Fremdsprachendidaktik.

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Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Laptop » Mo 8. Dez 2014, 14:12

Nochmal zum Thema Lernen. Ich bin gerade über folgenden Absatz von V. F. Birkenbihl gestolpert:

Dialoge werden bei der Birkenbihl-Methode wortwörtlich in die Muttersprache übersetzt. „Sir, open the door please!“ heißt dann also „Herr, öffnen die Tür bitte!“ und nicht wie im Deutschen grammatikalisch richtig: „Herr, öffnen Sie bitte die Tür!“ Dadurch gewöhnt sich das Gehirn unterbewusst an den sprachwissenschaftlichen Aufbau der Fremdsprache.


Was sagt die Fremdsprachen-Didaktik zu dieser Methode? Wird Birkenbihl anerkannt, oder eher ignoriert?

Es gibt auch eine DVD Lateinisch: http://www.birkenbihl-sprachen.com/coll ... einsteiger
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Prudentius » Mo 8. Dez 2014, 21:12

„Herr, öffnen die Tür bitte!“


Das ist falsch übersetzt, denn open ist hier Imperativ; spricht nicht sehr für die Methode.
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Christophorus » Mo 8. Dez 2014, 21:20

Prudentius hat geschrieben:
„Herr, öffnen die Tür bitte!“


Das ist falsch übersetzt, denn open ist hier Imperativ; spricht nicht sehr für die Methode.



naja, öffnen kann ja sehr wohl der Imperativ der höflichen Anrede Sie sein, das Pronomen wird dann eben weggelassen, weil es im Englischen nicht steht .... :nixweiss:
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Zythophilus » Mo 8. Dez 2014, 22:17

Englische Formen sind aufgrund fehlender Endungen so wenig eindeutig, dass das Beispiel nicht erkennen lässt, ob man nach Birkenbihls Methode tatsächlich die Formen analysiert und wörtlich ohne Rücksicht auf die Zielsprache übersetzt oder lediglich die Bedeutung der Wörter hintereinander aufschreibt und sich so den Sinn zusammenreimt. Letzteres ist etwas, das so manche probieren, ohne sich auf Birkenbihl zu berufen :lol:
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Laptop » Di 9. Dez 2014, 09:08

Das ist richtig beobachtet. Sie macht keine genaue Wortform-Übersetzung, sondern, naja, nennen wir es eine “ungenaue Grundform-Übersetzung”. Darüber kann man diskutieren. Man kann es als Nachteil darstellen. Ich sehe es als Vorzug. Denn das was der Schüler am Latein fürchtet, ist ja das Sich Verlieren in Details, bspw. Angaben wie Zweite Person Singular Aktiv Konjunktiv Perfekt. Solche Details sind irrelevant für den, der noch nicht einmal die Vokabeln kennt. Und hier setzt Birkenbihl Prioritäten. Kurz gesagt, wenn man zuviele Details angibt, wie Quantitäten, Kasus, Numerus, Genus, Person, Modus, Diathese, Tempus, usw., dann überfrachtet das die Wahrnehmnung des Lesers. Das Lesetempo ist dann entziffernd, und nicht fließend.
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Zythophilus » Di 9. Dez 2014, 16:09

Die Methode, sich die Bedeutung der Wörter zusammenzusuchen und dann ohne Rücksicht auf die Grammatik einen halbwegs deutsch klingenden Satz daraus zu basteln, haben Generationen von Schülern schon vor Birkenbihl erfunden; und sie tun es heute noch, ohne von seiner Methode gehört zu haben.
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon marcus03 » Di 9. Dez 2014, 16:24

Zythophilus hat geschrieben:und sie tun es heute noch, ohne von seiner Methode gehört zu haben.


Und wundern und beklagen sich - in den meisten Fällen - dann über ihre schlechte Noten. ;-)
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Prudentius » Di 9. Dez 2014, 19:38

Denn das was der Schüler am Latein fürchtet, ist ja das Sich Verlieren in Details, bspw. Angaben wie Zweite Person Singular Aktiv Konjunktiv Perfekt. Solche Details sind irrelevant für den, der noch nicht einmal die Vokabeln kennt.


Hallo Laptop,

das kommt mir praxisfern vor, wir arbeiten ganz anders, wir haben eine ganz einfache Linie bei der Aufdröselung des Wortwirrwarrs beim unbekannten Satz; wir suchen erst das "schlagende Herz" des Satzes, an der finiten Verbform meist deutlich erkennbar, und vom Numerus des Prädikats aus greifen wir nach dem Subjekt im gleichen Numerus und im Nominativ, und dann haben wir schon halb gewonnen; was du da alles aufzählst, das machen wir gar nicht; aber natürlich, wenn wir Konj. Imperf. haben, muss dem Schüler z.B. das Irreale dazu einfallen.

"Was der Schüler fürchtet" - das ist eine Frage; eine andere: "was für den Satz wichtig ist", und darauf kommt es an.

"Solche Details sind irrelevant für den, der noch nicht einmal die Vokabeln kennt": dann ist er auch noch nicht imstande, einen Satz zu übersetzen.

