Vokal als Silbe?

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Vokal als Silbe?

Beitragvon Laptop » Sa 21. Nov 2015, 19:03

Salvete. Ich lese gerade Melanchthons Grammatik, und dabei ist mir folgende Stelle merkwürdig erschienen

Syllaba, eſt comprehenſio literarum quæ uno eodemq́; ſpiritu ac tono efferũtur: ut, Pes, Crus, Frons, Stirps, &c. Dicta à Græco uerbo συλλαβεῖν, quod comprehendere ſignificat. Nam unica uocalis, cũ ſyllabam facit καταχρηστικῶς, hoc nomine appellatur, ut placet Grammaticis. (Priſ.lib.2. Abuſiuè etiam ſingularũ uocaliũ ſonos, ſyllabas nominamus.)


Melanchthon sagt, ein Vokal macht noch keine Silbe. Wie darf ich das verstehen? Ich dachte es sei Allgemeinwissen, daß es Silben mit nur einem Vokal gibt?
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Re: Vokal als Silbe?

Beitragvon Tiberis » Sa 21. Nov 2015, 19:35

Melanchthon geht hier eben von der bedeutung des wortes "syllaba" aus (= das "zusammen-nehmen" mehrerer buchstaben bzw. laute), die ja ausschließt, dass eine silbe nur aus einem einzigen laut/ buchstaben besteht.
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Re: Vokal als Silbe?

Beitragvon RM » Sa 21. Nov 2015, 19:41

Tja, da irrt sich Melanchton dann wohl, es gibt genügend Beispiele, wo man nicht anders kann, als einzelnen Vokalen den Silbenstatus zuzuerkennen.

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Re: Vokal als Silbe?

Beitragvon Laptop » Sa 21. Nov 2015, 20:41

Danke für die Bestätigung RM, ich hatte schon an mir gezweifelt.
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Re: Vokal als Silbe?

Beitragvon Prudentius » Mo 23. Nov 2015, 09:13

Laptop hat geschrieben:... ich hatte schon an mir gezweifelt.


Sei beruhigt, Laptop :) , aber man sollte unterscheiden, ob man eine Worterklärung für "Silbe" geben will oder ob man den Begriff "Silbe" definieren will; die Worterklärung mithilfe der Etymologie ist ja in Ordnung, aber als Definition ist sie unvollständig; die Verbalhandlung "Zusammenfassen" bekommt zwar ihren Ausgangspunkt, die Laute, aber sie bekommt keine Zielrichtung; es ist ja nicht so, dass jede Lautzusammenfassung eine Silbe wäre; die Zielrichtung muss sein, dass diese Zusammenfassung einen Wortbestandteil ergeben muss. Als "Wortbestandteil" kommt natürlich auch ein Einzelvokal in Betracht, wie z,B. "A - bend".

Beim Satz gibt es einen Stufenaufbau: "Laut/Buchstabe - Silbe - Wort - Satz"; die "Silbe" erklären muss also heißen, ihre Zwischenstellung zwischen Laut/Buchstabe und Wort erklären; so stelle ich es mir jedenfalls vor.
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Re: Vokal als Silbe?

Beitragvon ille ego qui » Mo 23. Nov 2015, 15:08

vielleicht doch am rande bemerkenswert, dass die deutsche orthographie, jedenfalls nach duden, hier im bereich der schreib(!)silbe durchaus beschränkungen kennt:

http://www.duden.de/sprachwissen/rechts ... rttrennung

Regel 164
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ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
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Re: Vokal als Silbe?

Beitragvon Laptop » Mo 23. Nov 2015, 19:14

Salve Prudentius. Ja. Das reiht sich ein in die Reihe der halbgaren archaischen Definitionen, die einen großen Teil der Fälle abdecken, aber viele eben auch nicht. Wie bspw. "Ein Nomen bedeutet eine Sache, keine Handlung" oder "das Objekt ist das was behandelt wird, nicht der Handelnde", oder man denke an die Definitionen zur Transitivität, zu anderen Wortarten, zu Satzteilen, etc. Überall strafen eine Heerschar von Ausnahmen die Regel Lügen. Ich habe da eine etwas entgegengesetzte Auffassung zu der der Grammatiker und Logiker. Ich sehe es so, daß Sprache mit seiner fuzzy logic wie ein Schwarm Fische ist, von denen etliche durch das paradigmatische Fischernetz grammatikalischer Regeln und Definitionen hindurchhuscht. Das ist kein bug, sondern ein feature. Die starren Gitternetze der Logik sind nur unzureichende Versuche etwas in Schubladen zu stecken, dessen Stärke es ist eben nicht in Schubladen zu passen.
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Re: Vokal als Silbe?

Beitragvon Prudentius » Mi 25. Nov 2015, 11:08

Hallo Laptop,

""Ein Nomen bedeutet eine Sache, keine Handlung", solche Regeln muss man wohl pädagogisch bewerten, erste Versuche, den ABC-Schützen beim Lernen auf die Beine zu verhelfen: "Dingwörter", "Tunwörter", unterscheiden lernen.

"Ich habe da eine etwas entgegengesetzte Auffassung zu der der Grammatiker und Logiker", da sind wir uns ja einig, fuzzy Logic, das Labyrinthische, Chaotische, die Flugbahn des Schmetterlings, nicht die mathematische Kurve bestimmen das Leben. Ich habe da eine Harmonie-Vorstellung, beides ist berechtigt und beschränkt in seinem Rahmen. Die Logik lässt sich in den fuzzy-Modus schalten :-D , und das starre Gitternetz lässt sich so in seinem Linienabstand skalieren, dass die feinsten Nuancen erfasst werden. Aber ja, die Logik ist an ihre Grenzen gestoßen, schon um 1900, man sprach von "Grundlagenkrise von Logik und Mathematik", Russell hat sie ja populär gemacht mit seiner "Paradoxie vom Barbier".

Ich würde dir anraten, beides in dialektischer Weise zu verbinden: du bist gegen "Schubladendenken", das ist berechtigt, aber nur die eine Seite; die andere ist die, dass wir uns ohne solche Schubladen überhaupt nicht verständigen könnten; Verständigung ist ein Kommunikationsvorgang, und Kommunikation hat ihre Gesetze; dazu gehört, dass man einen gemeinsamen Code haben muss (da sind wieder die Schubladen); die Codes der Teilnehmer müssen kompatibel sein, um Verständigung zu ermöglichen.

Du sagst, es geht viel verloren zwischen den Maschen des Gitters; sieh es umgekehrt: es wird viel gewonnen durch Ermöglichung von Austausch mithilfe von Denkschematismen!

lgr. P. :)
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