Metrik: o im Auslaut

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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » Di 14. Okt 2014, 20:55

Zumindest bei Lauinium bzw. Lauinia war es nicht schwer, anhand der Aeneis-Stellen zu erkennen, dass die erste Silbe lang oder kurz sein kann. Warum findet das weder im Georges noch Stowasser seinen Niederschlag? Hielten die Autoren es für irrelevant? Immerhin ergibt sich keine falsche Betonung, wenn man die Alternativvariante nicht findet, und etwaige Poeten, falls solche auch bedacht wurden, sollten ohnedies ihren Vergil vor sich haben.
Was das kurze o von homo betrifft, so finde ich es in den Werken des Horaz nirgends. Die von dir zitierte Stelle, o ille, ist die einzige, wo die zweite Silbe von homo tatsächlich auch metrisch zählt - und da als lange Silbe. An den weiteren sechs Stellen fällt sie durch Elision weg.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon RM » Di 14. Okt 2014, 22:36

Zythophilus hat geschrieben:Zumindest bei Lauinium bzw. Lauinia war es nicht schwer, anhand der Aeneis-Stellen zu erkennen, dass die erste Silbe lang oder kurz sein kann. Warum findet das weder im Georges noch Stowasser seinen Niederschlag?

Tja, wahrscheinlich hat Georges es von Kirsch (http://www.uni-mannheim.de/mateo/camenaref/kirsch/kirsch1/p1/jpg/s0816.html) und Stowasser es von Georges abgeschrieben. :wink:

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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » Mi 15. Okt 2014, 07:07

Im konkreten Fall mag die Präsenz des zweiten Aeneis-Verses, in dem das a von Lauinia bekanntlich lang ist, so stark gewesen sein, dass man die weiteren Stellen gar nicht mehr berücksichtigte.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon ille ego qui » Mi 15. Okt 2014, 12:13

Zythophilus hat geschrieben:Was das kurze o von homo betrifft, so finde ich es in den Werken des Horaz nirgends. Die von dir zitierte Stelle, o ille, ist die einzige, wo die zweite Silbe von homo tatsächlich auch metrisch zählt - und da als lange Silbe. An den weiteren sechs Stellen fällt sie durch Elision weg.


die Horaz-Stelle sollte auch umgekehrt als Beleg dienen, dass das -o in homo lang sein kann (und primär lang ist). "homo" mit (sekundär) kurzem o findet man natürlich auch leicht:

C. Valerius Catullus, carmina
poem 115, verse 8

omnia magna haec sunt, tamen ipsest maximus ultro,
non homo, sed vero mentula magna minax.
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » Mi 15. Okt 2014, 13:50

Beim Schluss-o ist es, soweit ich das durchschaue, die Regel, dass es in den Wörterbüchern generell als lang angegeben wird, auch wenn es in klassischer Zeit nur selten, später häufiger gekürzt werden kann. Offenbar vertrauten die Herausgeber, dass das denen, die die Wörterbücher benützten, bekannt sei. Bei einem Prosatext lässt es sich ohnedies nicht entscheiden, und bei einem dichterischen Werk wird es ohnehin deutlich, ob eine Silbe lang oder kurz ist. Ich könnte mir vorstellen, dass sich ein Joseph Maria Stowasser über diesbezügliche Verwirrungen gewundert hätte.
Wenn im Stowasser nicht immer alle Varianten angegeben werden - Vaticanus mit lang gemessenem i verschweigt er uns -, dann mag eine Beschränkung auf einen Kanon von in der Schule gelesenen Werken der Grund sein. Martials Gedichte scheinen nicht dazu gehört zu haben.
Wenn freilich im Georges diese Möglichkeit für Vaticanus sehr wohl angeführt wird, aber bei Lauinia der entsprechende Hinweis fehlt, dann kann ich mir das auch nur als Ungenauigkeit erklären.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Laptop » Mi 15. Okt 2014, 14:17

