Prädikativum oder Adverbial?

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Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon iurisconsultus » Di 30. Sep 2014, 15:12

Salvete!

In "Wissen griffbereit - Latein: Satzlehre und Grammatik" wird als Bsp für ein Prädikativum dieser Satz angeführt: Liberi laeti cantant = Die Kinder singen fröhlich. Warum hat das Adjektiv laeti hier die Funktion eines Prädikativums und nicht eines Modaladverbials? Muss für dieses das Adverb laete stehen oder verlangt cantare im Lateinischen stets ein Prädikativum oder weder noch? In nuce: Wie werden im Lateinischen diese beiden syntaktischen Erscheinungen voneinander geschieden?

Vielen Dank für eure Hilfe.

Valete!
Zuletzt geändert von iurisconsultus am Di 30. Sep 2014, 16:08, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon iurisconsultus » Di 30. Sep 2014, 15:22

Ich habe den Beispielsatz nach einigem (zu spätem) Nachdenken verstanden: Die Kinder als fröhliche (Kinder) = Gleichsetzungsnominativ (prädikativer Nominativ).

Verstanden habe ich das Phänomen Prädikativum aber trotzdem nicht. Bspw der Satz: Germani impetum adversi fecerunt. Warum ist adversi ein Prädikativum? Warum bezeichnet es offenbar "nicht die Art und Weise der Tätigkeit oder des Vorgangs (impetum fecerunt), sondern eine Eigenschaft oder einen Zustand des Subjekts (Germani)" (cf. http://members.aon.at/latein/Praedikativum.htm)? Ist es deshalb, weil der Satz wörtlich heißt: Die Germanen machten einen Angriff als Entgegenkommende?
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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon Prudentius » Di 30. Sep 2014, 20:31

Waren die Kinder fröhlich oder das Singen? Je nachdem kann der Lateiner laeti oder laete sagen;
waren die Germanen gegenüberstehend oder das Angreifen?

Im D. empfinden wir "sangen fröhlich" als Adverb, aber mir kommt vor, dass das D. gar kein Adverb hat, denn "waren fröhlich" und "sangen fröhlich" ist für uns dieselbe Form, also prädikativ.

"Gleichsetzungsnominativ" gefällt mir nicht, denn "prädizieren" ist nicht "gleichsetzen".
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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon iurisconsultus » Di 30. Sep 2014, 22:45

Vielen Dank für die Erhellung Prudentius. Dann funktionierte die Sache im Lateinischen offenbar etwas formaler (Adverb = Adverbial, Adjektiv = Attribut oder Prädikativum) als im Deutschen.

Im Deutschen betrachtet man die Sätze "Die Kinder waren fröhlich" und "Die Kinder sangen fröhlich" syntaktisch unterschiedlich. In jenem ist das Adjektiv fröhlich ein Subjektsprädikativum, weil das Kopulaverb sein - kurz gesagt - für sich semantisch leer ist, in jenem ist es ein Modaladverbial. Die Übergänge sind aber fließend, mir scheint.

Vale!
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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon RM » Di 30. Sep 2014, 23:38

iurisconsultus hat geschrieben:Bspw der Satz: Germani impetum adversi fecerunt.

Sag mal: Wer schreibt'n so was? :shock:

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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon Tiberis » Di 30. Sep 2014, 23:48

Prudentius hat geschrieben:Waren die Kinder fröhlich oder das Singen? Je nachdem kann der Lateiner laeti oder laete sagen;

eine solche wahlmöglichkeit gibt es im lateinischen aber nicht, jedenfalls nicht, wenn es , wie hier, um gemütszustände geht.
bei solchen steht im lateinischen immer das prädikativum: die kinder befanden sich also, während sie sangen, in einem fröhlichen gemütszustand.
eigentlich ganz logisch: ein gemütszustand betrifft ja immer die person(en), nicht aber die handlung.
wenn ich sage: "traurig kehrte er nach hause zurück" (tristis domum rediit), erfolgt ja nicht das zurückkehren auf traurige weise, sondern traurig ist der gemütszustand des heimkehrers.
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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon RM » Mi 1. Okt 2014, 08:09

Es gibt allerdings "laete ferre", "laete / severe dicere" etc.

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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon marcus03 » Mi 1. Okt 2014, 09:39

RM hat geschrieben:"laete / severe dicere"


Ich denke, man kann durchaus einen Unterschied zwischen der Art des Sprechens und dem (gesamten) Gemütszustands des Sprechers machen. Das würde das Adverb erklären. Oder ist das nur Haarspalterei ? ;-)
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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon Tiberis » Mi 1. Okt 2014, 14:39

Quinct.8,3, 40 : Nam primum est ut liqueat augere quid velimus an minuere, concitate dicere an moderate, laete an severe, abundanter an presse, aspere an leniter, magnifice an subtiliter, graviter an urbane:

man sieht also: nicht um den gemütszustand des redners geht es hier, sondern um die art und weise des vortrags.
natürlich wäre es theoretisch (!) denkbar, dass auch die "fröhlich singenden kinder" während ihres singens gar nicht fröhlich sind, obwohl ihr gesang fröhlichkeit ausdrückt.
:roll:
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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon iurisconsultus » Mi 1. Okt 2014, 15:23

RM hat geschrieben:Germani impetum adversi fecerunt
Sag mal: Wer schreibt'n so was? :shock:

Der Satz scheint von Mag. Dr. Franz Kremser zu stammen (cf. http://members.aon.at/latein/).

