Metrik: o im Auslaut

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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Prudentius » Sa 18. Okt 2014, 08:11

Wir lernen doch in der lateinischen Metrik, dass o im Auslaut lang ist


Es ist also dieselbe Situation wie bei lac: wir meinen zu untersuchen, ob das -o lang ist, wir suchen sozusagen die platonische Idee von -o, das ewig gleichbleibende Wesen davon; in Wirklichkeit haben wir mehrere konkurrierende Listen von Belegen, und wir schieben diese hin und her; wir schätzen Plausibilität ab; es gibt lohnendere Aufgaben in der Philologie :-D .
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon ille ego qui » Sa 18. Okt 2014, 23:46

sehe ich falsch - für "lac" hatten wir doch eindeutigkeit herstellen können?
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » So 19. Okt 2014, 10:59

Wir haben Stellen, an denen dieses -o eindeutig lang ist, und andere, wo es ebenso eindeutig kurz ist. Gerade bei einem Gedicht haben also nicht wir eine "Idee" von der Länge oder Kürze der Silbe an dieser Stelle, sondern der Autor, und die kann man normalerweise nachvollziehen. Wörterbücher wie Georges mögen den Eindruck erwecken, dass diese Silbe immer lang sei, aber die Anfragen hier beweisen ja, dass man relativ leicht entdeckt, dass es nicht immer so ist.
Bei lac können wir bestenfalls derzeit eine Hypothese haben, die sich auf Hinweise stützt, Klarheit würde aber nur ein Beleg eines alten Römers schaffen, konkret ein Vers, in dem der Form lac ein Vokal folgt.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon ille ego qui » So 19. Okt 2014, 11:02

hatten wir nicht am Ende einen gefunden?
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » So 19. Okt 2014, 14:33

Cedo uersum!
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » So 19. Okt 2014, 14:36

Stimmt. Consus hat einen Vers aus der Anth.Pal. beigesteuert.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Laptop » Mi 22. Okt 2014, 01:53

Was zum Beispiel einhellig zu hören ist, ist, daß die Endung -o in der 1. Person Singular Präsens Aktiv lang ist. Aber auch dafür lese ich gerade einen Gegenhinweis (Hinweis, nicht Beweis!). Und zwar bei Scaliger, De caussis linguae Latinae:
CAP. XXIII. Mutatio per inflexionem. Vocales. Poteramus ſine flagitio, non exequi partem hanc ab inflexionibus: neque enim certa nititur ratione, & puri Grammatici intereſt. Sed nequid omitteremus, appoſuimus: non tam ut omnia complecteremur, quàm ut principia ipſa ſtatueremus. Igitur A, breue in longum mutatur, ut Rectus fert primæ declinationis, & ſextus caſus: è contrario longum in breue, PAR, PARIS. ⟨…⟩ O, breue in longum, PVLMO, PVLMONIS. O, breue in A, longum, AMO, AMAVI: in A, breue, DO, DARE: in E, productum, & correptum, LEGO, LEGERE, LEGERVNT: in I, productum, SCINDO, SCIDI:
in V, correptum, DOMO, DOMVI: in V, productum, SEQVOR, SEQVVTVS. ⟨…⟩

Er schreibt hier, daß die Verbalendung -o kurz sei. Und Scaliger war einer der gelehrtesten Latinisten der Renaissance, auf einer Ebene mit Erasmus. Wie kann das sein?
Zuletzt geändert von Laptop am Mi 22. Okt 2014, 08:10, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » Mi 22. Okt 2014, 07:07

Scaliger schreibt nicht, dass dieses O generell kurz wäre. Dagegen würde schon das lange do in Aen. XII 833 sprechen. Es geht darum, wie sich die Silbe vor diesem O ändern kann. Bei amo gibt es den Inf. amare mit langem, während dieses a bei dare kurz ist. Bei den Formen von legere ist offenbar gemeint, dass das e im Perfektstamm lang ist.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Laptop » Mi 22. Okt 2014, 08:07

Scaliger schreibt nicht, dass dieses O generell kurz wäre.

