Fides Calabra

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Fides Calabra

Beitragvon Zythophilus » So 6. Mai 2018, 14:46

Der polnische Renaissance-Dichter Sarbievius spricht in seiner Ode XV (Ad Narviam, v. 18) von einer fides Calabra, mit der den gepriesenen Fluss widerhallen ließ. Kann man die Heimat des Horaz, der ja das große Vorbild unseres Dichters ist, im weitesten Sinn zu Kalabrien rechnen?
Weiters fällt auf, dass Sarbievius auch Flüsse, die nach der A-Deklination gehen, wie eben Narvia oder auch Vistula als maskulin behandelt; gibt es da antike Vorbilder?
https://books.google.at/books?id=3QkVAA ... ia&f=false auf S. 79, aber am einfachsten mit der Suchfunktion zu finden.
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Re: Fides Calabra

Beitragvon Lychnobius » So 6. Mai 2018, 15:01

Zu den Flüssen ist mir noch der Merkvers im Gedächtnis: Ein Mann, ein Fluss, ein Wind / stets Maskulina sind. (Was z. B. auf die, äh ... den Garumna und den Sequana ja auch tatsächlich zutrifft.)
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Re: Fides Calabra

Beitragvon Zythophilus » So 6. Mai 2018, 15:15

Gratias. Daran habe ich gar nicht gedacht. Garumna wird zumindest laut Stowasser allerdings auch als feminin behandelt. In Bezug auf Vistula dürfte ich einem Fehler des Stowassers aufgesessen sein, da dieser Fluss im Georges bloß als maskulin geführt wird. Man lernt nie aus.
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Re: Fides Calabra

Beitragvon consus » So 6. Mai 2018, 15:43

Eine Zusammenstellung gibt's im Kühner-Holzweissig, S. 259f..
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Re: Fides Calabra

Beitragvon Zythophilus » So 6. Mai 2018, 15:59

Gratias tibi quoque, Conse.
Wenn Vistula ohnedies auch in der Antike maskulin ist, dann ist es nur konsequent, dass Sarbievius auch den latinisierten Namen des Narew - für einen antiken Namen halte ich ihn nicht - als Maskulinum behandelt.
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Re: Fides Calabra

Beitragvon consus » So 6. Mai 2018, 16:03

Zythophilus hat geschrieben:... Kann man die Heimat des Horaz.. im weitesten Sinn zu Kalabrien rechnen?...

Ja, aber nur im weitesten Sinne; denn Venusia liegt im Grenzbereich von Lucania und Apulia (cf. sat. 2, 1, 34).
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Re: Fides Calabra

Beitragvon Zythophilus » So 6. Mai 2018, 16:31

Wenn man den antiken Begriff Calabria nimmt, dann liegt es schon fast dort. Ein plausiblere Erklärung, warum Sarbievius sonst gerade von einer "kalabrischen Laute" sprechen sollte, finde ich auch nicht; ich glaube kaum, dass er ein dort gebautes Instrument meint.
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Re: Fides Calabra

Beitragvon cometes » So 6. Mai 2018, 20:16

Ein plausiblere Erklärung, warum Sarbievius sonst gerade von einer "kalabrischen Laute" sprechen sollte, finde ich auch nicht ...


Die Ode handelt an der Stelle auch von den eigenen Anfängen als Dichter, da liegt es doch nahe, dass er sich (und seine jugendliche Produktion) nicht gleich mit dem Idol der literarischen Reife vergleicht, sondern den Anfängen der lateinischen Dichtung überhaupt. Es könnte also der Vater der römischen Poesie Ennius aus Rudiae, das in der Antike Kalabrien* zugeschlagen wurde, gemeint sein. Horaz spricht in carm. 4, 8 übrigens von Calabrae Pierides, worin viele eine Anspielung auf Ennius sehen wollen.