Man braucht im Druck ein Mischzeichen, Brevis über Macron, als Symbol für “kurz od. lang”, was im Letterkasten offenbar nicht zur Verfügung stand? Dann bräuchte man noch ein kleines diakritisches Fragezeichen für “unbekannte Quantität” ...
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon ille ego qui » Mi 15. Okt 2014, 14:47

und dann noch zeichen für eine gewisse wahrscheinlichkeit bezüglich einer bestimmten quantität ... ;)
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon RM » Mi 15. Okt 2014, 18:40

Ihr glaubt nicht wirklich, dass jeder Wörterbuchschreiber die Sünden seiner Vorgänger korrigiert hat? Nein, die haben weitgehend voneinander abgeschrieben, vielleicht ein paar Stellenangaben hinzugefügt oder weggelassen, aber dass mehrere Wörterbüchern verschiedener Autoren sich so sehr ähneln (ich sage nur Klotz und Georges), ist kein Zufall.

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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » Mi 15. Okt 2014, 22:49

Hier kommen mehrere Dinge zusammen:
Lauinia kann ein langes oder kurzes a in der ersten Silbe haben, aber die Wörterbücher stellen es so dar, als käme es nur mit langem a vor. Hier wird wohl die Vermutung, dass eine wie auch immer entstandene Ungenauigkeit tradiert wurde, zutreffen. Auch andere Fehler können vorkommen. In einer früheren Stowasser-Ausgabe fehlte auf dem u des als eigenen Stichwortes angeführten Adverbs ubertim der Längenstrich.
Vaticanus mit langem i kommt vermutlich in den von den versch. Auflagen des Stowassers berücksichtigen Werken nicht vor; einige Vokabel aus Martial hat er gar nicht. Darin scheint mir der Verzicht begründet zu sein, der zudem noch Platz sparte.
Das Schluss-o, das nur mit dem Längenzeichen dargestellt wird, ist nicht auf einen Fehler zurückzuführen. Leute wie Klotz, Georges und Stowasser waren sicher versiert genug um zu wissen, dass es sehr wohl Belege für kurzes o gab. Sie setzen dies wohl einerseits für die Verwender ihrer Lexika auch voraus, andererseits wäre es mühsam gewesen, diese Selbstverständlichkeit bei jedem der unzähligen betroffenen Lemmata eigens zu erwähnen.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon RM » Mi 15. Okt 2014, 23:25

Mein Vorschlag: Schauen wir uns doch etwas im Kirsch um, denn er bezeichnet Längen und Kürzen bereits - auch dort homo ohne Kennzeichnung auf dem o im Auslaut (http://www.uni-mannheim.de/mateo/camenaref/kirsch/kirsch1/p1/jpg/s0683.html). Das gab es zwar in Gesner's Thesaurus - in äußerst sparsamer Weise - auch schon, aber Kirsch war beim Auszeichnen der Quantitäten sehr fleißig. Vielleicht findet jemand ja wichtige Unterschiede zwischen Kirsch, Georges und Klotz. Ich bin gespannt.

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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » Do 16. Okt 2014, 17:20

Kirsch verwendet generell für die letzte Silbe kein Längen- oder Kürzenzeichen. Er scheint diese hauptsächlich dann zu verwenden, wenn sie für die Betonung des Wortes relevant sind. Ich bin zufällig auf Dione http://www.uni-mannheim.de/mateo/camena ... s0455.html gestoßen. Das e ist als greich. eta sicher lang, aber nicht so gekennzeichnet.
Nicht einmal beim Adverb modo, dass sich eben durch das kurze o vom Abl. von modus unterscheidet, gibt Kirsch das an, während er die Kürze des ersten o vermerkt.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » Do 16. Okt 2014, 18:18

Bei Lauinia kennt Kirsch ebenfalls nur die Version mit der langen ersten Silbe, bei Vaticanus wird die Möglichkeit des langen i nicht erwähnt.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon RM » Do 16. Okt 2014, 18:59

Zythophilus hat geschrieben:Kirsch verwendet generell für die letzte Silbe kein Längen- oder Kürzenzeichen.

