet, ist seltsam, man müsste aber mehr wissen, worauf der Autor hinauswill. Eher könnte man dieses Bild auf die Stoiker anwenden, denn sie sind wirklich lustfeindlich gewesen.

bestimmte Römer und das frühe Christentum die Lehren Epikurs wohl mit Absicht verunglimpft haben


Freude/Lust: schwer abzugrenzen, sehr vielschichtig; vergesst nicht: das Neuartige des aufkommenden Christentums war die "Frohe" Botschaft; Paulus: "Freuet euch! Abermals sage ich: freuet euch!", diese Religion brachte etwas, was die gr./römische Religion nicht aufzuweisen hatte, die Menschen fühlten sich auf eine neuartige Weise angesprochen, so kam eine Bewegung von unten her zustande.

Gruß P. :)
Prudentius
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Re: Dehnstufe / Schwundstufe

Beitragvon romane » Di 18. Jun 2013, 18:39

Aufklärung:

"Der fragliche Satz soll bedeuten, dass Epikur die voluptas als bescheidene Größe bei Verzicht auf üppigen Aufwand verstanden hat, die Römer aber, wie Sallust uns lehrt, daraus eine Rechtfertigung für schrankenlosen Luxus gemacht haben."
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