Was bei mir noch immer im Dunkeln liegt, ist Folgendes: Warum wird das Prädikativum definiert als "eine Ergänzung des Prädikats, die nicht die Art und Weise der Tätigkeit oder des Vorgangs bezeichnet, sondern eine Eigenschaft oder einen Zustand des Subjekts oder Objekts", und als Adjektive, "die einen geistigen oder leiblichen Zustand bezeichnen" (cf. http://members.aon.at/latein/Praedikativum.htm)?

Kann man das nicht folgendermaßen vereinfachen: Verwendet der Römer das Adjektiv, dann meint er "eine Eigenschaft oder einen Zustand des Subjekts oder Objekts" ("die Kinder singen als fröhliche = die fröhlichen Kinder singen"); verwendet er hingegen das Adverb, dann meint er "die Art und Weise der Tätigkeit" ("die Kinder singen fröhlich")?
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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon Laptop » Mi 1. Okt 2014, 17:39

Ich sehe das ein wenig anders. Für meine Begriffe gibt es kein Prädikativum, es ist nur eine Chimäre der Grammatiker mit ihren Schubladen. Die Übersetzung mit “die fröhlichen Kinder sangen ...” funktioniert nur deshalb nicht, weil wir im Deutschen dann “fröhlichen” automatisch als dauerhaftes “die sind immer fröhlich” verstehen. Das ist eine eigenartige Polung des Deutschen, die im Lateinischen ungepolt ist. Dort ist der Attributszustand je nach Kontext frei deutbar, entweder auf die Dauer des Prädikats beschränkt oder dauerhaft (wie im Deutschen). Ist der Zustand auf die Dauer des Prädikats beschränkt wird regelmäßig so übersetzt als stünde dort ein Adverb. Man muß dabei sehen, daß jede dt. Übersetzung nur ein Notbehelf ist:

1) Die fröhlichen Kinder sagen => geht im Dt. nicht aus den oben genannten Gründen
2) Fröhlich waren die Kinder als sie sangen => setzt unverhältnismäßig viel Gewicht auf “fröhlich”, daher schief
3) Die Kinder sangen als fröhliche => sagt kein Mensch, solche Ausdrücke existieren nur in der Welt der Grammatiker
4) Die Kinder sangen fröhlich => paßt sinngemäß halbwegs, aber gibt den falschen Eindruck als stünde dort ein Adverb
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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon RM » Mi 1. Okt 2014, 19:48

Das Deutsche eignet sich in dieser Beziehung nicht gut für Vergleiche, weil ja nicht zwischen Adverb und Adjektiv unterschieden wird. Wenn ich z. B. sage "Die Kinder singen fröhlich." und "Die Kinder sind fröhlich." dann kommen wir schon ins Grübeln, ob "fröhlich" jetzt ein Adverb ist, anders als z. B. im Englischen.

Jetzt habe ich noch zwei Beispiele für Adverbien:
... si volumus hoc, quod datum est vitae, tranquille placideque traducere.
(Cic, Tusc, 3, 25)

qui maeret ferundum sibi id censeat, quod videat multos moderate et tranquille tulisse.
(Cic, Tusc, 3, 60)

Quapropter, ut aliquando terminetur oratio, si aut exstingui tranquille volumus cum in his artibus vixerimus, ...
(Cic, Hort, 17, 115)

Man kann also schon gelegentlich auch gemütsbeschreibende Adverbien verwenden. Besonders mit "ferre" kommt das öfters vor (aegre / laete / tranquille ferre).

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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon Tiberis » Mi 1. Okt 2014, 20:28

iurisconsultus hat geschrieben:Warum wird das Prädikativum definiert als "eine Ergänzung des Prädikats, die nicht die Art und Weise der Tätigkeit oder des Vorgangs bezeichnet, sondern eine Eigenschaft oder einen Zustand des Subjekts oder Objekts", und als Adjektive, "die einen geistigen oder leiblichen Zustand bezeichnen"


eine derartige definition ist nicht nur extrem umständlich, sondern auch missverständlich.
einfacher wäre: ein prädikativ bezeichnet den zustand des nomens (subjekt/ objekt) während der dauer der durch das prädikatsverb ausgedrückten handlung.
beispiele: Cicero consul coniurationem patefecit > als konsul deckte C. eine verschwörung auf.
(und nicht: der Konsul Cicero...)
d.h., als C. die verschwörung aufdeckte, war sein "zustand" der eines konsuls.
Lucius primus scholam reliquit > L. verließ als erster die schule.(= als L. die schule verließ, war er der erste)
pueri laeti in horto ludebant > die kinder spielten fröhlich im garten (= als die kinder im garten spielten, waren sie fröhlich)
in keinem dieser beispiele handelt es sich um eigenschaften (ein amt oder eine gemütsverfassung könnte auch gar keine eigenschaft sein!), sondern immer um einen - durch das prädikat zeitlich limitierten -zustand.
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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon Laptop » Mi 1. Okt 2014, 23:32

@RM Wenn man die lateinische Konstruktion vom Latein ausgehend betrachtet, dann gibt es keinen Grund von einem Prädikativum zu sprechen, weil ein Attribut im Lat. eben natürlicherweise auch von der Dauer des Prädikats begrenzt sein kann, also “die Kinder sind nur solange fröhlich wie sie singen”. Wir wundern uns doch nur, weil wir es im Deutschen / Englischen anders kennen. Oder hat ein römischer Grammatiker jemals von einem Prädikativum gesprochen bzw. sich über dieses Phänomen gewundert?
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Re: Prädikativum oder Adverbial?

Beitragvon RM » Mi 1. Okt 2014, 23:37

Finden Altphilologen es eigentlich logisch, dass sich die lateinische Grammatik je nach Zielsprache unterscheidet? :shock:

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