Gründe? Und Georges scheint in seinen Ergänzungen einigermaßen sparsam gewesen zu sein - cornu ist gekennzeichnet, manches andere nicht.

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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Zythophilus » Do 16. Okt 2014, 21:34

Da Kirsch auch dort, wo eine Schlusssilbe eindeutig lang oder kurz ist (also auch Adverbien der O/A-Dekl.), verwendet, ist es klar, dass er das absichtlich tut. Ich vermute den Grund dafür darin, dass die letzte Silbe eben für die Betonung des Wortes unerheblich ist. Eine Erklärung des Autors selber scheint es nicht zu geben.
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Re: Metrik: o im Auslaut

Beitragvon Laptop » Fr 17. Okt 2014, 00:06

Ich werfe – wie ihr wißt :-) – gerne zuerst einmal einen Blick auf die Renaissance. In der Renaissance ist einer der frühesten mir bekannten Grammatiker, der sich mit Längen und Kürzen auseinandersetzt und auch im Druck mit Macron und Brevis kennzeichnet Manuzio, dessen Frühgrammatik Institutiones Grammaticae erstmals 1493 erschien. Manuzio schreibt:

Octauo, O finita & corripi & produci poſſunt, vt Amo, ſcribo, amando, virgo, Cato. Sic hic modus quinque habet exceptiones. ¶ Quarum prima eſt, Datiui, & ablatiui in o, producuntur. vt huic & ab hoc Dominō, Templō. ¶ Secunda, Monoſyllaba in o, producuntur, Stō, Dō. ¶ Tertia, Græca in ω magnum producuntur, Didō, Mantō, Iō, Echō. præter Egŏ à græco ἐγώ, quod nuſquam memini legere productum apud approbatos, ſed vbique aut correptum, vt īlli ĕgŏ qui quondam. aut per ſynalœphan, vt Stultus ego huic noſtræ ſimilem. Nam Ouidii illud in epiſtolis, legendum ſic eſt, Sed quid ego hæc reuoco, dictis his omen abeſto. Item apud Propertium illud, Thuſcus ego, à Thuſcis orior. Et apud eundem, Cum tibi nec frater, nec ſit tibi filius vllus, Frater ego, & tibi ſim filius vnus ego. Sic item & illud, Sed quid ego hæc, feſſóſque optatis demoror vndis? Quòd ſi in iis ipſis exemplis non fiat colliſio, defenditur magis vno ex modis communium ſyllabarum, quàm quod producatur o, licet Probus produci poſſe dicat ſecundum naturam o literæ vocalis quæ in vltimo frequentius producitur, quàm corripitur. ¶ Quarta, Duŏ & ſciŏ cum compoſitis corripiuntur. Vergil. Prætereā dŭŏ nec tuta mihi valle reperti Caprioli. Idem. Sī dŭŏ præterea taleis Idea tuliſſet Terra viros. Idem, Nūnc ſcĭŏ quid ſit amor. Idem, Nēſcĭŏ quis teneros oculus mihi fascinat agnos. ¶ Quinta, Illicŏ, modŏ, citŏ corripiuntur. Serò autem, quando, ergo, profecto, indifferenter poni inueniuntur. Stathius, Sērŏ mĕmor thalami. Mart. Dic mihi cras iſtud Poſthume qūandŏ {recte: quāndŏ} vĕnit. Idem, dic bene, dic neutrum, Dic aliquāndŏ măle.

Hier widerspricht Manuzio Crusius, indem er sagt, daß o im Auslaut gemeiniglich (unter Abzug der Ausnahmen) nicht lang zu sein hat.
Zuletzt geändert von Laptop am Sa 18. Okt 2014, 12:18, insgesamt 1-mal geändert.
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