* Calabria, ae, f., die Halbinsel, die sich von Tarent aus in südöstl. Richtung bis zum Vorgebirge Japygium erstreckt, Geburtsland des Dichters Ennius, berühmt durch Öl-,, Wein- u. Honigbau u. durch Vieh-, bes. Schafzucht ...
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Re: Fides Calabra

Beitragvon Zythophilus » So 6. Mai 2018, 21:46

Das hat durchaus etwas für sich. Andererseits ist Ennius, soweit wir ihn kennen, zwar archaisch, aber nicht unbedingt primitiv.
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Re: Fides Calabra

Beitragvon cometes » So 6. Mai 2018, 22:31

Andererseits ist Ennius, soweit wir ihn kennen, zwar archaisch, aber nicht unbedingt primitiv.


Da stellt sich die Frage, was Sarbievius an Fragmenten kannte (die aus den Annales sollen das erste Mal im 16. Jhdt. gesammelt herausgegeben worden sein) und wie Ennius in seiner Zeit wahrgenommen wurde. Dass er sich in der Ode jugendlicher Primitivität anklagte, kann ich eigentlich nicht erkennen.

Für die Deutung, dass Horaz gemeint ist, ließe sich andererseits auch auf Martial Ep. 5,30 verweisen, wo die Formulierung der Rede von der Leier am nächsten kommt:

Varro, Sophocleo non infitiande coturno,
Nec minus in Calabra suspiciende lyra ...


Nina Mindt erklärt in einer Fußnote von Martials 'epigrammatischer Kanon' die geographische Schlamperei so:

Zur bisweilen als problematisch angesehenen Umschreibung des Horaz als „kalabrischer Flaccus“ vgl. Jachmann (1935), Daly (1942), Stevens (1944), Sullivan (1991), 103 Anm. 44 mit Literatur, sowie Schöffel (2002), 214. Man darf diese Bezeichnung nicht als grobe Nachlässigkeit Martials im Umgang mit der Literaturgeschichte ansehen, sondern als ein Beispiel für die allgemeine Ungenauigkeit in der Unterscheidung von Apulien und Kalabrien. Sicher dabei ist, dass Martial die Anregung aus Horaz selbst entnommen hat, auch wenn dieser Ennius umschrieb (Hor. Carm. 4,8,20).


In der Kürze liest sich das ein wenig nach der Arroganz, mit der man vom Mezzogiorno spricht, präziser Werner Suerbaum:

Nach einer Vermutung Jachmanns, Calabrae Pierides 346 ff., bes. 349 wäre Martial gerade aufgrund eines Mißverständnisses des Calabrae Pierides in unserer Ode (worunter er fälschlich eine Anspielung des Horaz auf die eigene Dichtung, nicht die des Ennius verstanden habe) zu seiner Ansicht gekommen, Horaz stamme aus Calabrien. Horaz selbst verwendet Calaber nie im Hinblick auf sich, nennt sich vielmehr einmal ausdrücklich, da er aus Venusia stamme, Lucanus an Apulus anceps (sat. 2, 1, 34; cf. 38 sive quod Apula gens seu quod Lucania eqs.) Porphyrio interpretiert unseren Horaz-Vers carm. 4, 8, 20 sua vult intellegi carmina, quia in urbe Venusia natus est, quae est in Calabria atque Apulia Es wäre möglich, daß Martial in der Calaber-Bezeichnung des aus dem apulisch-lukanischen Grenzbezirk stammenden Horaz nur die bei Porphyrio faßbare Vermischung der Begriffe Apulia und Calabria spiegelt. Vielleicht hat in diese Richtung auch die Regioneneinteilung des Augustus gewirkt, nach der beide Landschaften zur Regio II Apulia et Calabria gehörten. (Eine Synonymität von Apulus und Calaber zeigt Mart. 8, 28, 3/4.) Mithin brauchen die Martialstellen, an denen Horaz als Calaber erscheint, nicht auf ein Mißverständnis des Calabrae Pierides zurückzugehen, sondern können von einem unscharfen Gebrauch der Stammesbezeichnung (auch für Apuler) zeugen. (Untersuchungen zur Selbstdarstellung älterer römischer Dichter, S. 198)


Ich nehme mal nicht an, dass Sarbievius sich dieser geographischen Wirrungen im Detail bewusst war. Er wird also wohl die eine oder andere Deutung im guten Glauben übernommen haben.
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