coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

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coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon Hermes07 » Mi 25. Apr 2018, 17:09

Hallo,

Hat jemand eine Idee, warum in dem folgenden Satz die coniugatio periphrastica sit profuturus verwendet wird?

Cicero, De officiis 1.57:
Cari sunt parentes, cari liberi, propinqui, familiares, se domnes omnium caritates patria una complexa est, pro qua quis bonus dubitet mortem oppetere, si ei sit profuturus?

Übersetzung von Gunermann (reclam):
Geliebt sind die Eltern, geliebt auch die Kinder, Verwandten und Vertrauten, aber alle Liebesbande zu allen umschlingt die eine Vaterstadt. Und welcher gutgesinnte Mann wollte zögern, in den Tod zu gehen, wenn er ihr damit nützen wird?

In konjunktivischen Nebensätzen tritt die coniugatio periphrastica mit Konj. Präs. in der Regel bei indirekten Frage und non dubito quin-Sätzen im Aktiv auf. Allerdings ist von dubitet nur die Infinitivkonstruktion mortem oppetere abhängig, während die coniugatio periphrastica sich im si-Satz befindet. Wir haben auch keinen Irrealis in der Abhängigkeit, der eine coniugatio periphrastica erklären würde.
Wird auch der si-Satz als indirekte Frage behandelt, weil quis ... in einen Relativsatz eingebettet ist? Im Rubenbauer und Hofmann/Szantyr bin ich noch nicht fündig geworden.

Freue mich auf Diskussion und Anregungen!
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon marcus03 » Mi 25. Apr 2018, 17:34

Modusangleichung an dubitet (statt proderit) ?
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon marcus03 » Mi 25. Apr 2018, 19:25

PS:
oder innerlich abhängig (Meinung des bonus/des todesmutigen Patrioten)
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon Hermes07 » Mi 25. Apr 2018, 19:43

Innerliche Abhängigkeit ist ein guter Hinweis. Das passt vielleicht zu Kühner § 214 b) si mit Konjunktiv Präsens: Hier wird die Stelle gelistet unter der Erklärung, dass "die Bedingung als etwas (gegenwärtig oder zukünftig) Ungewisses und Unentschiedenes, als blosse Annahme oder Vermutung hingestellt wird". (https://books.google.com/books?id=UPPVA ... 57&f=false)
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 25. Apr 2018, 19:57

Hier hast du Kühner (§ 214 b) komplett:
https://archive.org/stream/bub_gb_eY0PA ... 7/mode/2up
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon cometes » Do 26. Apr 2018, 00:37

Ich untersuchte zunächst den Tempusgebrauch in vergleichbaren Konditionalsatzgefügen. Die Protasis ist hier nämlich nachzeitig, der (mögliche) Eintritt einer künftigen Folge des Handelns wird als Bedingung dafür, sich zu diesem zu entschließen, angegeben. Sonst versteht man die Bedingung gewöhnlich als etwas, das eintreten muss, ehe sich die Folge einstellt, also als ihre vorzeitige Voraussetzung. Will sagen:

Wenn A, dann B. -> Wenn es (zunächst) regnet, (dann) ist (in Folge) die Straße nass.
A liegt zeitlich vor B.

vs.

Wenn (B dazu führt, dass) A, dann B. -> Wenn es dir (in Folge) hilft, unterschreibe ich (vorher) diesen Vertrag. Die künftigen Konsequenzen sind also Voraussetzung dafür, die Handlung zu setzen, die diese hervorbringen sollen. A liegt zeitlich nach B.

Es könnte sein, dass in so einem Fall vom Ersatz der coniugatio periphrastica zwecks Ausdruck der Nachzeitigkeit durch Konjunktiv Präsens (oder Imperfekt) auch außerhalb von quin- und indirekten Fragesätze abgegangen wird - MBS § 463 verzeichnet ja einige Ausnahmen (auch wenn sich diese nicht ausdrücklich darunter findet). Bei Kühner wird dieser Aspekt, finde ich, nicht recht deutlich.
Zuletzt geändert von cometes am Do 26. Apr 2018, 13:47, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon Medicus domesticus » Do 26. Apr 2018, 09:20

cometes hat geschrieben:Bei Kühner wird dieser Aspekt, finde ich, nicht recht deutlich.

