analytisches vs. konstruierendes übersetzen

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analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon ille ego qui » Sa 18. Okt 2014, 22:40

salvete
was ist der Unterschied? Habe mehrere didaktische Aufsätze gelesen, die eine (allgemein bekannte?!) Differenz vorauszusetzen scheinen, aber nirgends mit der gewünschten Klarheit benennen. Weiß jemand Rat? Er wird namentlich in meiner mündlichen Prüfung Erwähnung finden :-///
;)
valete

p.s. Bitte ggf. verschieben! Danke.
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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon RM » So 19. Okt 2014, 12:34

Salve!

Meinst Du nicht vielleicht "konstruktives Übersetzen"?
Eine Antwort müsstest Du doch in den zahlreichen Werken zur Übersetzungstheorie finden.
Falls Du dort nicht fündig wirst, solltest Du mal ein Background screening der Verfasser dieser Artikel machen. Vielleicht tun sie nur so, als wüssten sie, wovon sie schreiben.
Schau mal z.B. hier hinein:
http://www.fask.uni-mainz.de/user/kupsch/strategien.html
http://www.fask.uni-mainz.de/user/kupsch/kupsch.html
Da gibt's jede Menge Literatur, wenn auch schon 15 Jahre alt, aber die altphilologische Didaktik reagiert ja eh immer ein bisschen spät auf moderne Forschungen ... :wink:
Auch hier findest Du einiges:
https://de.wikipedia.org/wiki/Translatologie
http://wiki.infowiss.net/%C3%9Cbersetzungswissenschaft

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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon ille ego qui » So 19. Okt 2014, 13:27

Danke dir. leider werde ich diese Recherchen wohl aus Zeitmangel auf die Zeit nach dem Examen verschieben müssen.
Ich habe mal an Kipf gemailt, der einen der Aufsätze geschrieben hat.
konstruieren meint das sich-durchfragen vom Prädikat aus.
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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon RM » So 19. Okt 2014, 14:45

Du kannst Kipf mal von mir einen schönen Gruß bestellen. Inzwischen sehen wir uns ja leider praktisch nur auf DAV-Kongressen ...
Und was ist Deiner oder seiner Meinung nach analytisches Übersetzen?

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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon Laptop » So 19. Okt 2014, 18:53

Geht es nicht vielmehr um das Textverständnis? Wenn man unterschiedliche Vorgehensweisen zum Begreifen des Textsinnes als “analytisch” bzw. “konstruierend” bezeichnet, halte ich das für unpassend (siehe mein Beitrag weiter unten). _Übersetzen_ jedenfalls kann ich nicht “analytisch” bzw. “synthetisch”, sondern nur bspw.:
- schnell o. langsam
- wörtlich o. frei
- altertümlich o. modern
- richtig o. falsch (gemessen an der deutschen Sprachnorm)
- richtig o. falsch (gemessen am intendierten Textsinn)
...
Letztlich erfaßt jeder den Textsinn durch Wiedererkennung bekannter Wortformen, wenn man bestimmte Wortformen nicht kennt, kann man sie aus dem Kontext erahnen oder erraten. Ab einer gewissen Anzahl unbekannter Wortformen hilft keine Methode mehr.
Zuletzt geändert von Laptop am So 19. Okt 2014, 19:08, insgesamt 4-mal geändert.
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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon Prudentius » So 19. Okt 2014, 18:54

Die Sache ist einfacher, analysis und synthesis, l. constructio, sind Gegensätze, die sich ergänzen; das Ganze, das Eine. auf der einen Seite, das Einzelne und Viele auf der anderen, das sind Grundbegriffe bei Platon, ihr werdet ja von diesem Übervater der altphilologischen Zunft wissen, der in überirdischen Höhen als Geist über der vergänglichen Welt schwebt, gelegentlich allerdings konkret greifbar wird, wie jetzt gerade hier; Platon untersucht das Zusammenspiel dieser Gegensätze; ihre Übergänge sind diese beiden:
- der Übergang vom Ganzen und Einen zum Einzelnen und vielen heißt analysis, und
- der Übergang vom Einzelnen zum Ganzen heißt synthesis.

Das kann man jetzt auf den Übersetzungsvorgang anwenden; beim Vorlesen bekommen wir den Satz als Einheit vorgesetzt, und wir nehmen ihn auseinander, zerlegen ihn in seine konstituierenden Bestandteile, Subjekt usw., wir machen eine Satzanalyse, das ist ja auch eine Abituraufgabe.

Umgekehrt kann man in der Schulstube, wenn es beim Übersetzen hakt, den Lehrer sagen hören: "Du musst konstruieren!", damit ist gemeint, du musst die beziehungslosen Wörter zu einem Beziehungssystem zusammenbringen: Synthese.

Richtig bedacht, sind ja die beiden Vorgänge untrennbar: man kann nur analysieren, wenn man schon konstruiert hat; und man kann nur konstruieren, wenn man schon analysiert hat. Das nennt man den "hermeneutischen Zirkel", und darüber kann man tiefsinnige Gedanken anstellen.