"nennen wir es eine “ungenaue Grundform-Übersetzung”", das ist gar keine Übersetzung; mach doch mal einen Test, nimm 5 unkoordinierte Wörter und baue sie unterschiedlich zu Sätzen zusammen, es kommen irrsinnige Varianten heraus.
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Christophorus » Di 9. Dez 2014, 20:01

Zythophilus hat geschrieben:haben Generationen von Schülern schon vor Birkenbihl erfunden; und sie tun es heute noch, ohne von seiner Methode gehört zu haben.


es handelt sich bei V.F. Birkenbihl um eine Frau mit dem schönen lateinischen Namen Vera :wink:
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Zythophilus » Di 9. Dez 2014, 20:36

Die Methode stammt ursprünglich von den Brüdern Weiß, die im späten 19. Jh. sich weigerten, die Grammatik zu lernen. Die drei hießen Norbert, Isidor und Xaver, weshalb die Methode auch als Weiß-N.I.X.-Methode bekannt ist.
Im Ernst: Bei English mag es noch eine gewisse Möglichkeit geben, auch etwas komplexere Sachverhalte so aufzuschlüsseln, in einem lateinischen Satz, der vielleicht noch einen Gliedsatz bei sich hat, kommt man normalerweise nicht weit, wenn Dinge wie die Fälle bzw. Person und Zahl, Modus und Genus sowie Tempus von Verben einfach weggelassen werden.
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon marcus03 » Di 9. Dez 2014, 21:24

Zythophilus hat geschrieben:Die Methode stammt ursprünglich von den Brüdern Weiß, die im späten 19. Jh. sich weigerten, die Grammatik zu lernen. Die drei hießen Norbert, Isidor und Xaver, weshalb die Methode auch als Weiß-N.I.X.-Methode bekannt ist.

:lol: :lol: :lol:

Köstlich. Fehlt nur noch das passende Distichon dazu, o poeta praeclarissime "periocosissimeque."

PS:
Die Brüder könnten auch ...-M.I.X. heißen: M = marcus03 (wenn ich mich mir dir/euch Forum-Koryphäe/n) vergleiche. :hail: ) ;-)
Ohne Witz: In meiner Ahnenreihe taucht der Name "Weiß" wirklich auf. Leider gibt es dort nur "Weiße", aber keine echten Weisen. Daher vermutlich der viele Unsinn, den ich hier oft verzapfe. Si tacuissem, fortasse ex quodam ALBO "sapientulus" factus esset.
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Zythophilus » Di 9. Dez 2014, 22:02

Dem lateinischen Satz würde etwa Domine, rogo, ut portam aperiat. lauten. Mit "Herr - bitten - wie/dass - Türe - öffnen" kann man schon einige sinnvoll klingende, aber falsche Sätze bauen.
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Laptop » Mi 10. Dez 2014, 14:26

"Was der Schüler fürchtet" - das ist eine Frage; eine andere: "was für den Satz wichtig ist", und darauf kommt es an.
Prudentius, mit diesem Satz hast vielleicht unbeabsicht etwas interessantes gesagt: Der Schüler steht nicht im Mittelpunkt, auf ihn kommt es nicht an, sondern auf den Satz kommt es an! Ich halte das für bedenklich i. S. v. “denkwürdig” :-o

Natürlich gab es vor Birkenbihl schon wörtliche Übersetzungen, aber die Methode Birkenbihl geht darüber hinaus. Sie sagt bspw. “bei mir ist Vokabellernen verboten!”.
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon ille ego qui » Mi 10. Dez 2014, 15:17

die konstruiermethode, wie sie heute praktiziert wird, die den satz nie in seiner natürlichen abfolge wahrnimmt, ist natürlich höchst fragwürdig. dass man so eine sprache nie wirklich lernen kann, ist evident (und die "erfolge" des lateinunterrichts zeigen es).
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Re: Fremdsprachendidaktik.

Beitragvon Laptop » Mi 10. Dez 2014, 15:30

Folgendes Szenario. Man gibt einer English-Schulklasse zu verstehen, daß ...
- ... sie künftig den Klassenunterricht ohne Lehrer unter sich halten sollen.
- ... ihre Anwesenheit weiterhin überprüft wird, damit niemand schwänzt.
- ... sie weiterhin Klassenarbeiten schreiben werden, und diese auch geprüft werden.
Nehmen wir an es spielen sich darauf hin einer oder mehrere Klassenbeste als Lehrer auf und leiten diesen “Unterricht”. Was käme dabei raus, würde ich gerne mal wissen! Wie erschreckend wäre es, wenn dabei herauskäme, daß der Unterricht Prinzipien der Birkenbihl-Methode annehmen würde, und, daß der Notendurchschnitt verbessert würde. Grundüberlegung ist die Frage, wie traditionslos gelernt würde, analytisch (Stichwort: “wo ist das Prädikat?") oder aber pragmatisch (Stichwort: Birkenbihl-Methode). Und mit “traditionslos” meine ich den Gegensatz zu sozial erworbenem “programmierten” Verhalten.
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