Plinius 10,96 f. (Gerundium oder Gerundivum)

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Plinius 10,96 f. (Gerundium oder Gerundivum)

Beitragvon Penthesilea » Fr 24. Apr 2015, 23:30

Salvete!

Könnt Ihr mir weiterhelfen? Ich bin nicht ganz sicher, ob ich die Angaben im Menge und im Rubenbauer richtig verstanden habe. Es geht um den Unterschied zwischen Gerundivum auf der einen Seite und Gerundium mit Akkusativobjekt auf der anderen Seite, und zwar konkret anhand dieser zwei verkürzten Sätze aus Plinius Superstitio (10,96f.):

1. (Affirmabant) quibus peractis, morem sibi discendendi fuisse rursusque coeundi ad capiendum cibum, promiscuum tamen et innoxium. (Sie behaupteten, dass es für sie den Brauch des Weggehens gab und des wieder Zusammenkommens, um Essen zu fassen, das gewöhnlich und harmlos war).

2. Ideo dilata cognitione ad consulendum te decucurri. (Daher habe ich, nadem die Verhandlung verschoben worden war, dich aufgesucht, um dich zu befragen)

Meine Frage ist vor allem folgende: Gehe ich richtig davon aus, dass wir es hier in beiden Fällen (ad capiendum cibum sowie ad consulendum te) mit einem Gerundivum zu tun haben (und NICHT mit einem Gerundium + Akkusativobjekt)?
Also gemäss Menge: "Das Gerundivum muss stehen: (1) nach Präpositionen."

Etwas verwirrend finde ich dann diesen Satz aus den Acta martyrum Scilitanorum:
3. Saturninus: "Num quid ad deliberandum spatium vultis?"
Das schien mir zunächst auch ein Gerundium zu sein (mit spatium als Akkusativobjekt zu vultis). Oder ist das jetzt auch ein Fall von Gerundivum wegen der Präposition ad, wie bei den zwei oberen Beispielen? Mir mutet eine Konstruktion von volo ad seltsam an.
Vielen Dank im Voraus. Herzliche Grüsse!
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Re: Plinius 10,96 f. (Gerundium oder Gerundivum)

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 25. Apr 2015, 09:11

Salve Penthesilea,
In deinen genannten Fällen muß Gerundivum stehen. Siehe Menge § 516 (1) [hast du schon angesprochen].
Dein Beispiel ad consulendum te ist hier auf Seite 218 aufgelistet:
http://tinyurl.com/ohle6k8
Vale.
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Re: Plinius 10,96 f. (Gerundium oder Gerundivum)

Beitragvon Zythophilus » Sa 25. Apr 2015, 09:38

In den ersten beiden Fällen ist theoretisch auch Gerundium mit Akk.Obj. möglich, das hier nicht anders aussehen würde, praktisch ist allerdings Gerundiv üblich.
Im dritten Fall braucht sich nur einmal die Bedeutung ansehen, um zu erkennen, dass es ein Gerundium sein muss: "Zeit zum Überlegen" oder "zu überlegende Zeit"?
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Re: Plinius 10,96 f. (Gerundium oder Gerundivum)

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 25. Apr 2015, 10:18

Das dritte Beispiel habe ich übersehen. Aber Zythophilus hat ja schon geantwortet.
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Re: Plinius 10,96 f. (Gerundium oder Gerundivum)

Beitragvon Penthesilea » Sa 25. Apr 2015, 12:55

Ganz herzlichen Dank, Zythophile und Medice.

Dann lag ich also richtig; die ersten zwei sind Gerundiva (nach Menge eigentlich ja eindeutig wegen der Präposition und weil wir kein Akkusativobjekt haben, das ein Pronomen im Neutrum ist). Und das dritte Beispiel ist ein Gerundium, auch wenn wir die Präposition ad haben, weil das mit velle und vom Kontext her keinen Sinn ergäbe, es als Gerundivum aufzufassen. Vielen Dank für Eure tolle Hilfe (und den Link zum Artikel über Plinius' Gerundium- und Gerundivkonstruktionen).
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Re: Plinius 10,96 f. (Gerundium oder Gerundivum)

Beitragvon Prudentius » So 26. Apr 2015, 09:56

das dritte Beispiel ist ein Gerundium, auch wenn wir die Präposition ad haben, weil das mit velle und vom Kontext her keinen Sinn ergäbe, es als Gerundivum aufzufassen.


Grammatikerklärung mit Konzessiv- und irrealem Kausalsatz - sehr schön! :-o Geht es nicht etwas einfacher?

Man muss diese -nd-Konstruktionen als Satzteile verstehen, ihr seht sie zu isoliert, achtet bloß auf die Präposition; es geht um spatium: von der Formenlehre her mehrdeutig, Nom. oder Akk., wir müssen zur Syntax übergehen, den Satz konstruieren: welche Satzteile kommen in Frage: Subjekt, Objekt, präpositionale Wendung mit ad; welche Wortblöcke gehören zusammen: ad deliberandum spatium oder spatium vultis? Beides ist möglich, aber vultis erfordert ein Objekt: "wollt ihr Zeit...?", damit ist die Sache klar.
Also: die Satzanalyse ist vorrangig, erst müssen die tragenden Satzteile bestimmt werden, als nächstes können wir die -nd-Konstruktion abgrenzen und einordnen.

Gehe ich richtig davon aus, dass wir es hier ... mit einem Gerundivum zu tun haben (und NICHT mit einem Gerundium + Akkusativobjekt)?


Die Großschreibung des NICHT ist falsch, es kann auch Gerundium sein, aber eher nicht; der ganze Fall ist ja für die L-D-Übersetzung uninteressant, nur umgekehrt ist es zu beachten; man sollte auch wissen, warum, und sich nicht nur auf die Grammatik stützen: ad oppidum condendum kann beides sein, aber ad urbem condendum wäre für den Römer ein horror: das sieht aus wie eine vermurkste G-Kongruenz.

Ich denke mir, man könnte dieses ganze Kapitel durchsichtiger gestalten, wenn man von dem Ratespiel Gerundi(v)um wegkäme und die beiden Satzbindungen Kasusrektion und Kongruenz in den Mittelpunkt stellen würde: also

urbe condenda - Kongruenz, passiv, und

urbem condendo - Kasusrektion (Objekt), aktiv.
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