Martial 3,32

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Re: Martial 3,32

Beitragvon Zythophilus » So 11. Mär 2018, 15:39

In der Publikation der besagten Inschrift aus Dalmatien stehen die beiden ii zwischen Spitzklammern. Das macht der Bearbeiter so, wenn er eine - zumindest für ihn offensichtliche - Verschreibung korrigiert. Es ist also das, was bei der Ausgabe eines handschriftlich überlieferten Textes auch passiert, dort aber als Konjektur im Apparat angegeben wird.
Die Zeichen sind leider nicht gleich, wenn es um diese beiden Arten von Überlieferung geht. Zwischen eckigen Klammern finden sich bei der Ausgabe von Inschriften nicht mehr lesbare, aber ursprünglich vorhandene Buchstaben, die der Herausgeber ergänzt hat, während zwischen runden Klammern die fehlenden Buchstaben von Abkürzungen stehen.
Festgelegt wird so etwas im Leidener Klammersystem.
Zuletzt geändert von Zythophilus am So 11. Mär 2018, 16:12, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Martial 3,32

Beitragvon ille ego qui » So 11. Mär 2018, 16:01

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Re: Martial 3,32

Beitragvon Tiberis » So 11. Mär 2018, 19:46

marcus03 hat geschrieben:
In welchem Sinn? Dass er Frauen leicht rumkriegen konnte oder ein guter Lover war?


warum nicht? wie sollte man es sonst verstehen?
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Re: Martial 3,32

Beitragvon marcus03 » So 11. Mär 2018, 20:19

MIr kommt das ungewöhnlich vor, weil der Begriff wohl eher in Richtung "alter Hurenbock" o.ä. zu verstehen ist. Oder ist dem nicht so? :nixweiss:

http://latin.packhum.org/concordance?q=fututor

Bei Martial wird er einmal in einem Atemzug mit dem moechus genannt.
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Re: Martial 3,32

Beitragvon marcus03 » So 11. Mär 2018, 20:58

Stomachatus hat geschrieben:beabsichtigt gewesen.


gewesen sein. :)

PS:
Optatus, der erste wahre (,petrifizierte) Latin lover? ;-)
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Re: Martial 3,32

Beitragvon Tiberis » So 11. Mär 2018, 23:30

marcus03 hat geschrieben:MIr kommt das ungewöhnlich vor, weil der Begriff wohl eher in Richtung "alter Hurenbock" o.ä. zu verstehen ist

für fututor gibt es naturgemäß in jeder Sprache wohl mehrere Äquivalente. Wie auch immer, ich meine nur, dass das Wort im Kontext einer Grabinschrift vermutlich nicht (ausschließlich) negativ konnotiert intendiert war. Wie gesagt, das ist eine Vermutung.
Stomachatus hat geschrieben:Zwischen dem Namen + Berufsbezeichnung des Verstorbenen und dem F-Wort gibt es noch zu viele Worte dazwischen.

Normalerweise bildet tatsächlich das Kürzel H.S.E. den Abschluss zu den Informationen (Name,Alter, Herkunft, Funktion etc) über den Verstorbenen. Hier allerdings ist das fragliche Wort anschließend hinzugefügt, was aber gar nichts besagen muss. Auch ein Begriff wie FAVTOR wäre an dieser Stelle ebenso ungewöhnlich. Auf den Auftraggeber des Grabsteins bezieht sich das Wort FVTVTOR jedenfalls nicht.
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Re: Martial 3,32

Beitragvon ille ego qui » Mo 12. Mär 2018, 00:32

Die gängige Interpretation, soweit die Forschung mir via Google gerade zugänglich ist, scheint von einer Intimfreundschaft zwischen dem Begrabenen und dem Errichter des Grabmals auszugehen.
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Re: Martial 3,32