Guten Morgen Zythophilus! Ich verstehe Scaliger so, daß kurzes O in verschiedene andere Vokale “wechselt”. Also sinngemäß ...
... das kurze O in AMŎ wird zu einem langen A in AMĀVI
... das kurze O in DŎ wird zu einem kurzen A in DĂRE
... das kurze O in LEGŎ wird zu einem kurzen E in LEGĔRE, bzw. zu einem langen E in LEGĒRVNT
usw. usf.
Daraus schlußfolgere ich, daß er die gewöhnliche Verbalendung -o als kurz betrachtet. Oder meinst du ich habe das mißverstanden? Inwiefern? Freilich gibt es zahllose Verse, wo diese Endung lang ist. Es könnte immerhin sein, daß ein Dichter freie Hand hatte, was die Längung dieser Endung betrifft? Verse sind bisweilen ein Abschweifen von der Sprachnorm, und in diesen Fällen dann nicht tauglich um die Sprachnorm anzuzeigen.
Zuletzt geändert von Laptop am Mi 22. Okt 2014, 21:09, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » Mi 22. Okt 2014, 20:24

Wenn sich die Verse ansieht, kommt man darauf, dass die Schluss-Os zunächst mit wenigen Ausnahmen lang sind und im Lauf der Zeit die kurzen immer mehr werden. Eine reine Erfindung ist daher auszuschließen, noch dazu, wo auch griechische Verben und andere entsprechende Wörter auf ω enden.
Zur Martials mag die kurze Aussprache Standard geworden sein, aber als Dichter konnte er auf frühere Gegebenheiten zurückgreifen.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Laptop » Mi 22. Okt 2014, 22:41

@Zythophilus Mag ja alles sein, aber laß uns nochmal zurück zur Stelle bei Scaliger kommen und dem was Scaliger dort meint. Du sagtest Scaliger schreibe nicht, daß die Verbalendung -o allgemein kurz sei. Ich lese hingegen, daß er genau das meint, nämlich, daß diese Verbalendung allgemein kurz sei. Wo liegt das Mißverständnis?
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon RM » Mi 22. Okt 2014, 23:32

Scaliger scheint tatsächlich genau das zu meinen, nämlich dass die Verbalendung -o generell als kurz zu betrachten ist.

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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Laptop » Do 23. Okt 2014, 00:16

@RM Danke für deine Bestätigung! Schreibe dir übrigens gerade eine PM (wg. eines anderen Themas).

Bei Fragen nach Vokalquantitäten, die kein finales Urteil zulassen, ist es vielleicht wissenschaftlicher, mehrere sich widersprechende Quellen zu sammeln und diese nebeneinander gleichberechtigt im Raum stehen zu lassen. Ich sage nicht, daß Scaliger recht hat. Ich sage er ist eine Stimme. Genausogut sammle ich auch gerne Stimmen von Grammatikern, die das Gegenteil behaupten. Jeder einzelne Grammatiker mag für sich recht haben, wenn er sich nur auf eine bestimmte Epoche bezieht. Leider schreiben Grammatiker selten explizit dazu, welche Epoche sie meinen.

Außerdem: wenn eine Vokalquantität sich mit der Zeit ändert, dann tut sie das nicht über Nacht. Da liegen Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte dazwischen, in denen der Vokal ambivalent war. Man könnte diese Ambivalenz, bei denen die Sprachteilnehmer den Vokal lang oder kurz aussprechen konnten, wie es ihnen dünkte, analog zum genus commune, eine quantitas communis nennen. Wenn zu Zeiten des Martial die Verbalendung -o schon kurz war, dann war sie vielleicht 100 Jahre lang davor ambivalent, und genau das ist die Zeit, die wir Klassik nennen ... Daher kommen bei mir Zweifel auf, ob in klassischer Zeit die Verbalendung -o nicht eher ambivalent, anstatt lang war. Nun gibt es zweifellos die vielen Belege in der klass. Dichtung für langes -o. Könnte das daher rühren, daß sich eine lange offene Endsilbe wie -o für den Versbau ganz besonders gut eignet und deshalb so oft gewählt wurde, obwohl der Dichter auch anders hätte wählen können?
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » Do 23. Okt 2014, 06:39

Es ist gut möglich, dass die Endung -o zur Zeit eines Vergil in der Aussprache schon kurz sein konnte. Damals dürfte es ein ugs. Phänomen gewesen, das man in der gehobenen Sprache zumeist mied, obschon es schon vorher z.B. bei Catull wohl durch Jambenkürzung in homo als kurze Silbe verwendet werden konnte - er hat dieses Wort freilich auch mit eindeutig langer Endsilbe.
Dass ein ugs. Phänomen im Laufe der Zeit seinen Weg in die Hochsprache findet, ist nichts so Ungewöhnliches.
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