Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

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Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon Laptop » So 31. Mai 2015, 14:47

Salvete! Wo kann ich Vokalquantitäten bei unklass. Wörtern nachschlagen wie konkret am Beispiel pimpinella? Kirsch ist zwar eine Macht was den Wörterumfang betrifft, aber was Vokalquantitäten betrifft ist er bei mir unten durchgefallen, weil einfach zu fehlerhaft, bzw. ich verstehe sein System nicht.

Ich habe mal ein bißchen herumgeklickt:

SCHELLER: führt pimpinella nicht.
FORCELLINI: führt pimpinella nicht.
CALEPINUS: führt pimpinella nicht.
STEPHANUS: führt es! sogar mit Vokalquantitäten, vorausgesetzt, daß er ungekennzeichnete Vokale auch alle kurz haben will(?) Das wäre noch zu klären. Stephanus scheint damit als mögliche Grundlage in Frage zu kommen. Aber ist Stephanus wirklich vertrauenswürdig was die Vokalquantitäten betrifft?

Nachtrag: Hm, wie ich gerade sehe gilt Stephanus als vorbildlicher Tausendsassa: Verleger, Drucker, Autor, Typograph, Verkäufer, und das alles mit hervorragender Qualität. Naja, dann hoffe ich mal, daß die Vokalquantitäten auch fundiert sind.
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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon Zythophilus » So 31. Mai 2015, 15:51

Da man ab einer gewissen Zeit die Quantitäten nicht mehr beachtete und lediglich die betonten Silben berücksichtigte, gibt es für spät- oder gar mittellateinische Wörter oft keine verlässlichen Quantitäten.
Das gesuchte Wort sollte ursprünglich pipinella oder pipinnella heißen, je nachdem, von welchem Wort man es herleitet (piper über das Adj. piperinus oder von bipennis). In beiden Fällen ist im Ausgangswort die erste Silbe kurz. Plausibler scheint mir die Ableitung von piper, und da würde ich auch die zweite Silbe als kurz werten, aber die Frage stellte sich einem ma. Sprecher nicht. Sollte das Wort in einem metrischen Text vorkommen, dann war es dem Gutdünken des Autors überlassen, wie er die nicht eruierbaren Quantitäten festlegte.
http://en.wiktionary.org/wiki/pimpernel
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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon Laptop » So 31. Mai 2015, 15:59

Zythophilus. Ein Großteil der Sprecher im MA beachtete die Quantitäten nicht mehr, richtig. Aber gab es nicht weiterhin zu jedem Wort eine maßgebliche korrekte Aussprache? Und gab es nicht weiterhin, durch das MA hinweg, eine geringe intellektuelle Schicht, die die Quantitäten beachtete? Das verstehe ich nicht an deiner Aussage. Denn es klingt so, als ob es richtig und falsch in Bezug auf Quantitäten im MA nicht mehr gab.

Ja, auch Stephanus gibt alle Vokale bei pimpinella als kurz an. Ich übernehme das jetzt so.
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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon Laptop » So 31. Mai 2015, 16:09

Wer sich für Stephanus interessiert, hier eine Kurzreferenz von mir:

Robert Estienne (1499/1503–1559). Zu seiner Person siehe: http://www.richardwolf.de/latein/stephanu.htm
Sein Hauptwerk wurde 1531 in Paris erstveröffentlicht, es hatte den Titel «DICTIONARIVM, ſeu Latinæ linguæ Theſaurus, ...» und ist hier einsehbar https://books.google.de/books?id=8Z9NAAAAcAAJ
Eine besonders sorgfältige Neuauflage gab es 1740 unter dem Titel «Roberti Stephani lexicographorum principis thesaurus linguæ latinæ : in IV. tomos divisus». Diese Edition ist hier einsehbar:
Band 1, Lemmata A–C: https://archive.org/stream/robertisteph ... 7/mode/2up
Band 2, Lemmata D–K: https://archive.org/stream/robertisteph ... 5/mode/2up
Band 3, Lemmata L–P: https://archive.org/stream/robertisteph ... 5/mode/2up
Band 4, Lemmata Q–Z: https://archive.org/stream/robertisteph ... 5/mode/2up
Zuletzt geändert von Laptop am Mo 1. Jun 2015, 01:32, insgesamt 4-mal geändert.
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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon RM » So 31. Mai 2015, 16:24

Es gab ja im Mittelalter nicht einmal ein einheitliches lateinisches Vokabular. Einige Wörter wurden hemmungslos aus den jeweiligen Regionalsprachen latinisiert und verwendet. Ich nehme an, dass es mit der Aussprache ähnlich lief - ist ja zumeist auch heute noch so.

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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon Zythophilus » So 31. Mai 2015, 17:00

Was sind bei einem aus einem nicht-lateinischen Wort gebildeten Wort die richtigen Quantitäten? RM spricht von ganz richtig von latinisierten romanischen Wörtern: Wie geht man hier vor?
Der gebildete Mensch weiß um die antiken Quantitäten, sodass es durchaus korrekte Metrik gibt, aber auch hier beweisen die häufigen Fehler, dass es offenbar im lateinischen Alltag keine Rolle spielte. Die betonte Silbe ist wichtig, da geht es normalerweise um die noch durch die die Paenultima- bzw. Antepaenultimaregel festgelegte Silbe.
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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon Laptop » So 31. Mai 2015, 19:33

Verstehe nicht ganz, Ihr wißt doch selbst, daß Metrik nicht die einzige Möglichkeit ist Quantitäten zu erschließen? Bis auf Ausnahmen wie regionale Dialekte, sieht eine Sprachnorm für jedes Wort nur eine korrekte Ausssprache vor und zwar ganz unabhängig von Zeitalter, ob Klassik oder MA. Das hat damit nichts zu tun.

