Materia

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Beitragvon sinemetu » Di 29. Jan 2019, 00:25

Also laut Wiki soll Cicero den Begriff Materia geprägt haben

Die aristotelische hyle wurde in Ciceros lateinischer Übersetzung zu materia und damit zu unserer Materie.


Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Materie

Sehe ich allerdings in den Georges, wird der Begriff so oft und in so vielen verschiedenen Bedeutungen benutzt, und zwar nicht nur von Cicero, daß es mir schwer fällt zu glauben, C. hätte ihn geprägt.

Wurde Aristoteles denn nicht schon vorher gelesen in Rom? Ist C. wirklich der Präger?
Was sagen die Koryphäen?
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Re: Materia

Beitragvon Tiberis » Di 29. Jan 2019, 11:29

Der Begriff materia wird schon von Lukrez (de rerum natura) gebraucht, also deutlich vor der Zeit, als Cicero begann, sich der Philosophie zu widmen.
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Re: Materia

Beitragvon sinemetu » Di 29. Jan 2019, 14:24

Wenn ich mir den Frisk Artikel Hyle durchlese finde ich keinen Übergang von Holz, Schlamm zu lat. Mater - Mutter.
Einzig Materia finde ich Muttererde, die je als mater omnium gedacht war, und als Stoffsynonym mir passender erscheint als Holz. Dann scheint Materia keine Übersetzung des aristotelischen Begriffs Hyle, sondern eine echt lat. Eigenbildung. Oder Schlamm und Erde ...
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Re: Materia

Beitragvon medicus » Mi 30. Jan 2019, 09:18

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Re: Materia

Beitragvon Prudentius » Mi 30. Jan 2019, 09:33

Deine Schwierigkeiten, die Materie von der Mutter abzuleien, kommen daher, dass du dir nicht den antiken Mutterbegriff vor Augen hältst!
Die moderne Zeugungsauffassung, mit eine Beteiligung von 1 : 1 von männlichem und weiblichem Partner, ist ja noch keine 200 Jahre alt! Sie basiert auf der Entdeckung der weiblichen Eizelle durch das Mikroskop. Bis dahin stellte man sich Zeugung von Vater zu Sohn vor, wobei der männliche Samen allerdings zeitweilig ein Gefäß brauchte, um sich zu entwickeln.
Am einfachsten kann man es an bekannten Texten erkennen, du kennst ja wohl "geboren aus Maria der Jungfrau ...", wohlgemerkt, nicht von oder durch Maria, sondern aus Maria; die Mutter also als Gefäß!
Man spricht vom "Sohn Davids", nicht vom "Sohn Davids und ...".
Reste dieser Auffassung sind Ausdrücke: "Empfängnis", die Frau empfängt etwas, sie hat selbst nichts; oder "sie trägt ein Kind aus", wie eine fremde Last; "trächtig" nennt man ein schwangeres Tier, als trage es fremde Last.
Wenn du das im Kopf hats, kannst du "Materie" verstehen: das ist ein tragendes Element, etwas niederen Ranges, dem etwas Höheres aufgeladen ist; in dem Sinne ist für Aristoteles der Steinblock "Materie" für die Statue, die der Bildhauer aus ihm herausmeißeln will.
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Re: Materia

Beitragvon sinemetu » Mi 30. Jan 2019, 10:44

Danke, kann ich voll akzeptieren. Dann ist mit dem aristotelischen Hyle wohl eindeutig Holz gemeint, denn nur dieses kann Podest für einen Aufsatz sein, also dann die belebte Materie. Weil ich mich vage entsinne, einige Spätere haben Schlamm übersetzt. Der Neue Pauly führt die Begriffe Materie und Materialimus nicht, denn auf Mathematik folgt Matriarchat! Im kl. Pauly gibts einen über Materialismus. Leider wird dieses wichtige Detail nicht erwähnt. Kannst Du diesen Gedanken irgendwie belegen?
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Re: Materia

Beitragvon Zythophilus » Mi 30. Jan 2019, 20:02

Wenn auf "Mathematik" "Matriarchat" folgt, so sagt das nichts über das Vorhandensein des Stichwort "Materie" aus. Es heiß ja nicht "Matherie".
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Re: Materia

Beitragvon sinemetu » Mi 30. Jan 2019, 22:17

Zythophilus hat geschrieben:Wenn auf "Mathematik" "Matriarchat" folgt, so sagt das nichts über das Vorhandensein des Stichwort "Materie" aus. Es heiß ja nicht "Matherie".


..stimmt, Befreunde, direkt vor "Mathematik" kommt aber "Mass und Gewicht"... der traurige Befund bleibt erhalten.

Wenn ich denn weiterdenke, schwant mir, daß diejenigen Übersetzer, die Hyle mit "Schlamm" übersetzen, falsch denken, indem sie nämlich in meinen oben skizzierten Hohlweg gingen. Der Podestgedanke scheint richtiger zu sein, und dem entspräche die Übersetzung "Holz".
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Re: Materia

Beitragvon Prudentius » Do 31. Jan 2019, 10:34

Tiberis hat geschrieben:Der Begriff materia wird schon von Lukrez (de rerum natura) gebraucht, also deutlich vor der Zeit, als Cicero begann, sich der Philosophie zu widmen.


Die Lebenszeit des Lukrez fällt ja in die des Cicero, aber er hat Dichtung geschrieben, und er war Epikureer, er stand also etwas im Abseits (er ist ja auch nicht in den humanistischen Lesekanon aufgenommen worden, glaube ich). Es ist schon was dran, wenn man sagt, dass Cicero der Schöpfer der philosophischen Terminologie im L. war; die Römer waren ja von Haus aus keine Philosophen.
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Re: Materia

Beitragvon Tiberis » Do 31. Jan 2019, 14:02

Prudentius hat geschrieben:Es ist schon was dran, wenn man sagt, dass Cicero der Schöpfer der philosophischen Terminologie im L. war

Im Allgemeinen ist das zwar richtig, aber der Begriff "materia" wurde von Lukrez eben schon vor Cicero gebraucht. Lukrez starb iorgendwann in den Fünfziger Jahren, Ciceros philosophische Werke (abgesehen von De re publica und De legibus) entstanden in den Vierzigern des 1. Jh.v.Chr.
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Re: Materia

Beitragvon Prudentius » Do 31. Jan 2019, 16:30

sinemetu hat geschrieben:Wurde Aristoteles denn nicht schon vorher gelesen in Rom?


Nein, die Hauptwerke wurden erstmals zu Ciceros Lebzeiten in Rom ediert, sie hatten ein abenteuerliches Schicksal hinter sich. Aristoteles war ja bald verschollen, er konnte als Ausländer keine eigene Schule in Athen etablieren, anders als Platon mit seiner Akademie. Seine Schriften wurden per Zufall, bei Gelegenheit der Eroberung Athens durch Sulla in den 80er Jahren des 1. Jh. v. Chr., entdeckt, als ein Soldat in einem Keller einen Packen Manuskripte liegen sah und mitnahm, erst in Rom entdeckte man wohl, was es überhaupt war: es war u.a. die "Metaphysik", das Hauptwerk, in Form von Vorlesungsskripten, ungeordnet.

Die große Zeit des Aristoteles war viel später, im Hochmittelalter, unter dem Namen Thomas von Aquin; am Ende stand Aristoteles gegen Galilei.
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