ambivalente Adjektive.

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Re: ambivalente Adjektive.

Beitragvon Willimox » Mi 24. Aug 2016, 09:30

Vier Anmerkungen:

a) Unser "deutsches" Suffix -os wechselt manchmal mit -ös: (leprös - lepros, dubiös (selten) - dubios, nebulös - nebulos)

b) Das dürfte mit der ( zeitlich gestaffelten. Lat, dann Frz Übernahme und Weiterentwicklung) Doppelherkunft zu tun haben:
- lat. - osus, -iosus: famosus - famos
- frz. -eux, euse: amoureux, amoureuse - amourös.

c) Die Bedeutung des Suffixes ist nicht besonders "voll", sondern eher karg, am ehesten so etwas wie "reich an, versehen mit, beruhend auf". Daraus lässt sich vielleicht die manchmal auftauchende - nicht im Deutschen scheint mir - "Ambivalenz" zwischen Agens und Patiens - invidiosus: neidisch, missgünstig vs verhasst - erklären.

d) Im deutschen Lexikoninventar scheint vor allem das (fremdsprachliche, nichtnative) Substantiv/Adjektiv und nicht das Verb der erste Bestandteil einer Komposition zu sein, dementsprechend lässt sich kaum eine Kombination von Agens und Patiens feststellen, insofern diese (ambivalente Komposition) ein transitives Verb oder jedenfalls einen Prozesscharakter mit fokussierbarer Auswirkung präferiert.

Hier etwa in dieser Liste hat das stammbildende Substantiv/Adjektiv (wie das Suffix) nichtnativen Charakter:

dubios (dubium - dubius, dubiosus - zu Zweifeln anregend, bezweifelbar), rigoros, grandios

bravourös, desaströs, ruinös, schiknös, pompös, graziös, infektiös, muskulös, kapriziös, mysteriös, sententiös, minutiös
____________________________________________________________________________________________
Ein "typisch deutsches" Basiswort lässt ich - so habe ich die Frage von Zythophilus verstanden - wohl kaum finden. Das Ableitungssystem ist im Bildungswortschatz aktiv/produktiv.

:book:
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Re: ambivalente Adjektive.

Beitragvon publiovidius » Mi 24. Aug 2016, 10:20

Vielen Dank für die Antwort. Wieder was dazugelernt. :klatsch:
Lg, publiovidius

[i]"(...)die klassischen Philologen, die als einzige (neben den Theologen) noch eine wirklich internationale Gelehrtensprache haben, <sollten> sich sehr bedenken, diesen Schatz, zu dessen Hütern und Wahrern sie berufen sind, zerrinnen zu lassen."[/i]
Andreas Thierfelder, 1953 in H. Menge: Repetitorium der lateinischen Syntax und Stilistik
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Re: ambivalente Adjektive.

Beitragvon Sokrates » Mi 24. Aug 2016, 18:21

Salvete,

kurzer Nachtrag: das zur Bildung denominativer Adjektive dienende Suffix -ōsus bezeichnet nach Kühner/Holzweißig S. 1000 ein Fülle, nach LHS I, § 305, S. 341 haben sie die Bedeutung"reich an, versehen mit".
Während KH an die altlat. Orthographie verweisen ( -ōsus < onsus, Capitolin. Fresken formonsus), bietet Leumann auch die Bedeutung einer Überzeichnung einer negativen Eigenschaft wie in bellicosus (so auch KH gloriosus, ruhmreich und ruhmredig). Darüber hinaus sei die historische Orthographie neben -osso- (§ 182 a) auch -onso- gewesen (§ 152f). Wörert wie onerosus seien poetischen Niveaus.
Als Herleitung werden u.a. diskutiert die Entlehnung von gr. -όεις < οϝεντς, -ώδης mit funktionaler Berührung, owṇttos jedoch hätte -uēnsus geben müssen, feminin -ōssa (!) aus gr. -οῦσσα dor. -ῶσσα. Weiter auch aus -ώδης denkbar cf. εὐώδης, od-to/ ods-os (abgelautet odos, odoris und o-Erweiterung), Possessivkompositum (Duft habend) vinum osus (Wein duftend) vinosus als Muster.

Im Deutschen dann aus einer Stufe des Franz., wie Willimox ganz richtig sagt, aber vielleicht liegt der Unterschied famos gegen amourös in der Eingliederung als Fremdwort oder aber Erbwort zugrunde.
Dass sich dieses Suffix dann bildungssprachlich großer Beliebtheit erfreute (infektiös), ist natürlich sekundär, aber Zythophilus' Verwunderung über fehlende deutsche Bildung liegen mithin weniger an der Karriere des Suffix selbst begründet als eher darin, dass es ja immer schon Lehnübersetzungen gab laboriosus-mühevoll, ingeniöses geistvoll). Ich bin mir dabei aber ziemlich unsicher... :nixweiss:

LG, Sokrates
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Re: ambivalente Adjektive.

Beitragvon publiovidius » Mi 24. Aug 2016, 21:24

Vielen Dank auch dir, Sokrates, für deine sachkundige Antwort. Sollte die Herleitung aus -ώδης richtig sein, wäre Prudentius' Erklärung ja gar nicht so verkehrt gewesen. :)
Lg, publiovidius

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