Also von diesem Kipf habe ich noch nichts gehört, aber vllt. ist er der Erfinder des Kipferls :? , was in Österreich etwas Essbares ist :-D ;

lgr. P. :)
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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon Laptop » So 19. Okt 2014, 18:59

@Prudentius Ich schlage vor, wir gehen die Sache etwas logischer an! Wer nimmt einen Satz als Einheit war? Wie du schon gesagt hast, wir haben lauter Einzelteile (Buchstaben, Wörter, Sätze), die wir in einen sinnvollen Zusammenhang bringen müssen. Analytisch wird es doch nur dann, wenn ich einen Gedanken formulieren muß, d. h. in Wörter (also Einzelteile) zerteilt aufschreibe oder sage. Jede Form des Lesens ist per se synthetisch, da Zeichen in einen Sinn bzw. Gedanken umgewandelt werden. Und jede Form des Formulierens per se analytisch, da ein Gedanke bzw. Sinn in Zeichen umgewandelt wird.
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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon RM » So 19. Okt 2014, 19:10

Prudentius hat geschrieben:Also von diesem Kipf habe ich noch nichts gehört, ...

Mannomann, si tacuisses ... :hammer:
Er war sogar schon DAV-Bundesvorsitzender, bis Herr Zimmermann das übernommen hat. Bist Du nicht im DAV?

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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon Zythophilus » So 19. Okt 2014, 19:22

"Kipf" kommt von lat. cippus. http://www.duden.de/rechtschreibung/Kipf
Die Verkleinerungsform "Kipferl" ist in Österreich sehr präsent.
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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon marcus03 » So 19. Okt 2014, 19:35

Zythophilus hat geschrieben:Die Verkleinerungsform "Kipferl" ist in Österreich sehr präsent.


Bei uns in Bayern ebensfalls:
http://www.schwarzer-kipferl.de/
(Bratwürstl, Sauerkraut und CERVISIAM bitte dazudenken ! ;-) )

Tipp:
HISTORISCHE WURSTKUCHL in Ratisbona. :)
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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon Zythophilus » So 19. Okt 2014, 20:27

Res non est eadem. Lunaris forma farinae est
atque in pane leuis dulcor inesse solet.
Fama refert Turcas superatos ire coactos
inuectosque homines Marte silente in eos.
E molli lunas laetos finxisse farina,
et risisse nouo Turcica signa cibo.

http://www.wien-vienna.at/blickpimages/kipf32.jpg
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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon marcus03 » So 19. Okt 2014, 20:41

Zythophilus hat geschrieben:Res non est eadem


Eo plus Ratisbonam petere necesse est ad nostrum opus pistorium gustandum et comparandum cum Austriaco. :)
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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon Prudentius » Di 21. Okt 2014, 15:23

Wer nimmt einen Satz als Einheit wahr? Wie du schon gesagt hast, wir haben lauter Einzelteile (Buchstaben, Wörter, Sätze), die wir in einen sinnvollen Zusammenhang bringen müssen.


Hallo Laptop,

du überspringst einen Schritt, den analytischen! "Wer nimmt einen Satz als Einheit wahr?": der Schüler, der einen l. Satz liest und übersetzen soll. Er nimmt das typographische Signal des Schlusspunktes wahr, schaut zurück zu dem vorigen Schlusspunkt, und schließt: diese unbekannte Wortreihe muss ein Satz sein; es ist weiter nichts als blindes Vertrauen, dass es das ist; anders funktioniert Sprache nicht.
"wir haben lauter Einzelteile ..., die wir in einen sinnvollen Zusammenhang bringen müssen". Das können wir gar nicht, wir müssen erst einmal die einzelnen Wörter klären, bevor wir ihren Zusammenhang aufspüren können; Bsp. "castra", erst einmal nachschlagen, was das heißt (oder sich erinnern); dann kommt "Nominativ oder Akk., es kommt also als Subjekt oder Objekt in Frage", weiter kommt man zunächst nicht; und so muss man alle Wörter durchmachen.
Es ist also eine Vorsortierung der Einzelwörter nötig (um es pauschal auszudrücken); diesen Vorgang nennt man Analyse, in diesem Sinn.

Ich stelle mal den Übersetzungsvorgang in dieser schematischen Weise dar (ich verwende einfach den hegelschen Dreischritt, wenn euch das was sagt):

1. These: "Diese unverständliche Wortreihe soll angeblich einen Satz darstellen",

2. Antithese: "Jedes dieser einzelnen Wörter hat eine ganz bestimmte Bedeutung",

3. Synthese: "Diese Wörter fügen sich durch grammatische Bindungen zu einem Sinnganzen, Satz, zusammen".

Man kann sagen, irgendwie führt die Synthese zum Anfang, der These, zurück: in beiden ist von der Einheit der Wörter die Rede; aber bei 1. ist es noch eine unverstandene, bei 3. eine durchschaute Einheit.
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Re: analytisches vs. konstruierendes übersetzen

Beitragvon Laptop » Do 23. Okt 2014, 17:40

Hallo Prudentius. Lesen kommt von “Auflesen”, man sammelt auf, was bspw. verstreut am Boden liegt. In jedem Fall bringt man mehrere Einzelstücke zusammen in eine Tasche. Dieses Bild veranschaulicht den synthetischen Charakter. Zweifellos muß, wer einen Satz nicht versteht, erst die ein oder andere Form nachschlagen, aber das ist kein Analysieren im eigentlichen Sinne, da man einen Satz nicht als Einheit wahrnimmt. Dafür sorgen schon die Leerzeichen. Wenn man “analysieren” im Sinne von “herumdoktern” gebraucht, dann paßt es allerdings. :-)
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