Danke für diese Aufschlüsselung, cometes. Ich habe den Link gepostet, da der Link des Fragestellers den Text nicht darstellt. Vielleicht findet man noch eine genauere, schriftliche Darstellung. :book:
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon cometes » Do 26. Apr 2018, 13:34

Oder sie muss erst geschrieben werden. Eine vergleichbare Stelle ist m.E.

itaque hac usurum compensatione sapientem ut et voluptatem fugiat, si ea maiorem dolorem effectura sit ... (Cic.Tusc.5.95.7)


Auch hier liegt die Bedingung für die Entsagung von Lust, der durch sie bewirkte beträchtliche Schmerz, als mögliche Folge derselben zeitlich nach der Handlung der Apodosis.
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon marcus03 » Do 26. Apr 2018, 13:58

Hier liegt aber eine indir. Rede vor, die den Konj. im si-Satz auslöst.
Also ein anderer Sachverhalt, oder? :?
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon cometes » Do 26. Apr 2018, 14:02

Der Konjunktiv an sich ist ja nicht das Thema, sondern warum da eine coniugatio periphrastica und nicht einfacher Konj. Präsens steht. An den besagten Zeitverhältnissen ändert sich dadurch nichts.
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon cometes » Do 26. Apr 2018, 14:28

Ein Beispiel für die nachzeitige Protasis im Realis:

cedam vita, quae quamquam sollicita est, tamen si profutura est rei publicae, spe posteritatis me consolatur, qua sublata non dubitanter occidam; ((Pseudo-)Cic.EpOct.2.5)


Bedingung dafür, jetzt Trost zu finden bei dem Gedanken an die Zukunft, ist der mögliche künftige Nutzen eines spannungsreichen und unruhigen Lebens, das sein Ende zu finden droht, für den Staat.
Es ist wohl diese Leistung der coniugatio periphrastica, die Nachzeitigkeit unmissverständlich auszudrücken, auf die in den genannten Stellen nicht verzichtet werden soll.
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon Prudentius » Do 26. Apr 2018, 19:27

Konjunktiv ist es, weil es ein konditionales Gefüge in Abhängigkeit von einem Verbum putandi (dubitare) ist, also indirekte Rede, und die periphr. steht, weil es nachzeitig ist; es ist ja eine Absicht: den Tod auf sich nehmen, um dem Vaterland zu nützen; aber genau besehen, ist nur die Verwirklichung der Absicht nachzeitig, die Absicht an sich ist gleichzeitig; deshalb also Präsens, sit.

In konjunktivischen Nebensätzen tritt die coniugatio periphrastica mit Konj. Präs. in der Regel bei indirekten Frage und non dubito quin-Sätzen im Aktiv auf.


Die Grammatikregel ist hier nicht relevant, weil der NS. ja nicht konjunktivisch, sondern indikativisch ist; im Kj. steht er nur, weil er in die Abhängigkeit gerückt wurde.

Allerdings ist von dubitet nur die Infinitivkonstruktion mortem oppetere abhängig, während die coniugatio periphrastica sich im si-Satz befindet.


Das stimmt nicht, denn von dubitet hängt das gesamte konditionale Gefüge ab. Konditionalsätze gibt es nur im Zweierpack, denn Bedingung ist etwas nur in Beziehung zu einer Folge; ebenso ist es bei Kausalsätzen und anderen.

Wird auch der si-Satz als indirekte Frage behandelt, weil quis ... in einen Relativsatz eingebettet ist?


Er wird nur als Frage behandelt, wenn er auch eine Frage ist ;-) .

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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon cometes » Do 26. Apr 2018, 20:01

Das Konditionalsatzgefüge hängt nicht von dubitet (das hier im Übrigen zögern, zaudern heißt) ab, der gesamte Fragesatz ist die Apodosis, mortem oppetere auch kein AcI (das ergäbe einen anderen, zweifelhaften Sinn). Bei dem Konjunktiv handelt es sich schlichtweg um einen Potentialis. Die Besonderheit besteht hier, wie dargelegt, lediglich darin, dass die Protasis nachzeitig aufzufassen ist. Das macht die coniugatio periphrastica deutlich.
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon Tiberis » Fr 27. Apr 2018, 00:26

Prudentius hat geschrieben:in Abhängigkeit von einem Verbum putandi (dubitare) ist

seit wann ist dubitare (zögern) ein Verbum putandi ???
und von einer indirekten Rede ist hier weit und breit auch nichts zu sehen.
Im übrigen bin ich ganz der Ansicht von Cometes: es handelt sich um nichts anderes als einen Potentialis (dubitet) ,und die coni. periphrastica (ebenfalls Potentialis!) drückt die Nachzeitigkeit aus.
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Re: coniugatio periphrastica in Cic. off. 1.57

Beitragvon Hermes07 » Fr 27. Apr 2018, 03:58

Vielen Dank an alle, die zur Klärung beigetragen haben!
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