Beitragvon cometes » Mo 12. Mär 2018, 03:21

Die römische Antike bestimmt die Sexualpräferenz allerdings nicht so sehr durch das Geschlecht der Partner, sondern mehr durch die mit Aktivität bzw. Passivität assoziierten Praktiken, wobei der Akt der Penetration wiederum hinsichtlich der dafür gewählten Körperöffnungen auch sprachlich unterschieden wird. Ein fututor ist gewöhnlich jemand, der als Aktiver vaginal penetriert, im Unterschied etwa zum pedico/pedicator oder irrumator, die dafür Anus bzw. Mund nutzen. Während bei den Letzteren das Geschlecht des Sexualpartners unbestimmt bleibt, kommt beim fututor eigentlich nur eines in Betracht. Es müsste also auch geklärt werden, ob und warum fututor hier für die vermutete Intimbeziehung zwischen zwei Männern gebraucht wird.
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Re: Martial 3,32

Beitragvon ille ego qui » Mo 12. Mär 2018, 09:33

Letztlich werden wir hier, fürchte ich fast, nicht über Spekulationen hinauskommen - sowohl hinsichtlich der Textkritik als auch der womöglich ganz individuellen Hintergründe. Selbst dass in der "römischen" Welt auch bisweilen etwas "Unrömisches" vorkommen mag, werden wir nicht ausschließen können (vgl. Morgenstern: "... dass nicht sein kann, was nicht sein darf"). Wie sollten uns da wohl insgesamt der Apodiktik eher enthalten.
Übrigens scheint mir "fututor" gewissermaßen apo koinu zu stehen und wird vermutlich deswegen auch in verschiedenen Übersetzungen unterschiedlich bezogen.
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Re: Martial 3,32

Beitragvon cometes » Mo 12. Mär 2018, 21:43

Richard Selinger vertritt in Der fututor aus Carnuntum (Klio 88, 2006, S. 516-524) folgende Auffassung:

Der Ausdruck fututor ist dem Verstorbenen zuzuweisen, nicht dem Stifter des Grabmals. Für das Auftauchen von den Bestatteten charakterisierenden Attributen nach der Formel h.(i.)s.e. bringt der Autor Beispiele aus Spanien (http://edh-www.adw.uni-heidelberg.de/ed ... t/HD039704) und Carnuntum.

Die bisherige Annahme, hier werde etwas über die homosexuelle Beziehung zwischen Verstorbenem und Stifter mitgeteilt, scheint fragwürdig. Eine explizite Behauptung einer solchen "etwa in der Form eius fututor" liege nicht vor. Die Argumentation stützt sich dabei im Wesentlichen auf die oben angesprochene Bedeutung von fututor im Rahmen der römischen Konzeptualisierung der Sexualpräferenz, die ausführlich erörtert wird. Fazit:

Die Tätigkeit des fututor, das heißt eines Mannes, der die Vagina einer Frau penetriert, schließt daher eine sexuelle Beziehung zwischen Männern aus ...


Die positive Besetzung besagter Sexualpraktik ergibt sich aus dem Vorrang des Aktiven, d.h. des penetrierenden vir, in der römischen Sexualethik und spiegelt sich entsprechend in der Welt der Graffiti von Pompeji, aber auch der Garnisonsstadt wider. Die angeführten Beispiele enthalten Fremd- und Eigenlob, darunter das grammatisch nicht ganz sattelfeste des in Carnuntum stationierten G(aius) Valerius Venustus, der sich als fututulor naximum (in etwa Oberfickerlein) verewigt hat.

fututor erfüllt die typischen Eigenschaften eines Beinamens, der aus einer körperlichen, geistigen oder moralischen Eigenschaft sich entwickelt hat. Sexuelle Konnotation ist dabei keine Seltenheit und beschränkt sich keinesfalls auf bestimmte Milieus (die Annahme, dass aus dem Namen des Stifters sich zwingend eine Zugehörigkeit zum Stand der Sklaven bzw. Freigelassenen ableiten ließe, wird nebenbei verworfen):

Caesar galt als Aegisthus (d.h. Ehebrecher). Gordian war als Priamus (wegen seiner zahlreichen Kinder und Geliebten) oder weniger diskret als Priapus bekannt. Mamurra hatte mit dem Spotnamen Mentula und die schon genannte Clodia mit dem der Quadrantaria (Straßenhure) zu leben. Viele dieser Spitznamen sind oft ohne Wissen beziehungsweise gegen den Willen der Betroffenen entstanden. Dennoch entwickelten sich manche dieser - obszön anmutenden - Namen zu Eigennamen. Als Cognomen finden sich Synonyme wie Mutto oder Penis sogar auf Grabinschriften. (CIL V 1412, 8474; CIL VII 27237)


