"aut" - "entweder oder" oder "und"

Für alle Fragen rund um Latein in der Schule und im Alltag

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

Re: "aut" - "entweder oder" oder "und"

Beitragvon Laptop » Sa 16. Nov 2013, 20:27

Ich denke es ist wie im Deutschen, das Wort “oder” kommt nicht ohne den Kontext aus, bzw. ist einfach genauso auslegbar wie das lat. aut. Die Aussage “ohne Voraussetzung x oder y geht es nicht” kann bedeuten:
a) ohne daß beides gegeben ist, geht es nicht
b) ohne daß eines von beiden gegeben ist, geht es nicht

Tendenziell nutzt man für die Aussage a) eher das Wort "und" und für Aussage b) eher das Wort "oder", aber eben nur tendenziell, so daß man um eine Exegese nicht herumkommt. Ich hoffe dieser meiner Beitrag ist jetzt fehlerfrei.
SI·CICERONEM·ÆMVLARIS·VERE·NON·VIVAS (get a life!) OBITER·DICTVM·BREVITAS·DELECTAT (keep it short and simple = kiss)
Benutzeravatar
Laptop
Augustus
 
Beiträge: 5737
Registriert: Sa 12. Mai 2007, 03:38

Re: "aut" - "entweder oder" oder "und"

Beitragvon MarionKS » So 17. Nov 2013, 13:08

Laptop hat geschrieben:Die Aussage “ohne Voraussetzung x oder y geht es nicht” kann bedeuten:
a) ohne daß beides gegeben ist, geht es nicht
b) ohne daß eines von beiden gegeben ist, geht es nicht


Das stimmt überein mit mehreren Aussagen die es zu diesem Thema gibt:
“Aut as ʹorʹ is more common, but here the interpretation depends on whether you think that the desire for baptism is enough on its own or whether the phrase signifies that you need the desire as well as the sacrament itself.
Iʹll leave it to you to decide!
Best wishes,
Carolinne White
OXFORD LATIN”


Tatsächlich hängt das Verständnis der Formulierung generell vom Kontext ab und wird je nach eigenem Standpunkt, der Gewohnheit und Erwartung, dem Vorwissen oder dem Vorurteil automatisch unterschiedlich interpretiert. Nehmen wir zwei Beispiele:

„Ein Kind kann nicht ohne Vater oder Mutter entstehen.“ Es reicht bereits der Wegfall nur des Vaters oder nur der Mutter, damit das Kind nicht entstehen kann. Es müssen nicht zwingend beide zusammen (Vater und Mutter) fehlen, obgleich das Ergebnis ebenso richtig wäre. Die gewählte Formulierung unterstreicht hier die Notwendigkeit jedes einzelnen der beiden Elemente. In diesem Sinne ist auch der Satz aus dem 4. Kap. des Dekrets zu verstehen.

Anders verhält es sich dagegen mit dem Satz: „Ohne Bargeld oder Kreditkarte kann nicht bezahlt werden.“ Aus der Erfahrung schließt man automatisch, dass bereits mit einem der beiden Dinge bezahlt werden kann. Ein dementsprechendes Verständnis jenes Satzes aus dem Dekret liegt dann nahe, wenn man unter Einfluss der menschlichen Heilsidee der „Begierdetaufe“ steht und zusätzlich den Satz nicht aufmerksam ließt sowie die anderen Erklärungen zur Notwendigkeit der Taufe und Kirchenzugehörigkeit nicht beachtet. Einer anderen Ansicht zufolge werde man zwar durch das Verlangen nach der Taufe gerechtfertigt, aber nicht gerettet. Weshalb auch diese Auffassung verkehrt ist, wird an anderer Stelle (II.4) dargelegt.

Halten wir fest: Das Konzil besagt im 4. Kapitel, dass die Überführung in den Stand des Gerechtfertigten nicht ohne Taufe oder Taufwillen (sine … aut) geschehen kann. Das Konzil sagt nicht, dass die Rechtfertigung ohne Taufe oder ohne Taufwillen geschehen kann. Es sagt nicht, dass die Rechtfertigung entweder mit der Taufe oder (alternativ) mit dem bloßen Taufwillen möglich sei (genau wie es auch nicht sagt, die Kirche erlaube entweder anders als festgesetzt zu predigen oder zu lehren, wenn es erklärt: „sie [die Kirche] verbietet aufs strengste, daß jemand künftig anders zu glauben, predigen oder [aut] lehren wagt, als durch das vorliegende Dekret festgesetzt und erklärt wird“; beides ist verboten, das abweichende Predigen und Lehren. Ebensowenig besagt Cantate Domino, dass nur die Juden verloren sind oder nur die Häretiker, wenn es darin heißt: „sed nec Iudaeos aut haereticos … aeternam vitae fieri posse“; beide können das ewige Leben nicht haben, die Juden und die Heiden). Ferner erklärt es im selben Satz, dass diese Erklärung sich mit den Worten Christi deckt: Wenn jemand nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem Heiligen Geist, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Der Heilige Geist hat allen Vertretern unorthodoxer Theorien, welche diese Stelle des 4. Kapitels zu ihren Zwecken nutzen wollen, einen Strich durch die Rechnung gezogen. Damit hat Er zugleich die Widerspruchslosigkeit der Kirchenlehre gewahrt.


Timothy Johnson: "... the preposition ‘without’ (sine) governs both lavacro and voto. As for the translation in Denzinger which reads ‘except through’ instead of ‘without’, that is grammatically indefensible and theologically malicious. It dissolves the very idea of a set of prerequisites and replaces it with a series of alternatives. Truly diabolical!"
As he explains, sine (the preposition which means “without”) governs “lavacro” (laver) which is in the ablative case, and “voto” (desire), which is also in the ablative case. “Without” applies to both words. It could thus be translated: it [justification] cannot take place without water baptism or without the desire for it, as it is written….
The passage does not say that justification “can” happen “by” this or that. It states that it “cannot” happen “without” this or that, “as it is written” (sicut scriptum est).



Nochmals herzlichsten Dank für eure Mühe!
MarionKS
Servus
 
Beiträge: 6
Registriert: So 27. Okt 2013, 15:32

Vorherige

Zurück zu Lateinforum



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 25 Gäste