Es gab ja im Mittelalter nicht einmal ein einheitliches lateinisches Vokabular.

An welchen Maßstäben möchtest du diese Aussage festmachen? Sie ist so wenig greifbar, daß sie weder verifizierbar noch falsifizierbar ist.
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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon RM » So 31. Mai 2015, 19:58

Laptop hat geschrieben:An welchen Maßstäben möchtest du diese Aussage festmachen? Sie ist so wenig greifbar, daß sie weder verifizierbar noch falsifizierbar ist.

Ich habe z. B. mal eine Urkunde aus dem 13. Jhdt. gesehen, in denen das Verb "walcare" vorkam, abgeleitet vom deutschen Wort "walken" (für Wolle). Für solche Wortschöpfungen gibt es viele Beispiele. Das ist das, was ich meine.

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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon RM » So 31. Mai 2015, 20:00

Laptop hat geschrieben:Bis auf Ausnahmen wie regionale Dialekte, sieht eine Sprachnorm für jedes Wort nur eine korrekte Ausssprache vo

Das stimmt so nicht, weder für das Lateinische noch für moderne Sprachen.

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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon Laptop » So 31. Mai 2015, 20:58

RM hat geschrieben:
Laptop hat geschrieben:Bis auf Ausnahmen wie regionale Dialekte, sieht eine Sprachnorm für jedes Wort nur eine korrekte Ausssprache vo

Das stimmt so nicht, weder für das Lateinische noch für moderne Sprachen.


Gut, dann nenne mir bitte alternative Aussprachen für auch nur eines der Wörter in deinem Satz:
- das
- stimmt
- so
- nicht
- weder
- für
- lateinisch
- noch
- modern
- Sprache
Das einzige was mir da einfällt wäre eine sehr ugs. und nach der Sprachnorm falsche Aussprache von "das" als "des". Wie du siehst, ist alles schön genormt.
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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon Zythophilus » So 31. Mai 2015, 21:51

Das Mittellateinische ist keine einheitliche Sprache. Klassisch gut gebildete Menschen orientierten sich am klassischen Latein und beherrschten das auch, wenngleich natürlich die K-Aussprache nicht vorkam (bis auf den Sonderfall Irland). Weniger Gebildete verwendeten ein Latein, das nicht viel mehr als ihre romanische Sprache im lateinischen Gewande war, und dessen Aussprache war auch stark von der Muttersprache geprägt. Zeitlich und regional gibt es große Unterschiede.
Wenn Betonungsregeln wie die Paenultima- und Antepaenultimaregel gelten, ist die Variation, welche Silbe betont wird, natürlich nicht sehr groß, aber gerade bei Muta cum Liquida kann es verschiedene Möglichkeiten geben: ténebrae neben tenébrae z.B.
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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon RM » So 31. Mai 2015, 22:01

@Laptop: Du siehst als "korrekte Aussprache wahrscheinlich die an, die von den Nachrichtensprechern verwendet wird bzw. das Bühnendeutsch. Kann man natürlich machen. Aber sogar hier gibt es leichte Unterschiede. So werden z. B. Adjektive auf -ig entweder als "-ich" oder als "-ig" ausgesprochen, Motorrad wird entweder Mótorrad oder Motórrad betont.

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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon Zythophilus » So 31. Mai 2015, 22:16

Mir wäre Motorboot eingefallen - nicht zuletzt wegen dieses, künstlerisch nicht sehr anspruchsvollen Liedes, das beide Betonungen verwendet: https://www.youtube.com/watch?v=OlWFTkqLyNU
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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon Laptop » Mo 1. Jun 2015, 00:26

Richtig, Motorboot, Motorrad. Aber wir sind uns einig, daß diese Varianzen höchstens 0,1% des Wortschatzes ausmachen. Man darf den Blick fürs Ganze nicht verlieren, und da ist der Wortschatz ziemlich gut genormt in seiner Aussprache. Wenn bspw. der Amerikaner heute das Lateinische mit amerikanischem Akzent spricht, ist das dennoch nicht nach der heute gültigen lat. Sprachnorm, unabhängig von der Anzahl der Sprecher. Die Amerikaner sprechen vieles falsch aus und wissen das auch, aber sie können es eben nicht besser.
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Re: Zuverlässige Vokalquantitäten nachklass. Wörter?

Beitragvon Zythophilus » Mo 1. Jun 2015, 15:28

Für moderne standardisierte Hochsprachen, über deren Reinhaltung Institute wachen, gibt es vermutlich nicht sehr viele Wörter, wo mehrere Aussprachevarianten möglich sind, noch dazu wenn du regionale Varianten ausschließen willst. Wenn ich freilich deutsches, schweizerisches und österreichisches Standarddeutsch nebeneinanderstelle, ohne einer dieser Varianten, die ja keine Dialekte sind, den Vorzug zu geben, dann ist die Variationsbreite schon größer: "Spaß oder Spass"? Bei der unterschiedlichen Betonung "Káffee" und "Kaffée" dürfte allerdings der Umstand die Hauptrolle spielen, dass es sich trotz gleicher Ausgangsprodukte um unterschiedliche Dinge handelt :lol:
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