Aus dieser Perspektive lautet die Übersetzung der Grabinschrift somit:

Der Arzt Lucius Iulius Optatus, der Ficker, liegt hier (unten) begraben. Ich, Lucius Iulius Faustus, habe auf seine Kosten (dieses Grabmal) errichtet.
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Re: Martial 3,32

Beitragvon ille ego qui » Mo 12. Mär 2018, 23:56

Ein großes Danke an dich, Cometes, dafür, dass du dir die Mühe gemacht hast, dir diese sehr interessanten und für mich auch plausiblen Überlegungen nicht nur anzueignen, sondern uns auch in so sorgfältiger Form zu referieren! :)

Euge!!!
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Re: Martial 3,32

Beitragvon Tiberis » Di 13. Mär 2018, 00:03

cometes hat geschrieben:Der Arzt Lucius Iulius Optatus, der Ficker, liegt hier (unten) begraben. Ich, Lucius Iulius Faustus, habe auf seine Kosten (dieses Grabmal) errichtet.

auf seine Kosten? Das wäre immerhin ungewöhnlich, abgesehen davon, dass sich suo , korrekten Sprachgebrauch vorausgesetzt, auf den Iulius Faustus bezieht. Es steht nun zwar FECI, dennoch ist wohl FECIT intendiert.
Was den FVTVTOR betrifft, sehe ich mich durch die o.a. Ausführungen in meiner Annahme bestätigt. 8)
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Re: Martial 3,32

Beitragvon Zythophilus » Di 13. Mär 2018, 07:34

Ich werde Selinger fragen, wie er heute darüber denkt. Die Verschreibung, die zwei Fehler innerhalb eines Worts voraussetzt, schließt er jedenfalls aus, und meine Überlegung, der Stein wäre aufgrund des peinlichen Fehlers vielleicht gar nicht verwendet worden, erscheint ihm ebenfalls nicht plausibel, da er ja an einer Gräberstraße gefunden wurde. Auch ich halte das für nicht sehr wahrscheinlich, weil man einen Grabstein nach Entfernung der Inschrift wohl neu verwendet hätte. Auch in Bezug auf fautor meint er, dass Philologen bei Inschriften oft dazu tendieren, das Niveau der Inschriften zu negieren: Die fünf Belege für fautor ließen sich mit unserer Carnuntiner Inschriftt, mag es auch einen unbezweifelten fautor auch in Carnuntum geben, nicht so einfach vergleichen.
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Re: Martial 3,32

Beitragvon Zythophilus » Di 13. Mär 2018, 07:50

Der Fehler feci am Schluss der Inschrift ist jedenfalls leicht erklärbar. Es gab die Möglichkeit, dass sich der Stifter in der 1.P.Sg. verewigte wie auch in der 3.P. - letztere allerdings wesentlich häufiger. Die Wendung de suo ist formelhaft. Dass hier etwas durcheinandergeht, ist also gut vorstellbar, noch wahrscheinlicher kommt mir aber vor, dass der Steinmetz, der ohnedies kein Künstler war, den letzten Buchstaben vergaß. (Marcus03 würde hier sicher vermuten, dass ihn der verärgerte Auftraggeber erschlug, sodass das T nicht mehr eingemeißelt wurde.) Ein Beispiel für de suo fecit aus Carnuntum habe ich ohne lange Suche gefunden http://lupa.at/1786
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Re: Martial 3,32

Beitragvon marcus03 » Di 13. Mär 2018, 08:50

Zythophilus hat geschrieben: (Marcus03 würde hier sicher vermuten, dass ihn der verärgerte Auftraggeber erschlug,

Und zwar mit dem corpus delicti selbst. Er dürfte mit Totschlag im Affekt/berechtigten Zorn davongekommen sein. Sollte der Steinmetz ein Sklave gewesen sein, wäre es wohl nur Sachbeschädigung mit Todesfolge gewesen, die mit einer Geldbuße geahndet worden wäre, die auch in Naturalien (Marmor für den Firmeninhaber) beglichen werden konnte.
Fabula docet: Überlege gut, wen du wie in die Pfanne/Stein haust. ;-)
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